Die Suche nach Gott schärft den Blick für den Menschen

Erscheinung des Herrn (Dreikönig; Lesejahr B; Jes 60,1-6; Mt 2,1-12)

Gerade um Weihnachten herum — wenn die Kirchen besonders im Blickpunkt zumindest der medialen Öffentlichkeit stehen — wird deutlich, dass sie nach einem Profil in unserer Zeit suchen. Wie kann man Menschen, die dem christlichen Glauben fernstehen, dafür interessieren? Mir scheint, dass offizielle Vertreter der Kirche besonders oft das soziale, auch politische Engagement der Kirchen betonen, damit die Menschen sehen, dass Glaube gewissermaßen auch eine erfahrbare, positive Wirkung hat. Eine ganz andere Haltung begegnet uns im heutigen Evangelium. Die Sterndeuter suchen den neugeborenen Gott-König, um ihn anzubeten, und stolpern dabei durch die politischen Wirren des Königreichs Judäa, die sie gar nicht wahrzunehmen scheinen: Herodes fürchtet um seinen Thron und will daher das Neugeborene töten. Ist die Suche nach Gott nicht tatsächlich etwas hoffnungslos Naives in einer zerrissenen Gesellschaft? Müsste nicht gesellschaftliches, politisches Engagement den Vorrang haben?

Die meisten Menschen unserer Zeit würden die Frage wohl mit einem klaren „Ja“ beantworten. Doch wenn wir das, was wir hier tun, ernst nehmen, können wir es uns nicht so leicht machen. Lassen wir uns von den Sterndeutern und ihrer Gottsuche herausfordern. Immerhin bringen sie es fertig, sich nicht von Herodes einspannen zu lassen, sie kehren auf einem anderen Weg heim in ihr Land, verraten ihm also nicht den Aufenthaltsort des Kindes. Die Suche nach Gott ist nicht naiv, weil sie bei einem äußerst wirklichkeitsnahen Bild des Menschen einsetzt. Wer Gott sucht, der weiß, dass mit dem Menschen nicht alles stimmt, der weiß, dass Menschen — und damit auch er selbst — oft genug sind wie Herodes: machtgierig, oder sagen wir es sanfter: süchtig nach Erfolg. Bereit zu zu lügen, um es leichter zu haben, weil es ja nur kleine Notlügen sind. Bereit, andere Menschen zu instrumentalisieren, d.h. sie für die eigenen Zwecke einzuspannen ohne Rücksicht auf deren Wohl. Wer Gott sucht, weiß um all das, er weiß — ein wenig salopp gesagt — dass Herodes in uns allen, auch in ihm steckt. Eben deshalb sucht er Gott, weil er um die Machtspiele und Unwahrheiten des Menschen weiß, aber eben auch erlebt, dass dies nicht das ist, was den Menschen erfüllt, was seiner eigentlichen Sehnsucht entspricht. Machtspiele bringen letztlich nur Opfer hervor. Der, der Gott sucht, erkennt in all dem eine Not des Menschen: eigentlich möchte ich anders sein, eigentlich . . . wer Gott sucht, nennt das Erlösungsbedürftigkeit, er sucht nach dem, der Erlöser sein kann — wie die Sterndeuter. Wer Gott sucht, sieht den Menschen realistisch, aber er ist kein Schwarzseher oder Pessimist. „Auf werde Licht, denn dein Licht kommt!“, heißt es im Prophetenbuch Jesaja, er hat Hoffnung, dass es Gott gibt, der helfen, erfüllen, erlösen kann.

Wer Gott sucht, sucht nach dem, dem er im tiefsten Sinne begegnen kann. Das klingt banal, ist es aber keineswegs. Unsere menschlichen Begegnungen sind meist oberflächlich und auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet. Im Fachgeschäft sucht man vielleicht jemanden, der berät, im Supermarkt, der kassiert. Das soll gar keine Kritik sein, anders würde das Leben gar nicht funktionieren, nicht jeder Kontakt kann ein tiefgründiges Gespräch sein. Aber eben danach sehnt sich der Mensch, ja er sehnt sich nach mehr, nach einer echten, tiefen Begegnung, die nicht von Vorbehalten, nicht von einem auch teilweisen Sich-Verschließen geprägt ist. So tief, so wunderschön und bereichernd menschliche Begegnungen auch zweifellos sein können, diese Offenheit und Dichte werden sie nie erreichen. Die Suche nach Gott ist daher auch die Suche nach dieser letzten erfüllenden Offenheit und Beregnung. Und deshalb schärft die Suche nach Gott auch den Blick für die Menschen. Man bekommt ein Gespür für das Unechte in Begegnungen, für den Versuch, den anderen über den Tisch zu ziehen. Je mehr ich etwas von Gott ahne, desto feiner wird dieses Gespür für das Unechte, für das Falsche im Menschen. Ich sage bewusst: wenn man Gott ahnt . . . Die Suche nach Gott ist nichts, was abgeschlossen werden kann. Der Religionsphilosoph Erich Przywara hat ein Wort des heiligen Augustinus einmal so wiedergegeben: „Wir suchen Gott, um ihn zu finden, und wir finden ihn, um ihn wiederum zu suchen.“

Die Suche nach Gott ist nicht naiv, im Gegenteil. Sie geht von einer realistischen Sicht auf den Menschen aus und schärft den Blick für das Unechte in Begegnungen. Sie kann nicht gesellschaftliches, politisches Engagement ersetzen, aber sie gibt diesem erst die Grundlage, indem sie nach dem sucht, was den Menschen heilt und erfüllt, und nach dem, was uns Menschen verbindet und deshalb verbindlich ist. Doch ein Grundfehler wäre zu sagen, also müssen wir doch irgendwie Gott suchen, weil das dem Zusammenhalt dient. Wenn ich Gott nur suche, weil ich etwas damit bezwecken will, geht es schief, dann schleicht sich das Unechte in eine Begegnung, so wie Herodes die Sterndeuter nur ausnützen will, um den vermeintlichen Rivalen zu beseitigen, so geht es nicht. Ich finde auch keinen Freund, wenn ich sage, ich bin einsam und deshalb suche ich irgendeinen, egal wen. Nur wenn ich den anderen um seiner selbst willen als Freund annehme, erfahre ich, dass er meine Einsamkeit vertreibt.

Die Suche nach Gott ist nicht naiv, im Gegenteil. Sie geht von einer realistischen Sicht auf den Menschen aus und schärft den Blick für das Unechte in Begegnungen. Eben weil er um das Unfertige, das Falsche im Menschen weiß, sucht er nach dem, der erfüllen und heilen kann. Eben weil er nach der Offenheit und Dichte tiefster Begegnung sucht und solche vielleicht schon ahnt, entwickelt er ein Gespür für das Unechte in Begegnungen. Die Suche nach Gott kann und darf aber nicht verzweckt werden, weil das Ganze dem Zusammenhalt dient oder ein paar Werte liefern soll, so wird alles zerstört, wie eine Freundschaft zerstört wird, wenn ich dem anderen sage, ich bin nur bei ihm, weil ich nicht einsam sein mag. Letztlich suche ich Gott, weil ich nicht anders kann, weil er der Grund von allem, die letzte Erfüllung ist, so wie die Sterndeuter: Sie kommen, um ihn anzubeten.