Die Versöhnung mit sich selbst gelingt in der Versöhnung mit Gott

3. Adventssonntag (Lesejahr B; 1 Thess 5, 16-24; Joh 1, 6-8.19-28)

„Dankt für alles, denn das will Gott von euch, die ihr Christus Jesus gehört“, so mahnt der Apostel Paulus die Christen am Ende seines ersten Briefes an die Gemeinde von Thessaloniki. Dankbarkeit ist ja ein schöner Zug, aber ist das ernsthaft möglich? Dankbar für alles zu sein? Für all die Niederlagen, Enttäuschungen und Verwundungen eines Lebens? Selbst in der vorweihnachtlich sentimentalen Stimmung melden sich da Zweifel an. Kann ich, muss ich ernsthaft für alles in meinem Leben dankbar sein?

Wenn man heutzutage eine Buchhandlung betritt, sieht man schnell, dass der Bereich Religion recht klein ist: ein paar Bibeln, ein paar Gesangbücher, ein paar spirituelle Bestseller. Stattdessen begegnet man einer umfassenden Abteilung, die Esoterik, Lebenshilfe oder so ähnlich heißt. Wenn man darin ein bisschen stöbert, stellt man fest, dass einem eben dies empfohlenen wird: dankbar für alles im Leben zu sein bzw. versöhnt mit dem eigenen Leben, der eigenen Geschichte zu sein. So klingt es dann schon netter, kein Grübeln, kein Ringen mit den Wunden des Lebens, kein Verzweifeln aufgrund der Lasten der Vergangenheit und auch kein Verdrängen, sondern Versöhnt-Sein mit der eigenen Lebensgeschichte, so wie es ist, ist es gut. Manchmal wird dann auch noch fernöstliche Weisheit berührt, das zieht heutzutage ja immer, Yin und Yang werden da gegensätzliche Prinzipien genannt, die sich gegenseitig aber auch brauchen und ergänzen, so ist es eben auch mit dem Auf und Ab im Leben, den guten und schlechten Erfahrungen, man muss das halt hinnehmen, das eine ergänzt das andere, fertig ist die esoterische Lebensberatung, der Glaube, der heute für viele das Christentum ersetzt. Man ist versöhnt und dankbar — auch ohne Gott. Für viele ist an dem Punkt Schluss, für mich fängt es erst an. Mir leuchtet das keineswegs ein, eine solche Haltung ist für mich Fatalismus, Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Schicksal. Soll ich wirklich der Frau, die ihren Ehemann verloren hat, sagen: so ist es halt, Yin und Yang, Gutes und Schlechtes gehören zum Lebens machen das Ganze aus, sei dankbar und versöhnt? Auch wenn man es vielleicht ein wenig einfühlsamer formuliert, macht es das nicht besser. Versöhnt mit dem eigenen Leben zu sein, das klingt gut, aber so geht es nicht.

Paulus sagt nicht nur „Dankt für alles“, sondern auch: „Meidet das Böse in jeder Gestalt!“ Das bedeutet für mich auch: Was mir in meinem Leben an Bösem, an Widerwärtigem, an Verwundungen zugestoßen ist, das darf ich auch sehen und benennen und muss es nicht „Yin- und Yang-mäßig“ wegerklären. Das Böse wird heute gern auf Mord und Totschlag beschränkt, auf das, was außerhalb unserer schönen bürgerlichen Welt geschieht. Dabei übersehen wir die Wunden, die manche Unwahrheit, manche Untreue, manches gebrochene Versprechen in anderen schlägt. Mit dem eigenen Leben versöhnt sein, das klingt gut und sinnvoll, aber nicht um den Preis, das Böse nicht zu sehen, die Wunden meines Lebens zu übersehen.

Wie geht es dann? Eben mit Gott! Johannes der Täufer legt Zeugnis ab für Christus, der nach ihm kommt und das wahre Licht ist, das jeden Menschen erleuchten will. Paulus spricht vom Gott des Friedens, der uns unversehrt bewahren wird, wenn Christus, unser Herr, kommt. Ich kann die Wunden meines Lebens und auch die Schuld meines Lebens, also die Wunden, die ich anderen geschlagen habe, annehmen und eingestehen, weil Christus kommen wird, der heilen und vollenden kann, was diese Welt nicht heilen und vollenden kann, der erleuchten kann, was diese Welt nur im Dunkeln aushält. Im Glauben an ihn kann ich versöhnt mit meiner eigenen Lebensgeschichte sein, nicht indem ich meinem Schicksal gleichgültig gegenüberstehe, nicht indem ich verzichte, Verwundungen beim Namen zu nennen, sondern indem ich darauf vertraue, dass Christus heilen und vergeben wird. Vergessen wir so kurz vor Weihnachten nicht, dass der Advent nicht nur auf die Feier der Geburt Christi zielt, sondern vor allem auch auf seine Wiederkunft am Ende der Zeiten, so gerade auch die neutestamentliche Lesung des heutigen Sonntags.

Versöhnt-Sein mit mir selbst gelingt letztlich nur, indem ich mich mit Gott versöhne. Was soll das denn sonst bedeuten, versöhnt mit mir selbst zu sein? Natürlich, es gehört zu den Fähigkeiten des Menschen, sich selbst sozusagen gegenüberzutreten, sich zu betrachten, auch zu beurteilen im Spruch des Gewissens. Aber das bleibt immer etwas, das „gewissermaßen“ so ist, ich trete mir nicht wirklich als eine andere Person gegenüber, aber das meint Versöhnung doch im tiefsten. Ich begegne einem anderen neu, erneuere meine Gemeinschaft mit ihm, Versöhnung bedeutet Gemeinschaft. Die Versöhnung mit mir selbst kann immer nur etwas daraus Abgeleitetes sein, aus der Versöhnung mit dem, der das Leben ist, der auch meine Wunden im letzten und endgültigen Sinne heilen kann: mit Gott.

„Dankt für alles!“, sagt Paulus in seinen knappen Schlussmahnungen des ersten Thessalonicher-Briefes. Mit sich selbst, mit der eigenen Lebensgeschichte versöhnt zu sein, das klingt durchaus gut und sinnvoll und wird heute auch vielfach angepriesen. Doch meist wird dabei ein gewisser Fatalismus vorausgesetzt, eine Gleichgültigkeit dem eigenen Leben gegenüber. Bittere und schöne Erfahrungen gehören halt dazu, ergänzen sich, nimm es an, friss oder stirb. Der christliche Glaube zeigt uns etwas anderes. Ich darf die Verwundungen meines Lebens benennen, auch meine Schuld kann ich eingestehen, weil ich glaube, dass Christus, das wahre Licht, kommen wird, dass er heilen, vollenden und vergeben wird. Versöhnung bedeutet im letzten eben Gemeinschaft, ich begegne einem anderen neu, lasse mich neu auf die Gemeinschaft mit ihm ein. Die Versöhnung mit mir selbst kann immer nur etwas daraus Abgeleitetes sein, aus der Versöhnung mit dem, der das Leben ist, der auch meine Wunden im letzten und endgültigen Sinne heilen kann: mit Gott