Wir glauben, darum reden wir!

10. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B; 2 Kor 4,13-5,1; Mk 3,20-35)

Die neutestamentliche Lesung und das Evangelium spiegeln in gewissem Sinne das Schicksal des christlichen Glaubens — gerade in unserer Zeit — wider. Auf der einen Seite haben wir Paulus, der eine echte Hoffnungsbotschaft verkündet. Trotz aller Bedrängnisse, denen der Mensch ausgesetzt ist, gibt es eine tiefere Wirklichkeit, die stärker ist als alles, was dem Menschen Angst macht. Man spürt regelrecht, wie diese Hoffnung in ihm überschäumt: Wir glauben, darum reden wir, sagt er. Auf der anderen Seite erscheint das Evangelium eher dunkel und fremd. Vom Bösen ist die Rede und davon, wie Jesus seine Familie zurückweist. Zeigt sich darin nicht unser Problem? Wir meinen, eine Hoffnungsbotschaft zu verkünden, während viele Menschen unsere Botschaft als altmodisches Geschwätz vom Bösen und als sektenähnliche Spaltung wahrnehmen — frei nach den Worten Jesu: Ihr da draußen gehört nicht dazu, wir sind die wahre Familie Gottes! Was ist unsere Botschaft nun — Hoffnung oder sektenähnlicher Spaltpilz?

Wenn wir uns die kleine Szene im Evangelium näher ansehen, so wird sich zeigen, dass das, was Jesus sagt und tut, eben der Inhalt der Hoffnung ist, die wir verkünden. In den Worten über das Böse sagt Jesus letztlich, dass er stärker ist als alles Böse. Das ist doch unsere Hoffnung, dass wir mit Jesus alles, was das Leben bedroht, was Leid, Schmerzen und Tod verursacht, überwinden können. Jesus stellt klar, dass jeder, der seiner Botschaft folgt, als sein Bruder bzw. seine Schwester Kind Gottes sein kann. Gott, der alles, was das Leben bedroht, überwinden kann, lädt uns alle ein, seine Kinder zu sein. Das ist unsere Hoffnungsbotschaft. Wer darin etwas sieht, das spaltet, übersieht Wesentliches. Zum Menschen gehört unausweichlich die Frage: wer bin ich — oder auch: wer sind wir? Denn wir Menschen leben ebenso unausweichlich in irgendeiner Form aufeinander bezogen. Doch jede Antwort auf die Frage nach der Unverwechselbarkeit der eigenen Person oder Gruppe ist immer auch eine Abgrenzung. Jedes Profil eines Gesichts, das ich auf ein Stück Papier zeichne, besteht aus einer Linie, einer Grenzlinie. Das Besondere des Profils, das Jesus hier verkündet, ist aber, dass jeder eingeladen ist, jeder kann Kind Gottes werden, draußen muss nur der bleiben, der das will.

Wenn nun dieser eingangs beschriebene Widerspruch so aufgelöst ist, bleibt die Frage, warum dies für so wenige Menschen heutzutage einsichtig ist. Mein Eindruck ist, dass das Wesen der Hoffnung immer weniger verstanden wird. Die moderne Wissenschaft hat uns mit zahllosen Statistiken ausgestattet, die uns bestimmte Erwartungen an die Zukunft geben, manche positiv, manche negativ, vor allem letztere laden dann zu einem bestimmten Engagement ein, man denke an den Klimawandel. Gleichzeitig gibt es immer noch den Glauben an den Fortschritt, den uns das 19. und 20. Jahrhundert gebracht haben. Alles wird sich — mit ein paar Rückschlägen vielleicht — aufs Ganze gesehen zum Besseren entwickeln. Letztlich bedeutet Hoffnung in einer solchen geistigen Atmosphäre, dass die Dinge irgendwie berechenbar sind, sich im Rahmen dessen halten, was Statistiken zumindest als wahrscheinlich ansehen. Zukunft scheint — irgendwie — Fortschreibung der Gegenwart zu sein. Mag diese Sicht der Dinge in den letzten Jahren erschüttert worden sein, sie lebt immer noch weiter. Hoffnung ist etwas anderes, sie bedeutet — wie Paulus sagt — nach dem Unsichtbaren auszublicken. Hoffnung rechnet mit dem anderen, Größeren, Nicht-Fassbaren. Ein Historiker schrieb in einer Analyse unserer Gegenwart, es kommt anders, es als früher war, und anders als geplant. Der Mensch will Hoffnung aus dem, was er planen und berechnen kann, schöpfen — und das klappt doch nicht. Hoffnung kommt aus dem Unsichtbaren, dem Nicht-Fassbaren und Nicht-Berechenbaren — d.h. aus Gott. Für den Menschen unserer Zeit eine schwierige Erkenntnis.

Was den Menschen unserer Zeit ebenfalls befremdet, ist der Sieg Jesu über das Böse. Man redet nur noch von „Richtig“ und „Falsch“. Letztere beziehen sich auf einen bestimmten Blickwinkel, auf eine vom Menschen gemachte Ordnung. Gut und Böse hingegen sind absolute Wertungen, unabhängig vom Blickwinkel, bezogen auf eine nicht vom Menschen gemachte, letztlich gottgegebene Ordnung. Trotz seiner Abneigung gegen Gut und Böse kommt der Mensch vom Bösen nicht los. Wenn es um Völkermord und andere Abscheulichkeiten geht oder um die Ermordung eines Kindes, dann ist das Böse doch da, es bricht aus, man weiß nicht woher. Ist es nicht sinnvoller anzunehmen, dass es das Böse gibt — auch im Kleinen? Augustinus sagte, das Böse ist die radikale Verneinung dessen, was sein soll, des Guten. Gibt es nicht dieses abscheuliche Böse, das für alle sichtbar ist, weil es auch das kleine, alltägliche Böse gibt, die Absage an das, was sein soll — aus Wut, aus Frustration, aus Langeweile? Diese Absage an das, was sein soll, mag oberflächlich und beiläufig sein, oder tiefgreifend und anhaltend wie bei den Grausamkeiten, die uns die Geschichte lehrt, sie ist letztlich immer ein radikales Nein zum Leben. Dieses radikale, also an die Wurzel gehende Nein kann nur durch ein ebenso an die Wurzel gehendes Ja geheilt werden, ein Ja ohne Einschränkungen und Zweideutigkeiten, das kann nur das Ja Gottes sein. Nicht nur das Gute ist — wie Menschen Gott sei Dank auch erfahren — wirklich, sondern auch das Böse. Doch zerstören kann jeder, aufbauen nicht. Das Nein des Bösen kann nur geheilt werden durch das Ja Gottes.

So schwierig es in unserer Kirche gerade sein mag, da wir um neue Strukturen ringen, immer weniger Menschen zu uns kommen, vergessen wir nie, dass wir eine Hoffnungsbotschaft haben, Jesus ist stärker als alles Böse, als alles, was das Leben bedroht, auch wenn der Weg über das Kreuz führt. Hoffnung erwächst nicht aus Statistiken, sondern setzt auf das Nicht-Fassbare, auf Gott. Nicht nur das Gute ist wirklich, auch das Böse als Absage an das, was sein soll, an das Leben. Das radikale Nein des Bösen kann nur geheilt werden durch das radikale Ja Gottes. Möge es uns gehen wie Paulus: dass wir überströmen von der Hoffnung, die uns erfüllt. Wir glauben, darum reden wir!