Warten auf den Größeren oder Warten, dass ich größer werde?

3. Adventssonntag (Lesejahr C; Zef 3,14-17; Lk 3,10-18)

Auf den ersten Blick erscheinen mir die biblischen Texte des heutigen Sonntags beinahe wie eine Mogelpackung. Mit großer Vor-Freude wird vom alttestamentlichen Propheten etwas Neues angekündigt und so landen wir schließlich bei Johannes dem Täufer und lauschen ihm, dem Propheten, gespannt, was er zu sagen hat: immer schön teilen, niemanden misshandeln und erpressen. Aha, möchte man sagen, war es das? Die Ratschläge des Täufers sind alles andere als neu oder originell. Offensichtlich liegt das Besondere seiner Botschaft anderswo. „Es kommt aber einer, der stärker ist als ich . . . Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen“, das ist offenbar das Neue, das Besondere, der Grund zur Freude, den er verkündet, aber ist es das wirklich? Die Erwartung eines anderen, Größeren? Ein Kind wartet darauf, dass es selbst größer wird, bis dies oder das in seinem Leben möglich wird, ein Erwachsener mag darauf warten, dass er selbst reifer wird, dass er bestimmte Fähigkeiten erlangt — warten, bis ich größer werde, das erscheint mühsam, aber vernünftig. Warten auf einen Größeren dagegen eher seltsam und unfrei — lässt sich die Botschaft des Advents vom Warten auf den Größeren noch vermitteln?

Das Problem fängt ja schon mit dem Warten an sich an, unsere Gesellschaft lebt ja davon — so möchte man beinahe sagen —, dass alles schnell geht und sofort verfügbar ist, dabei sagt doch der Volksmund ausdrücklich: Vorfreude ist die schönste Freude! So wird zum Ausdruck gebracht, dass Freude im Letzten immer etwas mit Geduld und Warten zu tun hat. Echte Freude ist nicht wie eine Sternschnuppe, die sofort verglüht, sondern hat einen langsamen Anweg — auch wenn der manchmal nicht bewusst ist — und sie hat vor allem einen langen Nachgeschmack. Sie hinterlässt Spuren, die ebenso kostbar, vielleicht noch kostbarer sind als der Moment des Jubels selbst. Die echte Freude ist etwas, das prägt, oft eher unauffällig, aber nachhaltig, wie die Freude, einen Freund gefunden zu haben.

Freude hat also doch etwas mit Warten und Geduld zu tun — so schwer das gelegentlich auch ist, ich weiß das aus eigener Erfahrung. Auch die Hoffnung hat mit Warten und Geduld zu tun, warten auf etwas Größeres. Hoffnung heißt doch, dass ich glaube, dass noch nicht alles ausgereizt ist, dass noch etwas Größeres kommen kann. Hoffnung heißt doch, immer noch etwas Größeres zu erwarten, etwas, das noch nicht absehbar ist, aber das Warten, das Engagement lohnt. Genervt mag mancher einwenden, dass so etwas zu jungen Menschen gehört, Erwachsene solche Träumereien abgelegt haben. Gewiss sind die Hoffnungen junger Menschen gelegentlich groß und kühner, als sie reiferen Menschen realistisch erscheinen, doch wo letztere sich der Hoffnung gänzlich verschließen, stumpfen sie ab und funktionieren nur noch. Und manchmal bricht sie dann doch durch, nur klein und begrenzt, aber wirklich: man hofft für die eigenen Kinder, dass sie glücklich werden, man hofft, gesund und aktiv zu bleiben. Wo echte Hoffnung ist, ist der Mensch Mensch und mehr als ein Rädchen im Getriebe.

Nun gut, das mit dem Warten auf etwas Größeres scheint also zum Menschen zu gehören, doch ich gebe zu, das beantwortet noch nicht die Grundfrage: warte ich, dass ich sozusagen größer werde, reifer, stärker — oder warte ich auf einen Größeren, wie der Täufer verkündet? Der jüdische Philosoph Martin Buber hat einmal das Wort geprägt: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Begegnung gehört wesentlich zum menschlichen Leben dazu, erst in der Begegnung entwickle ich ein Verständnis dafür, wer ich bin, entdecke, was mein Standpunkt ist — in der Zustimmung zu anderen genauso wie in der Abgrenzung. Warten, dass ich größer, reifer werde — das gelingt nur, indem ich anderen, jedenfalls in gewissem Sinne Größeren begegne. Das müssen nicht Menschen sein, die mir in allem überlegen sind, es müssen nicht Menschen sein, denen ich in allem zustimme, aber Menschen, durch die ich mich verändere, die mich prägen, die mich etwas lehren — bewusst oder unbewusst, durch Zustimmung oder auch durch Ablehnung. Das heißt also, auch wenn ich die biblische Verheißung, dass wir den Größeren erwarten, ablehne, weil es mir darum geht, dass ich selber größer, stärker und reifer werde, so muss ich doch annehmen, dass auch dies nur geht, indem ich anderen, Größeren begegne. Der Mensch wird am Du zum Ich.

Die Frage bleibt: was ist nun das Letzte? Der Mensch, der selbst größer wird, indem er anderen begegnet — oder der Mensch, der den Größeren erwartet, um ihm zu begegnen, jenen, den wir als Glaubende Gott nennen? Das ist eine der Grundentscheidungen, die der Mensch zu treffen hat: bin ich allein der Zielpunkt oder bin ich es in der Begegnung mit Gott? Wenn ich selbst der Zielpunkt bin, dann sind die Begegnungen, die mich reifen lassen, letztlich Mittel zum Zweck, auch wenn ich wahrscheinlich das Gegenteil beteuere, ich bin schließlich das letzte Ziel. So entwerte ich das, worauf ich doch angewiesen bin. Wenn ich in der Begegnung mit Gott das Ziel bin, dann sind die Begegnungen, die mich reifen lassen, Abbilder dieser entscheidenden Begegnung, sie sind nicht Mittel zum Zweck, sondern haben Anteil an dem, worauf es ankommt, weil das letzte auch Begegnung ist, Begegnung mit Gott, dessen Ebenbilder wir sind. Das Warten auf Gott, auf die Begegnung mit ihm, dem Größeren, scheint mir das Vernünftigere zu sein.

Warten auf den Größeren oder Warten, dass ich größer werde? Das Warten auf etwas Größeres gehört zum Wesen der echten Freude, aber auch zum Wesen der Hoffnung, und Begegnungen sind wesentlich für das Wachsen, das Ich-Werden des Menschen, aber was ist der Zielpunkt? Bin ich allein der Zielpunkt oder bin ich es in der Begegnung mit Gott? Wenn ich allein der Zielpunkt bin, werte ich ab, was ich doch brauche: die Begegnungen. Als Glaubender sind sie für mich Vorausbilder der letzen, alles entscheidenden Begegnung: der Begegnung mit Gott.