Zum Glauben an die Freiheit gehört der Glaube an Gott

St. Martin 2017(Jes 61,1-3a; Joh 15,9-17)

Den Armen eine Frohe Botschaft, den Trauernden Freude zu bringen — das ist der Auftrag des Propheten, so beschreibt es das Buch Jesaja. Jesus selbst hat im Lukas-Evangelium einmal diese Worte aufgegriffen und auf sich bezogen. Aus diesem Propheten-Wort stammt auch die Bezeichnung dessen, was wir zu verkünden haben: Evangelium, zu deutsch: Frohe Botschaft. Nun müssen wir einräumen, dass die meisten Menschen heutzutage das Thema „Freude“ eher weniger mit dem christlichen Glauben in Verbindung bringen — vorsichtig gesagt. Wir gelten eher als diejenigen, die den Menschen verbieten, ihr Leben zu genießen oder einfach so zu leben, wie sie wollen. Welche Freude bringen wir also den Menschen? Oder ist das Ganze eher Etikettenschwindel?

Ganz offensichtlich handelt es sich nicht einfach um Spaß, um erfolgreiche Freizeitgestaltung oder ähnliches, wenn wir von Froher Botschaft sprechen. Nicht umsonst ist ja auch die deutsche Sprache in der Lage, zwischen Spaß und Freude zu unterscheiden. Auch im Propheten-Buch Jesaja ging es nicht um Spaß, sondern um einen grundsätzlichen Neuanfang. Nachdem Jerusalem und der Staat Juda einst zerstört wurden, sollte dem Volk ein Neuanfang geschenkt werden. Welche Freude, welchen Neuanfang haben wir zu bieten? Ich bin überzeugt, dass jeder Neuanfang zuerst eine Sache der inneren Einstellung ist, dass Freude nichts ist, das einfach von außen in mir ausgelöst wird, sondern letztlich innere Haltung ist, man könnte von heiterer Gelassenheit sprechen. Natürlich gibt es Anlässe zur Freude, ganz klar, aber ich glaube, Freude muss längst innere Haltung ein, damit irgendein Anlass zum Durchbruch nach außen führt. Meine Arbeit als Seelsorger lässt mich ganz unterschiedlichen Menschen begegnen. Was mich immer wieder fasziniert, ist, wie unterschiedlich Menschen mit denselben oder doch sehr ähnlichen Situationen umgehen. Was die einen verzweifeln lässt, raubt den anderen die Hoffnung und die heitere Gelassenheit nicht. Es muss also letztlich um eine innere Haltung gehen. Auch die Wissenschaft beschäftigt sich seit einiger Zeit mit diesen Fragen, man nennt das Resilienz-Forschung: es geht und die Suche nach dem, was dem Menschen hilft, mit schwierigen Situationen fertig zu werden — ausgehend von der Beobachtung, dass dies dem einen leichter, dem anderen schwerer fällt.

Gewiss gibt es als Christ zunächst eine klare Antwort auf die Frage nach dem Grund solcher Freude. Es ist der Glaube an die Auferstehung, der Glaube, dass der Tod nicht das letzte Wort haben wird. So kostbar dieser Glaube ist, er mag viellicht auch ein bisschen theoretisch, abstrakt bleiben, versuchen wir konkret zu werden. Vielleicht kennen Sie das sogenannte Gelassenheitsgebet von Reinhold Niebuhr. „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,

  den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,

  und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Diese Gedanken scheinen mir der Schlüssel zu sein. Das gelassen anzunehmen, was ich nicht ändern kann, mutig anzugehen, was ich ändern kann — und vielleicht das Schwierigste: das eine vom anderen zu unterscheiden. Das Ganze ist ein Gebet, also nicht etwas, das wir einfach machen können. Versuchen wir zu verstehen, wie wir diese Haltung fördern können. Oft scheint mir das Problem zu sein, dass wir beides verwechseln. Wir wollen unbedingt ändern, was nicht zu ändern ist, und wollen, dass der liebe Gott schnell wegzaubert, was wir selbst anpacken könnten. Der Glaube an die Freiheit hilft uns, das zu ändern. Nun mag mancher einwenden, den haben die meisten heute doch, was fehlt ist eher der Glaube an Gott. Die Freiheit, an die die meisten glauben, ist arg verstümmelt. Es ist eher das Recht, sich selbst nach Belieben auszubreiten. An die Freiheit zu glauben, heißt aber zu sehen, dass schon die Natur eine Eigenständigkeit hat, dass auch andere Freiheit haben, und dass sich dies alles reiben, ja im Weg stehen kann, so dass sich manchmal sogar tragische Verknüpfungen geben können — man denke an Naturkatastrophen und Unfälle oder auch an das knallharte Aufeinandertreffen unterschiedlicher Interessen. An die Freiheit zu glauben, heißt solche Folgen der Freiheit gelassen anzunehmen und zugleich, das in meiner Freiheit anzupacken, was ich tun kann — eben weil ich frei bin. „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“, sagt Jesus. Das ist der Inbegriff der Freiheit: der Freie, der schenkt und gibt. Wenn ich stattdessen immer festhalten will, bedacht bin auf das, was ich habe — an Materiellem, an Ansehen —, dann werde ich ängstlich, innerlich gebremst und unfrei bleiben. Nicht hirnlos wegwerfen, sondern dem anderen schenken und geben, darum geht es, so wie der heilige Martin tat. Daran muss sich orientieren, wer nach heiterer Gelassenheit, nach Freude als innerer Haltung sucht. Das wird — so bin ich überzeugt — nicht funktionieren, wenn dieser Inbegriff von Freiheit etwas Abstraktes, Unpersönliches bleibt. Allgemeine Regeln vermögen die Menschen nicht zu berühren und nicht zu bewegen. Der Inbegriff von Freiheit ist aber ein jemand: der menschgewordene Gott selbst, Jesus, der sein Leben gibt. Darum gehört zum Glauben an die Freiheit auch der Glaube an Gott. Er zeigt uns lebendig, was Freiheit ist und dass diese Freiheit der Ursprung des Daseins ist: Gott, der Leben schenkt.

Haben wir also doch Freude zu verkünden? Die Lebenserfahrung zeigt uns, dass Freude offenbar zuerst eine innere Haltung ist, eine heitere Gelassenheit, die auch befähigt mit schwierigen Erfahrungen umzugehen. Das Gebet von Reinhold Niebuhr bringt es auf den Punkt, aber oftmals wollen wir eher ändern, was nicht zu ändern ist, und erwarten von Gott, er möge wegzaubern, was wir selbst anpacken könnten. Der Schlüssel zu dieser Gelassenheit scheint mir der Glaube an die Freiheit zu sein. So weiß ich, dass wo Freiheit und Eigenständigkeit sind, sich auch Dinge verknoten können, so dass sie mir nicht gefallen. Inbegriff der Freiheit ist nicht eine unpersönliche Regel, das hätte kaum einen Wert, sondern der Freie, der sich schenkt, das ist Gott selbst, der uns Leben schenkt. Gebe er „die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die wir  nicht ändern können, den Mut, Dinge zu ändern, die wir ändern können, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“