Gott hält uns, damit wir uns halten können.

4. Adventssonntag (Lesejahr C; Lk 1,39-45)

Glauben heißt nichts wissen – so sagt der Volksmund, und mit dieser Begründung hält mancher sich vom Thema Religion fern. Doch die deutsche Sprache kennt mehrere Bedeutungen des Wortes „glauben“. Das kein einmal „vermuten“ bedeuten – also wirklich nichts wissen, andererseits kann es aber auch „vertrauen“ bedeuten, z.B. wenn ich sage: Ich glaube an dich. Um diese zweite Bedeutung – „glauben“ im Sinne von „vertrauen“ – geht es im religiösen Bereich. „Selig ist die, die geglaubt hat, was der Herr ihr sagen ließ“, so preist Elisabeth Maria als Glaubende, Maria glaubt nicht nur an Gott, sie glaubt Gott. Nun lehrt aber die Erfahrung, dass das mit dem Glauben gar nicht so einfach ist, Gott ist ganz anders, als wir denken, er enttäuscht uns immer wieder, gerade auch dann, wenn wir denken, jetzt müsste er aber . . . Wie gelingt es uns, trotzdem zu glauben?

Vor einiger Zeit habe ich irgendwo gelesen, es gebe in unserer Gesellschaft zu wenig Haltungen. Ein interessanter Gedanke, ein interessantes Wort, das ja in vielen Kombinationen vorkommt. Jemand zeigt Haltung, sagen wir, oder: hat Haltung bewahrt, oder: Du hast dich gut gehalten, nicht nur auf das Äußere bezogen, sondern beispielsweise auf eine Diskussion. Es bedeutet wohl, dass jemand weiß, was er will, dass er geradlinig ist, dass er Werte hat, zu denen er steht, auch wenn es schwierig wird. Ein Begriff, der sich also auf das Innere des Menschen bezieht, aber nicht nur. Der Mensch ist eine Einheit aus Leib und Seele, Haltung hat auch der Leib, wer immer nur mit hängendem Kopf umhergeht, der wird kaum Haltung bewahren – auch nicht in seinem Inneren. Ich denke, fast jeder würde zustimmen, wenn man sagt, dass das Leben nicht ohne solche „Haltung“ gelingen kann. Aber woher kommt sie, was ermöglicht sie? Haltung kommt offensichtlich von „halten“, aber wer hält da? Wenn man sagt: Du hast sich gut gehalten, oder: Ich habe mich gut gehalten – nicht einfach auf das Äußere bezogen –, dann legt das den Eindruck nahe, dass der Mensch sich selbst hält. Und das entspricht in gewissem Sinne auch der Erfahrung, manchmal kostet es sehr viel Kraft, sich zu halten, Haltung zu bewahren, und manchmal gelingt es auch nicht. Doch wenn man dem Gedanken „ich halte mich“ nachgeht, ihn durchdenkt, durchlebt und wohl auch gelegentlich durchleidet, dann wird – jedenfalls für mich – immer mehr deutlich, dass das im letzten so nicht gelingen wird, sich gewissermaßen über einem Abgrund am eigenen Schopf zu halten – das geht nur im Zeichentrickfilm, nicht in der Wirklichkeit. Haltung – so mühsam und schmerzhaft und kräftezehrend sie auch gelegentlich ist – gibt es nur, wenn ich gehalten bin: durch einen anderen, Größeren, der hält, ohne selbst gehalten zu sein: durch Gott. Wenn es also Haltung gibt – und so selten sie auch wird, manchmal erlebt man sie –, dann gibt es auch den, der hält, ohne gehalten zu sein: Gott. So sind wir also wieder beim Glauben, er ist sozusagen die Ur-Haltung, die Wurzel aller Haltungen. Wo der Glaube als die Ur-Haltung, als das Bewusstsein, dass im letzten Gott uns hält, schwindet, schwinden auch die Haltungen. So kräftezehrend das Leben auch sein kann, so schwer uns der Glaube auch fällt, er ist die Ur-Haltung: Gott hält uns, damit wir uns halten können, damit wir Haltung zeigen können.

Auch für Maria und Elisabeth war es ja schwer Haltung zu zeigen, Vielleicht kann man auch sagen: sich im Glauben zu halten. Das Evangelium dieses Sonntags erzählt uns ja nur einen kleinen Abschnitt. Elisabeth lebte, wie es Gott gefällt – so sagt es der Evangelist Lukas –, und blieb doch ohne Nachwuchs, was damals als Strafe Gottes gedeutet wurde. Stellen Sie sich vor, was es für diese Frau bedeutet hat, wenn Menschen sie als von Gott bestraft bezeichnet haben. Und als sie schwanger wird, bleibt ihr Mann Zacharias stumm, bis das Kind geboren wurde, weil er der Botschaft des Engels nicht traute. Und auch Maria hatte es nicht leicht, auch später nicht, als sie erleben muss, wie die Familie Jesu diesen als von Sinnen bezeichnet, weil er als Lehrer des Glaubens umherzieht – so berichtet es der Evangelist Markus. Ein kleiner Einblick nur, der aber zeigt, wie schwer es diese beiden Frauen hatten – auch mit dem Glauben.

Vielleicht wirkt das ein wenig ernüchternd, aber ich hoffe, vor allem auch ermutigend. Es gibt schöne glatte, unversehrte Dinge, die glänzen, Marmor z.B. – aber es sind dann tote Dinge. Alles Lebendige ist immer auch ein bisschen ramponiert und gezeichnet – eben vom Leben gezeichnet. So ist eben auch der Glaube, er ist nicht glatt und glänzend, sondern immer auch ein bisschen geflickt, repariert und angeschlagen, vielleicht hat er auch ein paar Narben – so ist das Leben. So ist es auch, wenn wir auf die Heilgen schauen, manche hatten einen langen Weg, bis sie sich überhaupt erst zum Glauben durchgerungen hatten, wie Augustinus, Franziskus oder Ignatius von Loyola, oder hatten auch sonst immer wieder mit der Nacht des Glaubens zu kämpfen wie Johannes vom Kreuz oder auch Mutter Teresa, die nun heiliggesprochenen wird. Als vor ein paar Jahren Tagebücher von ihr veröffentlicht wurden, die zeigten, dass auch sie mit Gott zu ringen hatte, waren manche überrascht, da sie von vielen als die Modell-Heilige schlechthin angesehen wird. Wie wenig verstehen solche Menschen vom Glauben, der etwas Lebendiges ist – und damit auch ramponiert, mühsam und vom Leben gezeichnet.

„Selig ist die, die geglaubt hat, was der Herr ihr sagen ließ“, so preist Elisabeth Maria als Glaubende. Glauben ist oft genug mühsam, aber ohne ihn gibt es letztlich, aufs Ganze bezogen nicht, was wir doch so dringen brauchen: nämlich Haltung – also Geradlinigkeit, Überzeugungen und Werte, die halten, auch wenn es schwierig wird. Ich habe mich gut gehalten, so sagt man und spürt auch, wie mühsam das sein kann, aber wenn man diesen Gedanken „ich halte mich“ durchdenkt, durchlebt und wohl auch gelegentlich durchleidet, zeigt sich, dass das letztlich nicht geht, es braucht einen anderen, der hält, ohne selbst gehalten zu sein: Gott. Der Glaube an ihn ist die Ur-Haltung schlechthin, wie alles Lebendige ist der Glaube wohl manchmal ramponiert und vom Leben gezeichnet, aber letztlich gilt: Gott hält uns, damit wir uns halten können.