Ob sie hören oder nicht, sie müssen erkennen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war

14. Sonntag im Jahreskreis (Ez 1,28b-2,5, Mk 6,1b-6)

Eine Erfahrung, die wohl jeder Mensch kennt, ist das Scheitern. Es gibt viele kluge und auch weniger kluge Ratschläge, wie man damit umgehen kann. Viele dieser Ratschläge enthalten ein Körnchen Wahrheit, viele entpuppen sich angesichts der harten Realität des Scheiterns als wenig hilfreiche Floskeln. Die biblischen Texte dieses Sonntags erzählen auch vom Scheitern, das Christentum ist die einzige Religion, die ein Zeichen des Scheiterns — das Kreuz — in ihrem Mittelpunkt hat. Wie sollen wir als Glaubende also umgehen mit dem Scheitern?

Die erste und wichtigste Antwort auf diese Frage ist die österliche. Dass Kreuz u n d Auferstehung im Mittelpunkt unseres Glaubens stehen, bedeutet, dass Scheitern niemals endgültig ist. So groß diese Antwort auch ist, sie nimmt die Nöte des Alltags nicht hinweg. Schauen wir auf den Propheten Ezechiel und auf Jesus, ob wir — getragen von der österlichen Zuversicht — für unseren Alltag etwas lernen können.

Die Berufung des Propheten Ezechiel lädt ja nicht gerade zu großer Zuversicht ein. Er wird zu Leuten „mit trotzigem Gesicht und hartem Herzen“ gesandt. Wenig ermutigend, doch dann sagt Gott das entscheidende Wort: „Ob sie dann hören oder nicht . . . sie werden erkennen müssen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war.“ Es ist dir nicht verheißen, Ezechiel, dass du mit deiner Botschaft Erfolg haben wirst, denn die Leute möchten zu keiner Zeit eine Botschaft hören, die sie aufrüttelt, die sie n i c h t in ihrem bequemen Leben bestätigt. Wahrscheinlich wirst du also keinen Erfolg haben, aber eines ist sicher: Du wirst ein Prophet sein, du wirst sein, was deiner innersten Berufung entspricht. Ist das nicht die wichtigste Zusage? Wir sind mehr und mehr gewohnt, alles nach Erfolg zu messen, jede Anstrengung muss meist einen Zuwachs an Geld oder Ansehen bedeuten. Warum eigentlich? Ist nicht wichtiger, dass ich meine Berufung gelebt, meine Begabungen entfaltet habe? Der äußere Erfolg hängt von so vielen Faktoren ab, die ich nicht in der Hand habe. Anstatt unter allen Umständen nach einem messbaren Erfolg zu suchen, sollten wir viel öfter fragen: durfte ich leben, was meinem innersten Wesen, was meiner Berufung, meinen Begabungen entspricht? Wenn es um existentielle Nöte geht, mag das zu einfach erscheinen, aber manchmal ist das der einzige Strohhalm, der bleibt: Du magst scheitern oder nicht: „Sie werden erkennen müssen, dass mitten unter ihnen ein Prophet war.“

Für Jesus hingegen scheint zunächst alles gut zu laufen. Die Leute staunen über seine Weisheit. So weit, so gut, aber dieses Mal ist es seine Heimatstadt, und die Leute fragen: „Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria?“ Den kennen wir von Kindesbeinen an, der ist doch nichts Besseres als wir, der hat uns gar nichts zu sagen. Man kann es sich wahrhaft bildlich vorstellen, wie so etwas abläuft. Dass sie ihn von früher her kennen, lässt seine Glaubwürdigkeit in ihren Augen zusammenbrechen. Fehlende Glaubwürdigkeit ist immer wieder ein Grund für Scheitern, und so lohnt es sich genauer hinzusehen. Offenbar ist Glaubwürdigkeit stark, wo sie von einem Hauch von Fremdheit und Nicht-Wissen umgeben ist. Der, mit dem ich auf der Straße gespielt habe, den ich weinen und lachen sah, der kann doch nichts Besonderes sein. Warum eigentlich? Der andere, den ich vielleicht als glaubwürdiger einstufe, war auch mal Kind, hat mit jemand anderem gespielt. Glaubwürdigkeit im Kleinen entsteht eher durch Vertrautheit, im Großen braucht sie eher den Hauch von Nicht-Wissen und Fremdheit, weil man sonst an sich zweifeln würde: warum bin ich nicht drauf gekommen? Ist das nicht unsinnig? Ist Wissen für die Entscheidung, ob ich jemandem glaube, nicht ein Vorteil? Wenn ich jemanden kenne, kann ich doch eher beurteilen, ob er glaubwürdig ist, ob er wirklich einen Neuanfang gemacht hat. Echte Weisheit beruht oft — vielleicht in gewissem Sinne immer — auf einem Neuanfang. Wir sollten nicht wie die Menschen von Nazareth jemanden für unglaubwürdig halten, nur weil wir ihn schon länger kennen. Das sollte eher eine Chance sein, von demjenigen etwas anzunehmen.

Wenn wir über das Scheitern nachdenken, sollten wir uns eines eingestehen. Es gibt auch ein endgültiges Scheitern, das nicht einfach zur Chance werden kann, das eine letzte Grenze ist, die nicht zu überwinden ist. Von Jesus heißt es, er konnte in seiner Heimat kein Wunder tun. Wir wissen es nicht, aber es liegt nahe, dass die Menschen seiner Heimat ihn endgültig abgelehnt haben. In unserem Leben kann ein solch endgültiges Scheitern z.B. eine nicht erfolgte Versöhnung mit jemandem sein, der gestorben ist. Das ist nicht mehr zu ändern, eine letzte Grenze. Diese schmerzhafte Erfahrung einer letzten Grenze deutet hin auf den lebendigen Gott. Warum ist dieser Schmerz so, wie er ist? Er ist die Erfahrung einer nicht überwindbaren Grenze und zugleich die Ahnung, dass es jenseits dieser Grenze etwas geben könnte, das heilen, helfen könnte, das ich aber nicht erreichen kann — eben darum ist es so schmerzhaft. Dieses „Jenseits der Grenze“, das ist der lebendige Gott, den wir in unserem Schmerz — bewusst oder unbewusst — ahnen. Wir können ihn nicht aus eigener Kraft erreichen, aber als Christen glauben wir, dass er auf uns zukommt in Jesus Christus und so den Tod besiegt.

Die österliche Hoffnung ist sozusagen die Grundmelodie unseres Umgangs mit dem Scheitern, aber sie braucht immer wieder Auslegung auf den Alltag hin. Die Berufung des Ezechiel erinnert daran, dass es wichtiger ist, die eigene Berufung zu leben, das, was mir entspricht, als immer ein messbares Ergebnis zu haben. Jesu Scheitern in seiner Heimat mahnt uns, jemanden nicht schon deshalb für unglaubwürdig zu halten, weil wir ihn schon lange kennen, Glaubwürdigkeit sollte nicht von einem Hauch von Fremdheit umgeben sein, wenn ich jemanden kenne, kann ich doch eher beurteilen, ob seine Weisheit nur Theater ist oder nicht. Letztlich ist die schmerzhafte Erfahrung endgültigen Scheiterns die Ahnung eines Jenseits der Grenze, das helfen könnte, das wir aber nicht aus eigener Kraft erreichen können. Dies ist der lebendige Gott, der uns in Christus begegnet und zu heilen vermag, was diese Welt nicht heilen kann.