Einladung zur Wahrheit

29. Sonntag im Jahreskreis (Sonntag der Weltmission; Lesejahr A; 1 Thess 1,1-5b; Mt 22,15-21)

Wenn man etwas sucht, das dem Zeitgeist in besonderer Weise widerspricht, dann ist es der Gedanke der Mission. Selbst wenn man all das, was den meisten bei diesem Wort vor Augen steht — die Mission durch das Schwert —, als historische Fehlentwicklung beiseite lässt, selbst wenn man wie Johannes Paul II. ein anderes Wort verwendet und von Evangelisierung spricht, oder selbst wenn man einfach von Weitergabe des Glaubens spricht, selbst dann passt Mission nicht in unsere Zeit. Glauben ist Privatsache, so ist man heute überzeugt, das geht keinen was an — und überhaupt: was sind schon Überzeugungen? Alles fließt, sagt ein griechischer Philosoph — und besonders die Überzeugungen, könnte man ergänzen. Nun trägt uns das Neue Testament aber eben dies auf — egal wie man es nennen mag: Mission, Evangelisierung, Weitergabe des Glaubens. Mission heißt Sendung. Als Christen sind wir gesandt, das Evangelium zu verkünden. Alle Christen, nicht nur Pfarrer und Theologen. Wie gehen wir mit dieser Sendung um?

„Es glaubt keiner — wenn nicht freiwillig“, sagte der heilige Augustinus, und man hätte im Laufe der Kirchengeschichte diesen Gedanken wohl deutlicher beherzigen sollen. Wahrscheinlich jeder ist sich heute im Klaren, dass die Weitergabe des Glaubens nur in einer Einladung bestehen kann, das Kostbare, das ich selbst als Glaubender entdeckt habe, ebenfalls zu entdecken. Diese Wahrheit, die ich gefunden habe, ist niemand anderes als Christus selbst, der sich als der beschrieben hat, der gekommen ist, um zu dienen. Und ist das nicht das Wesen der Wahrheit? Sie dient zu unserer Erkenntnis und damit zu unserem Leben. Wahrheit bedeutet doch, dass aufscheint, was wirklich ist, so dass ich sehen und erkennen kann, um so meinen Weg zu finden. Nicht umsonst wird die Wahrheit oft mit dem Licht verglichen. Das Licht zeigt mir alles, nur im Licht sehe und erkenne ich, das Licht selbst sehe ich jedoch nicht. Die Wahrheit ist demütig, so könnte man sagen, und sie kann auch deshalb nicht mit Gewalt oder künstlich großer Geste verkündet werden — sie kann nur aus ebensolch demütiger Haltung bezeugt werden.

Gut und schön, mag mancher einwenden, dann sollen Christen halt mit bescheiden-einladender Geste für ihren Glauben werben, aber so ganz passt das nicht. Auf der einen Seite bescheiden, auf der anderen Seite sind sie dann stur und unbeweglich: Jesus ist der menschgewordene Gott, er ist auferstanden, da gibt’s dann nichts dran zu rütteln. Offensichtlich empfinden Menschen Klarheit bezüglich des Glaubens und seiner Inhalte sowie eine einladende Haltung zu diesem Glauben als Widerspruch. Wer freundlich und offen zum Glauben einlädt, der muss dann auch zu einem ebenso freundlichen und vor allem offenen Glauben einladen, oder?

Ganz offensichtlich ist aber beides im Neuen Testament angelegt: die Sendung, für den Glauben zu werben, und die Klarheit, was den Glauben und seine Inhalte betrifft. Beides klingt auch im Evangelium dieses Sonntages an. „Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und wirklich den Weg Gottes lehrst, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen“, sagen die Pharisäer, und offenbar beabsichtigen sie eine ernsthafte Charakterisierung Jesu, denn sonst könnte ihre Falle nicht wirken. Das Neue Testament ist ursprünglich in altgriechischer Sprache geschrieben, und mit Recht könnte man auch die Anrede statt „Meister“ mit „Lehrer“ übersetzen. Jesus ist also einer, der den Weg Gottes lehrt, ein religiöser Lehrer. Er hat keine weltliche Macht, kann nur einladen, werben, durch Gleichnisse und andere Reden zum Nachdenken bringen. Doch zugleich ist klar, dass er nicht einfach zum offenen Spiel der Worte und Gedanken lädt, er lehrt die Wahrheit und sagt diese offenbar auch, wenn es nicht gefällt, „ohne auf jemanden Rücksicht zu nehmen“, sagen die Pharisäer. So bleiben wir also vor einem Rätsel stehen: Wir sollen freundlich-einladend werben für den Glauben — ohne das, was wir glauben, zu verwässern und dem jeweiligen Geschmack anzupassen. Wie bitte schön soll das gehen?

Ein bisschen zugespitzt könnte man sagen: es geht ganz einfach, ja, eigentlich geht es gar nicht anders. Haben Sie auch schon Prominente für irgendein Produkt werben sehen? Im Internet nehmen solche Werbemaßnahmen ein ganz neues Ausmaß an. Ich glaube, man nennt das neudeutsch „Testimonial“, da steckt das alte lateinische Wort „testimonium“ drin: Zeugnis. Aber ist man nicht irgendwie seltsam berührt, wenn einer da nur für Geld sagt, wie toll er etwas findet, und nicht wirklich davon überzeugt ist? In gewissem Sinne ein falsches Zeugnis abgibt? Eben darum geht es; ich kann eigentlich nur für etwas werben, wovon ich überzeugt bin — auch wenn ich damit das Risiko eingehe, dass mancher nicht mehr so begeistert von mir ist, da er das, wofür ich werbe und einstehe, ablehnt. Was wir ursprünglich als Widerspruch erlebt haben — eine freundliche Einladung und eine klare inhaltliche Position — gehört in Wirklichkeit aufs engste zusammen. Ich kann nur zu dem überzeugen, wovon ich selbst überzeugt bin. Sonst ist mein Werben nicht glaubwürdig. Was ist eine Einladung wert, die ins Nichts führt?

Wenn ich in so einer Weise einlade zu dem, was mir wichtig ist, dann werde ich dadurch auch verletzlich, weil ich mich öffne. Ich zeige, ja, ich gebe etwas von mir. Paulus spricht in der Lesung von der Opferbereitschaft der Liebe und der Standfestigkeit der Hoffnung. Beides gehört zusammen. Ich kann mich nur öffnen, verletzlich machen, von mir geben, wenn ich auch irgendwo einen festen Standpunkt habe, eine Hoffnung, die hält, die nicht vom Geschmack der jeweiligen Zeit abhängig ist. Sicher gibt es ein instinktives Eingreifen zugunsten des anderen — das zeigt, wie sehr das Gute etwas Göttliches ist, etwas, das größer ist als wir: je mehr dieses Sich-Geben aber eine bewusste Entscheidung ist, desto mehr erfordert es die Standfestigkeit einer wahren Hoffnung.

Als Christen sind wir gesandt, von dieser Hoffnung Zeugnis zu geben — nach Jesu Vorbild. Er ist der Lehrer, der einlädt und durch Reden und Gleichnisse zum Nachdenken anregt. Doch zugleich ist klar, dass er nicht einfach zum offenen Spiel der Worte und Gedanken lädt, er lehrt die Wahrheit und sagt diese offenbar auch, wenn es nicht gefällt, „ohne auf jemanden Rücksicht zu nehmen“. Beides gehört zusammen: einladend-werbend den Glauben bezeugen, ohne das, was wir glauben, zu verwässern.