Gleichgültigkeit zerstört die Normalität, die sie voraussetzt

Weihnachten 2017 (Lk 2,1-14)

63% der Deutschen wünschen sich, dass unser Land mehr vom Christentum und seinen Werten geprägt sein soll, eine Zahl, die in den vergangenen Jahren gewachsen ist, so sagt es eine aktuelle Umfrage. Gleichzeitig bestätigt sie, was seit Jahren — wenn nicht Jahrzehnten — offenkundig ist: dass in ihrem persönlichen Leben immer weniger Menschen einen Zugang zum christlichen Glauben finden. Es scheint klar, dass die Zunahme derer, die sich eine stärkere Prägung unserer Landes durch den christlichen Glauben wünschen, mit der wachsenden Verunsicherung, der Infragestellung der Demokratie, ja unseres ganzen Lebensmodells in der westlichen Welt zusammenhängt, und diese Verunsicherung ereignet sich mitten in einer Zeit, in der sich diese unsere westliche Welt mehr oder weniger schleichend und unauffällig vom christlichen Glauben verabschiedet — eigentlich. Lässt sich nun eine Brücke schlagen von der Sehnsucht nach Halt, nach Werten, wie sie in unserem Land offenbar immer noch eine Mehrheit vom Christentum erwartet, zu der Gleichgültigkeit Glaube und Kirche gegenüber, die für viele normal geworden ist?

Gleichgültigkeit erlebt man heutzutage nicht nur dem Glauben, sondern auch der Geschichte, der Prägung unseres Landes, der Politik gegenüber. Gleichgültigkeit hat allerdings einen Haken, sie setzt Normalität voraus, dass alles eben reibungslos so funktioniert wie immer, ein Rädchen ins andere greift. Gleichgültigkeit zerstört aber auch die Normalität, die sie voraussetzt, und das erleben wir gerade. Man steht dem Glauben und seinen Inhalten gleichgültig gegenüber, denn irgendwie funktioniert ja alles, man schätzt die Nächstenliebe, auch wenn man natürlich nicht in die Kirche geht. So funktioniert die Normalität irgendwann nicht mehr, man vergisst, warum etwas Norm, also Maßstab und Richtschnur für das Handeln ist. Ich will es an einem Beispiel zeigen. Fast jeder fährt Auto, aber nur wenige kennen sich mit dem Innenleben eines Autos aus, wissen, wie das funktioniert. Diese Gleichgültigkeit kann man sich leisten, solange nichts passiert, wenn es nicht mehr funktioniert, steht man dumm da, vielleicht hätte man doch mal einen Kundendienst machen sollen. Gleichgültigkeit setzt Normalität voraus, zerstört aber langfristig eben diese Normalität.

So vergessen wir in unserer Gesellschaft mehr und mehr, was normal im guten Sinne des Wortes ist, eben das, was den allgemein anerkannten Werten und Maßstäben entspricht. Normal ist aber inzwischen eher zum Schimpfwort geworden, jeder möchte irgendwie besonders und unangepasst sein. Ohne solche Normalität im guten Sinne gelingt das Zusammenleben nicht. Was ist der Maßstab, den wir brauchen? Der Maßstab, den uns der christliche Glaube anbietet, ist das Kind in der Krippe: Gott, der ein Mensch, ein verletzlicher Säugling wird. Wo wir in unserem Handeln die Kleinsten und Schwächsten aus dem Blick verlieren, verschiebt sich alles zum Schlechteren. Ein Mann, den ich in meinen früheren Pfarreien kennengelernt habe, war ein leidenschaftlicher Krippenbauer, er zeigte mir einmal seinen Krippenmeter. Das ist ein Stück Holz, das ihm anzeigte, welche Länge in seiner Krippe einem Meter in der Wirklichkeit entsprach. Wenn er darauf nicht geachtet, diesen Maßstab vergessen hätte, dann hätte es passieren können, dass Maria größer als der Stall geworden wäre oder das Kind so groß wie der Ochse, ohne diesen Maßstab ist alles grotesk verzerrt. Das Kind in der Krippe muss unser Maßstab sein, sonst wird bei uns alles verzerrt. Wenn Gott sich nicht zu schade ist, ein schwacher Mensch zu werden, müssen wir uns immer wieder fragen, ob auch die Schwächsten von der Richtung, für die wir uns entscheiden, irgendetwas haben. Nicht jede Entscheidung, die der Mensch trifft, kann ein Dienst an den Schwächeren sein, das ist klar. Aber im persönlichen Leben wie auf gesellschaftlicher Ebene müssen wir uns fragen, ob unsere grundsätzliche Richtung in irgendeiner Form auch ein Dienst an den Schwächeren ist. Und sagen wir nicht, irgendwie wissen wir das schon, die Wirklichkeit unserer Gesellschaft zeigt doch, dass dieses „Irgendwie“ auf Dauer nicht genügt. Gleichgültigkeit zerstört die Normalität, die sie voraussetzt.

Eine Erscheinungsform dieser Gleichgültigkeit ist, dass mancher überzeugt ist, es reiche aus, wenn er an sich selbst glaubt, an die eigene Stärke, die eigenen Fähigkeiten und nicht an Gott. In diesem Glauben an sich selbst steckt aber in Wirklichkeit — so behaupte ich — schon eine wenigstens unbewusste Ahnung Gottes. An sich selbst glauben — was soll das denn bedeuten? Dass ich da bin, lebe, handle und entscheide, daran muss ich nicht glauben, das sehe und erlebe ich. Der Glaube an sich selbst richtet sich eher auf ein Idealbild, das man von sich hat, so möchte ich sein: stark, mutig, vielleicht auch gütig — doch die Wirklichkeit sieht meist anders aus. Näher betrachtet ist der Glaube an sich selbst doch auch der Glaube an etwas Höheres, an dem ich teilhabe, zu dem ich mich quasi aufschwingen will und das sich auch nicht zerstören lässt, wenn ich nicht entsprechend lebe. Es ist offensichtlich, auch hier klingt der Glaube an Gott an, wenigstens eine unbewusste Ahnung Gottes steckt drin. Doch letztlich bleibt dieser Glaube auf der halben Strecke stehen. Weihnachten sagt uns, dass Gott wirklich ist, dass er einer von uns geworden ist, uns ganz nahe.

Einerseits wünschen sich offenbar viele wieder, dass der Glaube mit seinen Werten unser Land prägen soll, anderseits bleibt man persönlich Glaube und Kirche gegenüber gleichgültig. Gleichgültigkeit setzt Normalität voraus, zerstört sie aber auf Dauer. Normal ist heute schon eher ein Schimpfwort und meint doch eigentlich nur das, was den allgemein anerkannten Werten und Maßstäben entspricht. Ohne solche Maßstäbe geht es nicht. Unser Maßstab ist das Kind in der Krippe. Wenn Gott sich nicht zu schade ist, ein schwacher Mensch zu werden, müssen wir uns immer wieder fragen, ob auch die Schwächsten von der Richtung, für die wir uns entscheiden, irgendetwas haben. Der Glaube an sich selbst reicht hingegen nicht aus. Letztlich richtet er sich nicht auf mich als Person, sondern auf ein höheres Ideal, zu dem ich mich aufschwingen will, unbewusst also doch auch auf Gott, aber er bleibt auf der halben Strecke zurück. Der Gesang der Engel in Bethlehem fasst es für uns zusammen: Wo Gott in der Höhe verherrlicht ist, da — und schlussendlich nur da — wird Frieden für die Menschen auf Erden.