Neuanfang für uns Menschen und für Gott

2. Adventssonntag (Lesejahr B; Mk 1,1-8)

Jahr um Jahr dasselbe: Dunkelheit, Kerzen, Tannenzweige und der Ruf nach mehr Besinnlichkeit. Lässt sich unter dieser dicken Schicht an Gewohnheiten noch etwas von Bedeutung finden? „Bereitet dem Herrn den Weg!“, so erklingt die Stimme Johannes des Täufers. Herb, klar, geradlinig — gar nicht sehr adventlich im landläufigen Sinne. Schön und gut, mag man da denken, warum sollen wir uns darauf einlassen? Was macht diesen Mann glaubwürdig, der sich offensichtlich als göttlicher Bote versteht? Diese Frage ist umso drängender in einer Zeit, die an eine Vielzahl von Stimmen, die irgendetwas wollen, gewöhnt ist, die im Regelfall erstmal skeptisch bleibt. Doch die Frage, die dahintersteht, ist noch grundsätzlicher, noch entscheidender. Ist Gott für uns überhaupt glaubwürdig? Gibt es ihn überhaupt, und ist das, was dieser Johannes fordert, ernsthaft das, was Gott will? In einer Zeit, in der Glaube nicht mehr selbstverständlich ist, in der mancher sich rechtfertigen muss, wenn er noch was mit Kirche und Glaube am Hut hat, ist die Frage letztlich unausweichlich: ist Gott für uns glaubwürdig?

Nun haben Menschen wohl zu allen Zeiten darüber nachgedacht, ob es Gott gibt, und viele vernünftige Argumente für seine Existenz gefunden, wenn Gott auch nicht im neuzeitlichen Sinne zu beweisen ist, da er eben nicht durch unsere Sinne erfasst werden kann. Trotzdem leben wir alle mehr oder weniger in der oft unausgesprochenen Annahme, dass es einen letzten, unzerstörbaren Sinn im Leben gibt, ein letztes Ziel, das alles, alle Mühen und Leiden rechtfertigt. Thomas von Aquin, der große Denker des Mittelalters, hätte gesagt: Und das nennen alle Gott. Doch hat der uns auch etwas zu sagen? Was eine solche Botschaft offenbar zu allererst glaubwürdig macht, ist die Glaubwürdigkeit des Boten. Es liegt nahe, dass der Evangelist Markus deshalb die Lebensumstände des Täufers so betont. Er lebt in der Wüste, trägt ein einfaches Gewand, ernährt sich einfach. Er ist also ein ernsthafter Mann, der an das, was er sagt, auch glaubt, dem es nicht darauf ankommt, einen materiellen Vorteil aus seiner Botschaft zu ziehen. Solche Glaubwürdigkeit zieht tatsächlich — bis heute. So haben Propheten bzw. religiöse Anführer mit einer bestimmten Ausstrahlung bis in unsere Tage Anhänger — mag ihre Botschaft auch noch so seltsam sein. Die Ernsthaftigkeit und die Ausstrahlung der Boten — mit einem biblischen Wort oft auch Charisma genannt — tun ihre Wirkung, aber ein verlässlicher Maßstab für den Inhalt der Botschaft ist das kaum, wenn man auf manche Unheilspropheten schaut, die ihre Anhänger zu recht absurdem Verhalten gebracht haben — vorsichtig gesagt. Doch Markus gibt uns einen kleinen Fingerzeig, der uns hilft, diesen Maßstab doch noch ein wenig zu retten. Der Täufer verweist darauf, dass er nur Bote ist, er zeigt von sich weg, auf den, der größer ist als er. Damit die Ernsthaftigkeit des Boten zur Glaubwürdigkeit beiträgt, muss er auch glaubhaft von sich weg verweisen, darf nicht sich als Mittelpunkt einführen — direkt oder indirekt. Mancher Verkünder des Glaubens verweist natürlich auf Gott und genießt doch für alle sichtbar, dass er allein im Mittelpunkt steht. Hier bleibt der Täufer ein für allemal der Maßstab.

Wir sehen also, soll Gott glaubwürdig sein, muss es auch sein Bote sein, nicht nur durch Ernsthaftigkeit, sondern auch indem er sich nicht unnötig in den Mittelpunkt stellt — nicht nur durch Worte, sondern auch durch sein Verhalten. Schauen wir nochmal auf den Täufer. Er verkündet Umkehr und Vergebung der Schuld. Als äußeres Zeichen des Neuanfangs lädt er zur Taufe ein, ein gänzliches Unter- und Auftauchen im Jordan, das diesen Neuanfang sinnbildlich darstellt. Wenn Gott der Grund des Daseins ist, dann ist er es in jedem einzelnen Augenblick, er ist kein Uhrmacher, der die Welt einmal aufzieht und dann mehr oder weniger gleichgültig laufen lässt. Grund des Daseins ist er in jedem Augenblick, in jedem Augenblick sind wir von ihm gehalten, gehen wir aus ihm hervor. Deshalb kann jeder Augenblick auch zu einem Neuanfang werden. Wie viele Ängste des Menschen gründen darin, dass es wieder schiefgehen könnte, dass man gefangen ist in Strukturen usw.? Gott gibt einen Neuanfang — aber er muss in mir beginnen. Doch auch das reicht nicht aus, viele falsche Propheten versprechen einfach einen Neuanfang, das macht sie ja spannend. Romano Guardini sagte einmal einen Satz, für den er viel kritisiert wurde: Gott hat Schicksal am Menschen. Gott ist also nicht einfach der Unberührbare, sondern er bekommt eine menschliche Geschichte in Jesus. Das macht die christliche Botschaft aus, sie ist ein Neuanfang für den Menschen, aber auch für Gott, er wird selbst einer von uns. Das ist der wahre Gott: Nicht dass er umkehren oder sich ändern müsste, aber er stellt sich an unsere Seite und beginnt mit uns neu: Neuanfang für uns und für Gott.

Dennoch betonen viele Theologen immer wieder, dass letztlich der Glaube an die biblische Botschaft ein Wagnis bleibt, dessen Berechtigung erst im Tun aufscheint, Gott muss sich nicht ausweisen, sein Wort nicht belegen. Das stimmt natürlich und gilt in gewissem Sinne für jede Freundschaft. Ich kann Argumente zusammentragen, warum es gut ist, sich mit jenem Menschen anzufreunden, was aber die Freundschaft wert ist, merke ich erst, wenn ich sie wage und lebe. Und so ist es wohl auch in der Gottesbeziehung. Irgendwann — vielleicht mitten in allem Überlegen und Zweifeln, ob das was für mich ist — merke ich, dass ich schon in der Beziehung drin bin, dass ich schon beginne zu glauben, so ist es doch auch in einer Freundschaft, die beginnt nicht um 19.12 Uhr, sondern man merkt: wir sind schon Freunde. Vielleicht noch vorsichtig, vielleicht ist es noch komisch, das einzugestehen, aber es stimmt! Die Beziehung, der Glaube hat begonnen, letztlich erfahre ich nur in ihm, dass Gott trägt.

In einer Zeit wie der unseren kommt man nicht umher zu fragen, ob Gott glaubwürdig ist. Das hängt zunächst an der Glaubwürdigkeit des Boten, an seiner Ernsthaftigkeit, aber auch an seiner Bereitschaft, Gott und nicht sich in den Mittelpunkt zu stellen. Gott ist der, der einen Neuanfang schenkt und ihn selbst mit uns wagt. Und plötzlich merkt man: die Beziehung zu ihm hat schon begonnen, und nur so zeigt sich auch ihre Tragfähigkeit, indem ich vielleicht zögernd und noch etwas skeptisch bekenne: Ich glaube.