Gehorsam bedeutet sich für die Fülle Gottes zu öffnen, um selbst erfüllt zu sein

25. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B; Jak 3,16-4,3; Mk 9,30-37)

Manche biblischen Texte sprechen mich ganz unmittelbar an, so auch die Lesung aus dem Jakobusbrief. Was Jakobus in der christlichen Gemeinde beklagt, kommt mir durchaus vertraut vor. Man will etwas mit Leidenschaft erreichen, verrennt sich total und bewirkt in seiner Sturheit ganz und gar nichts — außer dass man noch den einen oder anderen Schaden anrichtet. Ist Ihnen das nicht auch irgendwie vertraut? Ich wage zu behaupten, dass wahrscheinlich jeder solche oder ähnliche Erfahrungen macht. Manchmal geht es um ein berufliches Ziel, eine Beförderung vielleicht, die man unbedingt erreichen will. Man bekommt dann einen Tunnelblick, sieht nur noch, was man sehen will, man wendet Kraft und Energie auf, die doch vergeblich sind. Tief in sich drin ahnt man das, aber das bindet einen noch fester an das unerreichbare Ziel — und irgendwann platzt die Seifenblase, und man erkennt: es war alles umsonst. Der eine reagiert wütend, der andere frisst die Enttäuschung in sich hinein. Der Jakobusbrief zeigt, dass auch die frühen Christengemeinden keineswegs vollkommen waren und solchen Ärger ebenfalls kannten. Nun bietet Jakobus sozusagen ein Gegenmittel an. Aber gibt es das wirklich? Gegen die Leidenschaft, den Ehrgeiz, die sich verrennen und scheitern? Funktioniert das?

Der erste Einwand, den man in solchen Fällen zu hören kriegt, noch bevor man inhaltlich was gesagt hat, lautet gewöhnlich: Das bringt doch sowieso nichts, egal, was man sich vornimmt, irgendwann fällt man doch in gewohnte Verhaltensmuster zurück. Dieser Einwand ist letztlich — gestatten Sie mir die klare Aussage — unsinnig. Wenn es um den Körper, z.B. um Hygiene, geht, sagt niemand, dass Zähneputzen völlig unwirksam und deshalb überflüssig ist, weil man es jeden Tag sogar mehrfach machen muss, damit es hilft. Wie im Bereich des Leibes gibt es auch im Bereich der Seele keine Heilmittel, die bei so grundsätzlichen Dingen einfach ein für alle Mal Abhilfe schaffen. Was Jakobus empfiehlt, ist also eher wie Zähneputzen. Man muss es regelmäßig machen, damit es hilft.

Was aber empfiehlt der Gute nun? Er spricht von der Weisheit, die friedlich und freundlich ist und voll Erbarmen. Aha, nichts Neues also. Doch dann sagt er: Die Weisheit heuchelt nicht. das erinnert mich an ein Wort des Paulus, der vielleicht ein wenig poetischer sagte: Die Liebe freut sich an der Wahrheit. Ich verstehe das so: Weisheit bedeutet auch, ein offenes Wort zu sagen und zu hören. Menschen sagen mir immer wieder, dass sie gern bereit, sind ein offenes Wort zu hören, das sei besser als hintenrum zu sprechen. Diese Bereitschaft hält meist so lange an, bis man ihnen ein offenes Wort sagt, dann passt es natürlich nicht, und mancher ist beleidigt. Allzu oft reagieren Menschen auf ein offenes Wort, indem sie es überhören oder beleidigt sind. Beide Verhaltensweisen sind falsch. Weil die Weisheit nicht heuchelt, ist es gut, ein offenes Wort zu hören. Das bedeutet ja n i c h t, dass ich das darin Ausgesprochene einfach annehmen oder umsetzen muss — ein offenes Wort ist kein Befehl. Aber wenn ich es höre, regt es mich zum Nachdenken an und kann jenen Tunnelblick aufbrechen, der mich nur noch sehen lässt, was ich will.

Bereit sein, ein offenes Wort zu hören, es zu bedenken, ist ein Gegenmittel gegen die Leidenschaft, die sich verrennt. Jakobus sagt auch noch, die Weisheit sei gehorsam. Da läuten natürlich alle Alarmglocken des modernen Menschen. Das gehört zu den üblichen christlichen Anforderungen, die — nach gängiger Überzeugung — nicht mehr ins Heute passen, wie auch das heutige Evangelium, das von den Menschen verlangt zu dienen, anstatt Macht anzustreben. Es wird Sie nicht überraschen, ich glaube, es lohnt sich genauer hinzusehen. Die deutsche Sprache gibt uns eine Hilfestellung: In „gehorchen“ steckt „horchen, hören“ drin. Ich glaube, dass eine Seite des Gehorsams das ist, was ich eben unter dem Stichwort „ein offenes Wort hören“ beschrieben habe: die Bereitschaft, den anderen zu hören, das Gesagte, auch wenn es mir nicht gefällt, nicht gleich wegzuschieben, sondern zu bedenken. Doch selbstredend meint der Gehorsam der Weisheit, von dem Jakobus spricht, vor allem etwas anderes: den Gehorsam Gott gegenüber. Das ist ein Knackpunkt, an dem der moderne Mensch sich sträubt. Doch Gehorsam im biblischen Sinne ist nicht einfach ein blindes, scheinbar soldatisches Gehorchen. Vor einigen Wochen hatten wir das Evangelium von der Brotvermehrung; Gott begegnet dem Menschen in seiner Fülle. Gehorchen im biblischen Sinne heißt, sich für diese Fülle Gottes auftun und Anteil an ihr gewinnen, um so selbst erfüllt zu sein. Das Problem am Ehrgeiz, an den Leidenschaften, die sich verrennen, ist ja der Tunnelblick, der nichts anderes mehr sehen will. Nur dieses Ziel ist das Einzige, was zählt. Anteil an der Fülle Gottes gewinnen heißt eben auch diesen Tunnelblick aufbrechen, sehen, dass das Leben größer, reicher und weiter ist, mehr zu bieten hat, als man denkt. Und dann kann man einsehen, dass jenes Ziel vielleicht unerreichbar ist, andere aber, die auch zu meinen Begabungen und Möglichkeiten passen, aber sehr wohl. Hier fügt sich auch die Aufforderung Jesu an seine Jünger ein: Dienen ist nicht buckeln, Untertan sein. Das passt kaum zum Auftreten Jesu, der gesagt hat, er sei gekommen, um zu dienen. Dienen ist ein souveränes Möglich-Machen, ohne dem Rausch der Macht zu verfallen. Im Gehorsam gewinnt der Weise Anteil an der göttlichen Fülle und sieht so, welche Möglichkeiten sich im Reichtum des Lebens bieten, ohne sich zu verrennen. Ich will nicht verhehlen, dass auch dieser Gehorsam in manchen Fällen bitter sein kann; wo er aber gelingt, ist er aufs Ganze gesehen besser, als sich in der Leidenschaft zu verrennen und mit Kollateralschaden zu scheitern.

Jakobus bietet ein Gegenmittel gegen solches Sich-Verrennen an: Der Weise ist bereit, ein offenes Wort zu hören, zu bedenken und auch zu sagen. Der Weise ist bereit, Gott zu gehorchen. Gehorchen im biblischen Sinne heißt, die Verengung der eigenen Sichtweise aufbrechen, sich für die Fülle Gottes auftun und Anteil an ihr gewinnen, um so selbst erfüllt zu sein.