Drum prüfe, wer sich ewig bindet — ob sich nicht noch was Bess’res findet!

2. Fastensonntag (Lesejahr B; Gen 22,1-2.9a.10-13.15-18; Mk 9,2-10)

Wenn man einen Text erfinden wollte, in dem das meiste von dem, was Menschen unserer Tage an Religion stört, zusammengefasst ist, so könnte man sich kaum einen besseren ausdenken als die heutige Lesung aus dem Buch Genesis. Gehorsam, Opfer, Prüfung . . . alles, was heutzutage mehr als fremd erscheint, taucht in dieser kleinen Geschichte auf. Muss Gott uns denn ernsthaft prüfen? Sollen Menschen des 21. Jahrhunderts das wirklich noch glauben?

Es ist nicht einfach, sich diesem Text aus dem Buch Genesis zu stellen, er ist wohl — vorsichtig gesagt — mehr als zweieinhalb Jahrtausende alt. Wie in den meisten Büchern des Alten Testaments begegnet uns darin ein handelnder Gott, der nach unseren Maßstäben eher wie ein Mensch denkt, handelt und entscheidet — und nicht wie der souveräne, allmächtige Gott. Man mag das schnell als Bildersprache einer vergangenen Zeit abtun, und es steckt darin auch ein Körnchen Wahrheit. Natürlich spricht die Heilige Schrift in Bildern von Gott, und ein Bild ist nie einfach dasselbe wie das Original. Im Mittelalter hat ein Konzil einmal die treffende Aussage gemacht: Jedes Bild, das von Gott ausgesagt wird, enthält immer mehr Unähnlichkeit als Ähnlichkeit. Dieser Gedanke mahnt zur Vorsicht im Umgang mit Bildern in Bezug auf Gott — aber er bestätigt in dieser Vorsicht auch ihre Berechtigung. Die manchmal sehr an Menschen erinnernde Schilderung Gottes im Alten Testament ist gewiss ein Bild, aber sie sagt uns etwas Wahres über Gott. Der Gott, an den wir glauben, ist keine unpersönliche Kraft, kein blindes Schicksal, er ist ein Jemand, der handelt, der sich uns zuwendet — der uns liebt. Das mit der Liebe mag mancher vielleicht im Hinblick auf die Lesung in Frage stellen: handelt so einer, der liebt? Drum prüfe, wer sich ewig bindet — ob sich nicht noch was Bess’res findet, so rät der Volksmund. Zur Freundschaft, zur Liebe gehört in gewisser Weise das Prüfen, man überlegt, blickt zurück auf die gemeinsam erlebten Situationen und prüft so, ob der andere zu einem passt. Oft geschieht das eher unbewusst, die Spuren des Alltags prägen sich ein, und die Erfahrungen verdichten sich zu dem Urteil: das passt — oder eben nicht. Warum soll es in der Gottesbeziehung anders sein? Die Bibel sagt uns, dass Gott ein wirkliches Gegenüber ist, der liebt, der Beziehung eingeht. Ein starker Einwand liegt allerdings auf der Hand. Prüfen, die Situationen des Alltags erleben und daraus den Schluss ziehen, ob etwas passt — das gehört zu einer Beziehung, aber doch nicht dieses künstliche Auf-die-Probe-Stellen, von dem der biblische Text berichtet. Und es ist ja eine besonders grausame Probe: ein Menschenopfer, sogar das des eigenen Kindes. Nun streitet die biblische Forschung seit langem, inwiefern Menschenopfer bei den Religionen jener Zeit im Umfeld Israels üblich waren. Inzwischen geht — soweit ich sehen kann — die Tendenz dahin zu sagen, Menschenopfer waren eher der Ausnahmefall, in besonders heiklen Situationen, dann konnte es aber durchaus das eigene Kind sein. Was uns als grausame, undenkbare Abscheulichkeit erscheint, war vor zweieinhalb Jahrtausenden in jenem Umfeld vermutlich etwas Besonderes, aber in gewissem Sinne durchaus Normales — so vollkommen befremdlich es auch uns erscheint. Es geht also bei diesem Opfer gar nicht um etwas komplett Außergewöhnliches, um eine künstliche Situation, sondern um etwas, das zwar alles andere als alltäglich ist, aber durchaus zum Leben gehört. Und die Sinnspitze ist ja, dass Abraham vollkommen vertraut — und Gott eben kein Menschenopfer will. Der Gott, an den Abraham glaubt, ist anders. Gott prüft also den Menschen, aber mit aller gebotenen Vorsicht muss man sagen, der Mensch prüft auch Gott, beide schauen, ob sie miteinander können, wie es eben zu Beziehungen gehört, Gott und Mensch prüfen — nochmal sei die Vorsicht betont —, ob sie aneinander glauben können.

Und so stehen wir vor diesem tiefen Vertrauen und Glaubensgehorsam Abrahams, den beispielsweise Paulus im Brief an die Römer besonders herausstreicht — auch etwas, mit dem sich unsere Zeit schwer tut. Und auch das heutige Evangelium spricht von solchem Gehorsam. Mose und Elija erscheinen neben Jesus den Jüngern. Sie sind die Repräsentanten von Gesetz und Propheten, den wichtigsten Teilen des Alten Testaments, und weisen Jesus so als dessen Erfüllung aus. Und die göttliche Stimme fordert wieder Gehorsam: „Auf ihn sollt ihr hören.“ Versuchen wir nochmal die Parallele zur menschlichen Beziehung. Mir scheint es häufig so, dass Menschen bestimmten Situationen oder Haltungen ausweichen wollen, indem sie auf den Glauben verzichten, ihnen dann dem aber im Leben wieder begegnen. Warum handeln Menschen also so oder so — wenn kein äußerer Zwang sie nötigt? Weil sie etwas verstanden haben, weil ihnen etwas einleuchtet. Doch das Verstehen des Menschen — sei er auch noch so klug, noch so weise — ist immer begrenzt. Es kommt immer auch mindestens ein Quäntchen Vertrauen hinzu, Vertrauen ins Leben mag mancher das nennen, Vertrauen in sich selbst oder Vertrauen in einen Freund. Manchmal überwiegt das Verstehen, manchmal — gerade wenn es um einen guten Freund geht — das Vertrauen. Um wie viel mehr muss das für Gott gelten. Gott zwingt nicht, Jesus nötigt niemanden in seine Nachfolge. Mit seinen Gleichnissen lädt Jesus ein zu verstehen, und er lädt ein, ihm zu vertrauen. Darum geht es im Glaubensgehorsam, wenn wir — wie das Evangelium sagt — auf ihn hören.

Die alttestamentarische Lesung und auch das Evangelium machen es uns nicht einfach. Aus einer ganz anderen Zeit, in der wir heute leben, ist es nicht einfach, eine Brücke zu bauen — aber es ist möglich. Gott ist nicht einfach eine Kraft oder das Schicksal, er ist ein Jemand, der Beziehung zu uns sucht. Und dazu gehört auch die Prüfung, ob man zueinander passt. Gott und Mensch prüfen — das sei mit Vorsicht gesagt —, ob sie aneinander glauben können. Abraham zeigt sich als der, der Gott ganz uneingeschränkt vertraut und gehorcht. Diesen Gehorsam fordert auch die göttliche Stimme im Evangelium. Es geht nicht um Zwang — Jesus zwingt niemanden —, sondern um Freiwilligkeit. Freiwilliges Handeln ist eine Mischung aus Verstehen und Vertrauen, wenn es um einen Freund geht, überwiegt manchmal das Vertrauen. Jesus lädt uns ein, ihn zu verstehen und ihm zu vertrauen.