Beschenkter, nicht Eigentümer sein
3. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B; 1 Kor 7,29-31; Mk 1,14-20)
Wenn man sich professionell mit dem Thema Kirche beschäftigt, ist man gelegentlich überrascht, welche Vorurteile über den christlichen Glauben Immer noch existieren. Dass der christliche Glaube weltfremd sei, ist ein solches. Anstatt Menschen zu einem gelingenden Leben in dieser Welt zu ermutigen, erzählt man etwas von einem Jenseits, von dem wir doch eigentlich nichts wissen — so der Vorwurf. In der Lesung aus dem ersten Korintherbrief kann solches Denken vielleicht Nahrung finden. „Die Zeit ist kurz“, heißt es da, wer sich die Welt zunutze macht, soll sich so verhalten, als nutze er sie nicht. Ist der Glaube nun weltfremd — oder haben uns die Worte des Paulus auch für unsere Zeit etwas zu sagen?
Der erste Brief an die Korinther gehört zu den ältesten Texten des Neuen Testaments, und in jener Zeit lebte die Kirche tatsächlich in der Naherwartung, d.h. man ging davon aus, dass Christus bald zurückkommen und deshalb diese Welt nicht mehr allzu lange bestehen werde — die Zeit ist kurz, sagt Paulus. Die Christen wurden bald eines Besseren belehrt, und in den späteren Schriften des Neuen Testaments ist eine solche Naherwartung nicht mehr zu finden, Christus wird kommen, wann es ihm gefällt. Sind damit die Worte des Paulus überholt? Keineswegs. Ich glaube, sie sagen uns Entscheidendes für d i e s e Welt, denn dass die Gestalt dieser Welt vergeht — wie Paulus sagt — ist eine Tatsache, so oder so. Es geht um die Frage, wie ich zu dem, was mir gegeben ist, stehe. Paulus fordert hier einen gewissen Abstand, den Verzicht auf eine totale, umfassende Besitzhaltung — und das nicht nur für Dinge, sondern gerade auch für Beziehungen. Paulus spricht von der Ehe, als Zölibatär will ich lieber von Freundschaft reden, in unserem Zusammenhang wird das — so glaube ich — keinen Unterschied machen. Ohne diesen Abstand, von dem Paulus spricht, verliere ich den Blick für die Kostbarkeit des mir Gegebenen, ich sehe es als selbstverständlich, als mein Recht an. Ich sehe mehr und mehr nur den wirtschaftlichen Wert: Seht her, wie wichtig ich bin, wie viele Freunde, welches Ansehen und wie viel Geld ich habe. Gleichzeitig mischt sich eine gewisse Ängstlichkeit — bewusst oder unbewusst — hinein. Was wird sein, wenn ich das verliere? Denn alles, was ich habe, ist sehr zerbrechlich. Wenn ich stattdessen einen gewissen Abstand bewahre, das mir Gegebene nicht als Selbstverständlichkeit ansehe, bewahre ich den Sinn für die Kostbarkeit des Gegebenen — auch in Bezug auf eine Freundschaft. Wenn mir der andere selbstverständlich ist, stirbt die Freundschaft langsam, wird eher zu einer strategischen Partnerschaft, aus der jeder Nutzen zieht, und wenn es dann doch hart auf hart kommt, merkt man dann plötzlich, dass der andere einem nichts mehr bedeutet. Ich sollte das, was mir gegeben ist, nicht einfach als Besitz betrachten, sondern ein wenig in der Schwebe lassen, so als möchte ich den Moment, in dem etwas die Hand des Gebers verlässt und in meine übergeht, verlängern. Wenn mir das gelingt, werde ich den Blick für das Kostbare des mir Gegebenen bewahren können. Ich werde eher Beschenkter als Eigentümer sein.
Die große Frage liegt auf der Hand: wie soll das gelingen? Es gelingt, wenn ich lerne, den Geber der Gabe zu verehren: Gott selbst. Wir sprechen ja von Be-Gab-ungen, von manchem, was uns gegeben ist, erkennen an, dass eine Freundschaft nicht einfach von zwei Menschen gemacht ist, dass da irgendetwas zwischen ihnen sein, passieren muss. Das ist Gott, der gibt und der fügt. Dass etwas kostbar ist — und eben nicht einfach im wirtschaftlichen Sinne —, begreife, lebe ich am ehesten, wenn ich diese Kostbarkeit nicht selbst „machen“ muss, sondern vorfinde, als Geschenk Gottes annehmen kann. Nun mag mancher einwenden, das kann man sich ja auch vorstellen, man kann auch davon reden, dass das Leben oder die Natur uns etwas gegeben haben, und so die entsprechende Haltung einnehmen. Doch so einfach ist das nicht, wie können die Natur oder das Leben — die keine Personen sind — etwas geben? Das sind Hilfskonstruktionen, die nicht tragen. Entweder ich verehre Gott als den Geber des mir Gegebenen und bewahre so den Blick für das Kostbare, oder es wird nicht funktionieren.
Aber Gott ist eben auch keine Hilfskonstruktion, keine Kraft, die ich mir halt vorstellen muss, er ist ein Jemand, der uns anspricht, ruft. Daran erinnert uns das Evangelium. „Kommt her, folgt mir nach!“, sagt Jesus. Gott als den Geber der Gaben zu verehren, heißt nicht, sich eine göttliche Kraft vorzustellen — das wäre wieder nur eine Hilfskonstruktion —, sondern dem Ruf Jesu zu folgen. Klar, der Einwand meldet sich quasi von selbst. Jesus steht nicht in menschlicher Gestalt vor der Tür und meldet sich. Das stimmt, aber er meldet sich doch. Nun ja, wir wissen alle, was hier Voraussetzung ist. Nicht ununterbrochen hetzen, Momente der Stille wagen, ja auch so etwas Altmodisches wie Gebet — und ja, auch Geduld. Ich gebe zu, mir persönlich fällt das auch schwer, aber Jesus ist kein Kundenservice, der ständig auf Abruf steht. All das ist richtig und wird nicht dadurch falsch, dass wir es eigentlich schon wissen, aber gerade das Evangelium erinnert uns noch an etwas anderes. Jesus ruft die Fischer in einer für sie unpassenden Situation, überraschend, ungeplant, mitten im Alltag. Zu einer Freundschaft gehört es gewiss, dass ich den anderen immer wieder erwarte, aber es gehört auch dazu, dass ich ihn sozusagen erwarte, wenn ich ihn nicht erwarte, dass er also willkommen ist, auch wenn ich nicht damit gerechnet habe und es mir vielleicht auch gerade nicht passt. So ist es auch mit dem Ruf Jesu. Manchmal meldet er sich ganz unerwartet. In den Mühen des Alltags, wo man nicht nur nicht damit rechnet, sondern wo es auch nicht passt.
Und doch ist er es, der mir hilft, den Blick für das Kostbare im Leben zu bewahren, Beschenkter, nicht einfach Eigentümer zu sein. Achten wir doch mal auf den Wink, der uns zwischendurch erwischt und den man gern schnell wegwischt. Es könnte etwas dran sein.