Gott antwortet auf unsere Sehnsucht nach Lösung und Klarheit!

1. Adventssonntag (Lesejahr C, 1 Thess 3,12-4,2; Lk 21,25-28.34-36)

Alle Jahre wieder klafft der Widersprich auf: zwischen vorweihnachtlicher Tannenbaum- und Glühweinseligkeit und den herben Bibeltexten des ersten Advents. Können wir mit der Botschaft vom Letzten Gericht noch etwas anfangen, können wir sie als Frohe Botschaft verstehen?

„Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt“, sagt Jesus im heutigen Evangelium, und im ersten Thessalonicherbrief des Apostels Paulus heißt es: „Der Herr lasse euch wachsen und reich werden in der Liebe zueinander und zu allen,

wie auch wir euch lieben, damit eure Herzen gestärkt werden und ihr ohne Tadel seid, geheiligt vor Gott, unserem Vater, bei der Ankunft Jesu, unseres Herrn“. Sowohl die Worte Jesu als auch des Apostels appellieren an die Freiheit des Menschen: Du kannst dein Leben gestalten, also pass auf, was du damit tust! Auch ohne an dieser Stelle eine ganze Theorie der Freiheit aufstellen zu wollen oder zu können, fällt doch auf, dass hier eine sehr realistische und alltagstaugliche Sicht der Freiheit vorausgesetzt wird. Freiheit hat Folgen. Was banal klingt, ist eine entscheidende Erkenntnis, die in ihrer Konsequenz m.E. heutzutage von zu vielen nicht vollständig begriffen wird. Wir Menschen treffen Entscheidungen, manche davon sind falsch, manche übereilt, manche auch hilflos, weil wir gar nicht wissen, was richtig oder falsch ist. So mag in einer schweren Zeit sowohl ein guter Freund wie auch die Ehefrau Zeit und Unterstützung erwarten und es gibt einfach keine Lösung, ohne einen von beiden zu verletzen. So verstricken wir uns in einem Netz aus Schuld, Fehleinschätzungen und Hilflosigkeiten, aus dem wir nicht mehr herausfinden. Im Leben der Einzelnen mag das unterschiedlich ausgeprägt sein, aber ich meine, wer sein Leben aufmerksam lebt, kennt diese Erfahrung in der einen oder andern Weise. Darum gibt es im Leben des Menschen eine Sehnsucht nach Lösung und Klarheit.

An genau dieser Sehnsucht nach Lösung und Klarheit setzt die Botschaft des Evangeliums an. Wenn wir vom Jüngsten oder Letzten Gericht sprechen, so ist damit keine Gerichtsverhandlung gemeint, es handelt sich nur um ein mehr oder weniger gelungenes Bild für die Art und Weise, wie Gott auf diese Sehnsucht antwortet, nicht indem er von oben herab einen Richterspruch verkündet und etwas von außen aufzwingt, sondern indem er das Geschehene ernst nimmt und gerade darin die Lösung entdeckt. Gottes Gericht ist nicht einfach ein Zerstören des Geschehenen, sei es auch noch so verworren, sondern ein Lösen der verschiedenen Fäden, wie es uns Menschen unmöglich ist. Das so genannte Jüngste Gericht ist nicht Entfaltung eines göttlichen Machtanspruchs, sondern Lösung des bisher Unlösbaren. Die Lesung aus dem ersten Thessalonicherbrief betont, dass der Weg zur Vorbereitung auf das Gericht die Liebe ist. Die Liebe baut auf, hilft, stärkt und zerstört nicht einfach. Manchmal muss die Liebe auch korrigieren. Die Erfahrung – so meine ich – bestätigt es: je komplizierter, je verworrener eine Situation ist, desto weniger wird die Lösung auch einfach die Bestätigung meiner Position sein, desto eher muss auch ich bereit sein einen manchmal auch schmerzhaften Beitrag zur Lösung zu leisten. Das gilt auch für das Letzte Gericht.

Eben weil wir Menschen die Lösung und die Klarheit, nach der wir uns sehnen, nicht schaffen können, überschreitet dieses göttliche Tun unser Fassungsvermögen, aber die Worte Jesu lassen uns doch ahnen, mit welchem menschlichen Tun wir das Letzte Gericht zumindest vergleichen können. Immer wieder spricht Jesus von der Erschütterung des Bestehenden, von der notwendigen Wachsamkeit, ja auch vom Ans-Licht-Kommen des Verborgenen. Das göttliche Gericht ist ein Aufdecken und Sichtbarmachen. Ich glaube, die meisten Menschen kennen diese Erfahrung: Wie viel Not, wie viele Wunden gehen aus Täuschung hervor, wie viel Schuld erwächst aus dem Wunsch, etwas zu verbergen. Und wie nahe kommt man oft schon der Lösung, wenn man den Mut hat, etwas einzugestehen und die Täuschung zu beenden. Das gibt uns zumindest eine Ahnung, wie Gott unsere Sehnsucht nach Lösung und Klarheit beantwortet.

Das Gericht ist ein Aufdecken und Entdecken und damit für den Menschen ein Verstanden-Werden, ein Richtig-Gesehen-Werden. Wie groß ist gerade heute die Sehnsucht der Menschen, richtig gesehen zu werden. Menschen verbringen viel Zeit damit, sich auf bestimmten Internetseiten zu präsentieren oder gar im Fernsehen. Sie wollen verstanden werden, in einer bestimmten Weise gesehen werden, doch keiner kann in einen anderen hineinsehen, seine ganze Geschichte und all seine Motive vor Augen haben, nicht einmal in Bezug auf sich selbst ist das möglich. Gott allein kann es. Das Gericht ist auch ein Verstanden-Werden, ein Richtig-Gesehen-Werden.

Passt nun also die Botschaft des Neuen Testaments vom Letzten Gericht noch zum modernen Menschen? Sie passt zu allen Zeiten und deshalb auch in unseren Tagen, auch wenn heute der Blick darauf mehr verstellt ist als in vergangenen Zeiten, wofür die Kirche wohl auch Verantwortung trägt, aber gewiss nicht allein. Die Freiheit des Menschen, die wir heute so sehr schätzen und die unser Selbstbild in so hohem Maße prägt, hat Folgen, und zwar oft genug solche, die uns nicht gefallen. Durch unsere Entscheidungen verstricken wir uns nach und nach in einem Netz aus Fehlern, Schuld und Hilflosigkeiten, selbst wenn wir uns noch so sehr mühen. Gott allein kann unsere Sehnsucht nach Lösung und Klarheit beantworten. Er tut das nicht, indem er uns von außen einen Richterspruch aufzwingt, sondern indem er das Geschehene ernst nimmt und gerade darin die Lösung entdeckt. Gottes Gericht ist nicht ein gewaltsames Zerschlagen unseres verworrenen Lebens-Knäuels, sondern ein Lösen der verschiedenen Fäden. Gottes Gericht ist ein Sichtbarmachen, ein Aufdecken, ja im Blick auf den Menschen ein Verstehen. So wird das wahr, was der Prophet Jesaja folgendermaßen sagt: „denn dein Gericht ist ein Licht für die Welt“.