Ein neues Denken

15. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B; Mk 6,7-13)

Als die Jesuiten im 16. Jahrhundert zum ersten Mal nach Deutschland kamen, versuchten sie die Missionsregel, die wir eben gehört haben, wörtlich umzusetzen: „an den Füßen nur Sandalen“. Sie merkten schnell, dass diese Vorgabe im deutschen Winter nicht beizubehalten ist. Also weg mit den Anweisungen, die Jesus den Zwölf gibt, sie passen nicht?! So würde man heute wahrscheinlich vorgehen. Das ist eben die einfachste, naheliegende Möglichkeit — eine Möglichkeit, die wir uns als Christen nicht leisten können, da wir diese Botschaft doch als Heilige Schrift verehren. Wie also gehen wir mit den Anweisungen Jesu, wie der Glaube zu verkünden sei, um?

Es ist nicht ganz einfach, sich in diese Situation der ersten Jünger und ihrer Aussendung hineinzuversetzen — und das nicht nur wegen bestimmter Äußerlichkeiten wie die kalten Winter, die das Tragen von Sandalen eher unangenehm machen. Hier beginnt etwas ganz klein, unscheinbar — und vielleicht eben deshalb mit um so größerer Leidenschaft. Der Rabbi — man könnte das mit „religiöser Lehrer“ übersetzen — Jesus wählt zwölf Männer aus und bevollmächtigt sie, seine Botschaft zu verkünden. Sie sind neu in diesem „Geschäft“ — wenn man so sagen will —, gespannt, aufgeregt, voller Leidenschaft, ihre Aufgabe zu tun. Wie ganz anders sieht es bei uns aus. Mission, Weitergabe des Glaubens nicht nur an Kinder, sondern als öffentliches Zeugnis meines Glaubens ist ein Fremdwort geworden. Glauben ist Privatsache, jeder soll halt glauben, was er will — solche und ähnliche Sätze hört man oft. Wie soll Glaube — auch an die eigenen Kinder — weitergegeben werden, in einer solchen Atmosphäre der Gleichgültigkeit? Kirche wird als Bewahrerin von Kultur, Dorfleben, von bestimmten Gewohnheiten geschätzt, alles soll halt so bleiben, wie es ist. Mit dem Evangelium hat das kaum etwas zu tun. „Wenn man . . . euch nicht hören will, dann geht weiter“, sagt Jesus. Beweglichkeit, innere Freiheit, Neuanfang — das zeichnet den Boten des Evangeliums aus, nicht Bewahren um jeden Preis. Die vollständige Konzentration auf seine Aufgabe, das ist das Ergebnis der Anweisungen Jesu. Sie „riefen die Menschen zur Umkehr auf“, heißt es im Evangelium. Das Neue Testament ist in altgriechischer Sprache verfasst, man könnte diese Worte auch so übersetzen: Sie verkündeten ein neues Denken, ein Umdenken. Veränderung beginnt im Kopf. Als Kirche stehen wir in unseren Tagen vor großen Herausforderungen. Ecclesia semper reformanda — so heißt ein alter Spruch, die Kirche muss immer neu ihre Form an das Evangelium anpassen. Wir brauchen die innere Freiheit, die Jesus von seinen Boten fordert, nicht Gewohnheiten verkünden sie, sondern das Evangelium. Tertullian, ein Theologe der frühen Kirche, sagte: Christus hat sich die Wahrheit genannt — nicht die Gewohnheit.

Wenn wir versuchen uns wirklich in die Situation der ersten Jünger, die Jesus sendet, hineinzuversetzen, begegnet uns fast von allein die Frage, ob das auch vernünftig ist. Vielleicht hat der eine oder andere der Zwölf während seines Auftrags ebenfalls mehr oder weniger leise Zweifel. Soll das ernsthaft die Botschaft Gottes sein, die so klein und unscheinbar den Menschen begegnet — als Mensch unserer Zeit mag man hinzufügen: so ineffizient? Ein paar dahergelaufene Kerle, Fischer und ähnliches, auf einem winzigen Fleckchen Erde am Rande des Römischen Reiches? Doch in dieser Unscheinbarkeit leuchtet Gott auf. Gott ist im Kleinen, das leicht übersehen wird, im keimhaften Neuanfang gegenwärtig, denn der Anfang ist der Abglanz der Ewigkeit. Wo alles fertig, geklärt, groß, pompös und abgeschlossen ist, da weht auch der Wind der Vergänglichkeit. Im Neuanfang, im Kleinen, im keimhaften Beginnen — man denke auch an das Gleichnis vom Senfkorn —, da kann etwas von Gott geahnt werden, der leise Neubeginn ist am ehesten ein Bild für die Ewigkeit, das Fertige, Große, Abgeschlossene, das ist irgendwie auch schon wieder abgestanden und vergangen. Denken wir auch an unsere Sakramente, sie sind kleine unscheinbare Zeichen, nichts Großes, Umwerfendes: Wasser, Brot, Wein, Öl — und gerade in ihnen begegnet Gott. Im Evangelium hören wir auch vom Ursprung der Krankensalbung: sie „salbten viele Kranke mit Öl“. Der leise, keimhafte Neuanfang lässt uns etwas von der Ewigkeit ahnen. Diese Einsicht ist aber auch missverständlich, so als sei der Neuanfang etwas, das ich künstlich ständig neu herzustellen habe, indem ich einfach Brücken abbreche, Menschen im Stich lasse. Das ist nicht gemeint, es geht nicht um Naivität und Untreue. Es geht um eine innere Haltung, wie sie auch große Lehrer des geistlichen Lebens lehren. Im geistlichen Leben muss ich immer ein Anfänger sein, darf nie denken, jetzt habe ich es, bin vielleicht der Größte. Jeder Morgen ist ein neuer Anfang mit Gott, der sich auf seine Weise schenkt, nicht, wie ich es will.

Ist es nicht auch so, dass ein kleines Wort, eine kurze Begegnung oft mehr in uns auszulösen, zu verändern vermag als ein großer Plan, wie ich mein Leben umzustellen habe? Das Wort, der Blick, die Begegnung, die den rechten Punkt treffen, können mehr in Bewegung setzen. So schickt Jesus seine Zwölf unter die Menschen, auf dass sie ein neues Denken, ein Umdenken verkünden.

Es geht nicht darum, die Missionsregel, die Handlungsanweisung Jesu für seine ersten Boten, wörtlich umzusetzen, es geht darum, ihrem Geist entsprechend zu handeln. Für uns hat Kirche heute oft mit dem Bewahren, mit vertrauten Gewohnheiten zu tun. Jesus fordert von seinen Jüngern etwas anderes. Beweglichkeit, innere Freiheit, Neuanfang — das zeichnet den Boten des Evangeliums aus. Kirche hat sich zu allen Zeiten verändert, und sie wird sich verändern. Das Entscheidende ist das Evangelium. Die Sendung der ersten Jünger war eine kleine, überschaubare Angelegenheit, doch gerade im Kleinen, im keimhaften Neuanfang begegnet uns Gott, denn im leisen Neubeginn ahnen wir etwas von der Ewigkeit. Das Große, Fertige atmet doch immer auch schon den Geist der Vergänglichkeit. Manches Kleine — ein treffendes Wort, eine Begegnung — vermag oft mehr zu verändern als ein großer Plan. So gehen die Zwölf und verkünden ein neues Denken.