„Trotzdem Ja zum Leben sagen“

24. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B; Mk 8,27-35)

Was mich immer immer wieder umtreibt, ist die offensichtlich fehlende Glaubwürdigkeit unserer Botschaft für die Menschen unserer Tage. Natürlich ist es naheliegend auf die Ereignisse der vergangenen Tage wie das Bekannt-Werden des Berichts über sexuellen Missbrauch in der Kirche hinzuweisen und damit den dramatischen Vertrauensverlust zu erklären. Dass Menschen, die eigentlich zu Zeugen der Frohen Botschaft berufen worden sind, zu — man kann es nicht anders sagen — Verbrechern geworden sind, beschädigt selbstredend die Glaubwürdigkeit der Kirche — in den Augen nicht weniger ist sie vollständig zerstört. Trotzdem glaube ich, dass das Problem letztlich tiefer liegt. Für nicht wenige Menschen — so jedenfalls meine Erfahrung — mangelt es bereits unserer Botschaft an Glaubwürdigkeit. In gewissem Sinne müssen wir — so bin ich überzeugt — neu beginnen, neu erklären, worum es geht, und so zeigen, dass die Glaubwürdigkeit, das Großartige nicht in denen liegt, die zu Zeugen werden, sondern in der Botschaft selbst. Ein Evangelium wie das heutige macht es uns da nicht leicht — oder vielleicht doch, weil es zumindest einen Teil der Schwierigkeiten, die wir haben, sichtbar macht. „Ich will kein Kreuz auf mich nehmen, das ist blödsinnige Verherrlichung von Leiden“ — so kann man wohl die gängige Meinung umschreiben. Wie lässt sich dieses Evangelium also als Frohe Botschaft, als Hoffnungsbotschaft für unsere Zeit deuten?

Petrus scheint begriffen zu haben, wer Jesus ist. Du bist der Messias, sagt er. Hinter diesem Wort verbargen sich damals ganz unterschiedliche Erlösungshoffnungen politischer und religiöser Art. Doch dass der Messias am Kreuz enden würde, das gehörte sicher nicht dazu — wie auch die Reaktion des Petrus verrät. Und dann verlangt Jesus auch noch, dass wir quasi mitmachen sollen, indem wir unser Kreuz auf uns nehmen. Wo soll da bitte schön der Sinn liegen? Ist das nicht doch Verherrlichung des Leidens?

Eine Antwort darauf gibt uns die Lebensgeschichte eines Mannes namens Viktor Frankl. Er war ein österreichischer Psychologe. Als Jude wurde er nach Auschwitz deportiert und überlebte dieses Vernichtungslager entgegen aller Wahrscheinlichkeit. Er überlebte auch deswegen — so erklärte er —, weil er sich vorstellte, dass er später einmal als Psychologe Vorträge über diese Erfahrung halten würde. Das gab ihm Kraft, Halt und Sinn. Er schrieb über diese Erfahrung den Bestseller „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ und entwickelte seine Methode Menschen zu heilen: die Logotherapie — vereinfacht übersetzt: Heilen durch Sinn. Er war überzeugt, dass Menschen auch schlimmste Erfahrungen überstehen können, wenn sie es schaffen, dennoch einen Sinn zu finden, wenn sie nicht an der Warum-Frage zugrundegehen, sondern diese Erfahrung als Anfrage deuten, Sinn zu finden. Ich glaube, hier sind wir ganz nahe an dem, was Jesus mit dem Auf-sich-Nehmen des Kreuzes meint. Wir Menschen stehen im Laufe unseres Lebens immer wieder vor der Aufgabe mit Sinnlosem, ja Sinnwidrigem umzugehen. Wir müssen irgendeinen Sinn finden, um weiterleben zu können. Das ist eine Aufgabe, die jeder Mensch — wenn auch in verschiedenen Abstufungen — erlebt. Ich bin überzeugt, dass der Mensch diesen Sinn allerdings nicht selbst machen, nicht selbst konstruieren kann. Sinn ist etwas, das wir nur finden, nicht selbst machen können. Wenn ich versuche diesen Sinn selbst zu machen, bin ich wie einer, der ein Haus bauen will, ohne die geringste Ahnung davon zu haben. Wer ein Haus bauen will, muss über die Materialien Bescheid wissen, er muss den Grund kennen, auf dem er baut, er muss etwas über Statik wissen, sonst ist seinem Haus keine allzu lange Lebensdauer beschieden. Wir wissen viel zu wenig über das Leben, über uns selbst, sind zu vielem ausgesetzt, um einen solchen Sinn selbst zu schaffen, naturwissenschaftliche Erkenntnisse helfen da nicht. Und ist es nicht auch so, dass das Finden von Sinn einer Entdeckung gleicht, man erlebt, wie einem die Augen aufgehen, wie man etwas geschenkt bekommt? Wer soll der Geber dieser Gabe sein als der, den wir Gott nennen? Und hier sind wir bei der Botschaft Jesu, der uns gewissermaßen sagt: Du wirst im Leben immer wieder Sinnlosem, ja Sinnwidrigem begegnen. Das ist dein Kreuz. Lauf nicht weg, sondern sieh es als Anfrage. Sieh auf mich, der ich durch Leid und Sinnlosigkeit des Kreuzes ins Leben gegangen bin. Gemeinsam finden wir auch deinen Sinn, deinen Weg, auf dem du gehen kannst.

D a s ist unsere Hoffnungsbotschaft. Der Mensch muss immer wieder Sinn mitten in sinnlosen Erfahrungen finden und kann ihn doch nicht aus Eigenem machen: eben nur finden, entdecken, geschenkt bekommen — von dem, der selbst durch die Sinnlosigkeit des Kreuzes gegangen ist. Das ist auch das Geheimnis unseres Glaubens: dass Gott gerade im Sinnlosen, ja im Sinnwidrigen gefunden werden kann. Ein bisschen zugespitzt möchte ich sagen: wo auch sonst? Im Sinnlosen zerbrechen alle menschlichen Konstruktionen, Erklärungen, Gewohnheiten. Da bleibt nichts, was trägt, als stürze der Mensch in ein schwarzes Loch, das keinen Grund hat. Und doch haben Menschen gezeigt, dass es da einen Halt gibt. Wer soll das sein, da doch alles Menschliche versagt hat und zerbrochen ist — außer dem Gott, der selbst das Kreuz auf sich genommen hat? Im Sinnwidrigen begegnet uns Gott — er greift zu, er hält.

Es ist nicht so einfach, das Evangelium heute noch als Frohe Botschaft, als Hoffnungsbotschaft zu bezeugen. Gerade am Evangelium dieses Sonntags zeigen sich Problem, aber auch Chance der Verkündigung. Es geht eben nicht um Verherrlichung von Leiden, sondern um die Bewältigung der Erfahrung von Sinnlosigkeit. Der Mensch muss immer wieder Sinn mitten in sinnlosen Erfahrungen finden und kann ihn doch nicht aus Eigenem machen: eben nur finden, entdecken, geschenkt bekommen — von dem, der selbst durch die Sinnlosigkeit des Kreuzes gegangen ist. So sagt uns Jesus gewissermaßen: „Das ist dein Kreuz. Lauf nicht weg, sondern sieh es als Anfrage. Sieh auf mich, der ich durch das Leid und die Sinnlosigkeit des Kreuzes ins Leben gegangen bin. Gemeinsam finden wir auch deinen Sinn, deinen Weg, auf dem du gehen kannst.“ Im Sinnwidrigen begegnet uns Gott — er greift zu, er hält.