Christus wartet hinter der Fassade!

2. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B; 1 Sam 3,3b-10.19; Joh 1,35-42)

„Kommt und seht!“, so lädt Jesus die ersten ein, die sich für ihn und seine Botschaft interessieren. Ein bisschen Neid regt sich da bei mir, wie einfach hatten es die ersten Jünger — so scheint es jedenfalls. Du willst wissen, wer Jesus ist, was es mit seiner Botschaft auf sich hat, ob er glaubwürdig ist? Nichts leichter als das. Komm und sieh! Man kann nun entgegnen, das ist doch auch heute irgendwie möglich, ja müsste, sollte geschehen, dass wir Menschen einladen, damit sie kommen und sehen, damit sie Kirche erleben und in ihr Jesus und seine Botschaft. Aber was sehen Menschen, wenn sie zu uns kommen, oder wenn sie uns wenigstens im Spiegel der Medien wahrnehmen? Eine erschöpfte Kirche, eine Kirche, die süffisant auf die Fehler ihrer näheren und ferneren Vergangenheit hingewiesen wird, eine Kirche, die Ritualen folgt, die man nicht mehr versteht. Symbole seien das, die für das stehen, was man nicht sehen kann, aber kaum jemand kann in der Bilderflut unserer Zeit damit noch etwas anfangen. Was lehrt uns hinter die Dinge zu sehen, damit wir auch heute noch Jesus begegnen?

Die meisten heutzutage kommen wohl gar nicht mehr auf die Idee, man müsse hinter die Dinge schauen, alles liegt doch offen zutage, kann jederzeit im Internet abgerufen werden, hinter die Dinge schauen — das passt vielleicht zu einer hinterwäldlerischen Vergangenheit, aber nicht zur Gegenwart. Wer so denkt, wird in seinem Leben öfter auf die Nase fallen, denn nichts im Leben ist immer so, wie es nach außen scheint. Ein Lächeln kann ganz Unterschiedliches bedeuten: Zuneigung, Erleichterung, dass der andere einen nicht durchschaut hat — oder einfach Gleichgültigkeit. Ein Geschenk kann Dankbarkeit ausdrücken oder den Wunsch, vom anderen zu profitieren. Das Leben zu meistern bedeutet oft genug hinter die Fassade zu blicken. Vielleicht hat also der Glaube mit seiner Auffassung, dass da hinter den Dingen noch etwas ist, nicht so unrecht. Was aber hilft zum Blick hinter die Fassade?

So banal es klingt: schauen und hören lernen. Die Bilder- und Informationsflut unserer Zeit hat unsere Aufmerksamkeitsspanne so reduziert, dass beides immer weniger möglich ist. Wenn ich wissen will, was das Lächeln eines anderen bedeutet, muss ich wirklich hinschauen, nicht nur flüchtig beobachten. Fühlt er sich wohl, oder schaut er an mir vorbei? Auch die biblischen Texte zeigen diese notwendige Geduld. Samuel muss ein paar Mal von Gott angerufen werden, bis er mit Hilfe des Eli versteht. Die beiden Männer, die Jesus einlädt, bleiben den restlichen Tag bei ihm, und vielleicht muss man sagen, es dauerte bis Pfingsten, bis sie wirklich verstanden haben. Es geht dabei nicht immer nur um Zeit, sondern darum wirklich zu schauen und zu hören — und nicht wieder in Gedanken schon weiter zu sein oder schon im Voraus zu wissen, was Sache ist — so wie Samuel schon weiß, dass Eli gerufen hat, wer auch sonst? Romano Guardini hat einmal gesagt, dass der Gottesdienst auch vom Schauen lebt. Nach der Wandlung wird die Hostie erhoben, gezeigt, soll geschaut werden. Brot im chemischen Sinne, ja, aber in einem tieferen Sinne nicht mehr, sondern Christus selbst. Komm und sieh, sei da in diesem Augenblick, ganz hier, und sieh, was passiert. Es gibt da keinen Automatismus, kein garantiertes Event, das ist letztlich etwas Totes, Begegnung ist lebendig und nicht machbar, nicht automatisch. Ich bin davon überzeugt, dass wir zu solch grundsätzlichen, manchmal auch banal scheinenden Überlegungen zurückkommen müssen, wenn es um den Glauben in unserer Zeit geht. Es ist wie bei einem Kranken, der an einer bestimmten Stelle seines Körpers über Schmerzen klagt, und der Arzt muss ihm erklären, dass der Entzündungsherd, der alles verursacht, anderswo liegt.

Schauen und hören lernen — so lernen wir auch hinter die Dinge zu sehen, den Unsichtbaren, aus dem wir kommen und in dem wir sind, zu ahnen: Gott selbst. Aber ist das wirklich so? Hinter die Dinge zu blicken heißt auch darauf zu achten: was reizt meine Sehnsucht? Nicht einfach: was erfüllt meine Sehnsucht? Das wäre zu einfach, zu mechanisch, da geht es dann zu sehr um das, was ich sehen möchte. Nein, hinter die Dinge zu blicken fange ich an, wenn ich spüre meine Sehnsucht wird gereizt, da ist also etwas, das mich berührt, meine Sehnsucht anspricht, aber nicht einfach Erfüllung ist, sondern mich auch fordert, fragt, zieht — nicht einfach im Sinne eines Abenteuers, sondern tiefer, nicht abschätzbar. Wahrscheinlich war das auch die Erfahrung der Jünger, sie blieben bei Jesus, auch wenn sie ihn nicht immer verstanden, aber da war etwas, sie blieben, fragten, schauten, hörten.

Ist das nicht auch ein Argument dafür, dass Gott wirklich in unserem Leben steht? Wir Menschen haben eine Sehnsucht nach Leben und Liebe ohne Grenzen und Lasten, und auch wenn das heute kaum noch einer so nennen mag: das ist die Sehnsucht nach Gott. Aber gibt es auch den, der diese Sehnsucht erfüllt? Man kann sich ja vieles einbilden. Ein Gott, der diese Sehnsucht einfach erfüllt, der wäre wirklich Einbildung, denn der wahre Gott ist unauslotbare Tiefe, er reizt unsere Sehnsucht, aber es gibt immer noch mehr, weil er immer, bis in Ewigkeit der Größere ist. Erfüllte Sehnsucht kann man sich einbilden, aber diese Sehnsucht, die gereizt, gefordert wird, ist das nicht der wirkliche Gott, der in unserem Leben steht und ewig ist?

 

„Kommt und seht!“, so lädt Jesus ein. Auch die Jünger mussten hinter die Dinge schauen, um im Zimmermann aus Nazareth den Sohn Gottes zu entdecken. Wir müssen wieder schauen und hören lernen, um hinter die Dinge zu blicken. Dann sehen wir nicht nur eine Kirche mit Fehlern, sondern auch Menschen, die Gott suchen, dann sehen wir nicht nur Brot, sondern glauben an Gott, der sich für uns hingibt. Wir lernen zu schauen und zu hören, wenn unsere Sehnsucht gereizt wird, der Ewige ist nicht einfach Erfüllung, er berührt, zeigt und fordert. Komm und sieh!