Unser Leben gründet in der Selbsthingabe Gottes

Fronleichnam 2018 (Lesejahr B; Ex 24,3-8; Hebr 9,11-15; Mk 14, 12-16.22-26)

Der Unfall forderte zahlreiche Opfer — so kann man es immer wieder in den Nachrichten hören und lesen. „Opfer“, das ist kein in unserer Sprache irgendwie positiv besetzter Begriff, ein Opfer will niemand sein, gerade nicht in unserer Leistungsgesellschaft. Nun sind aber die biblischen Texte, die wir eben gehört haben, ganz geprägt von Opfern bzw. dem einen Opfer, das Jesus Christus für uns dargebracht hat. Ja, unser wichtigster Gottesdienst, die Eucharistie, versteht sich als Gegenwärtig-Werden dieses Opfers Jesu — auch wenn dieses Verständnis in den letzten Jahrzehnten ein wenig verschämt in den Hintergrund getreten ist, wie soll man es denn auch heute noch vermitteln? Ja, wie soll man? In einer Zeit, in der die Feier der Eucharistie auch immer mehr Katholiken immer weniger bedeutet, ist die Frage umso drängender: was feiern wir hier und inwiefern ist das ein Opfer?

In den Religionen der Antike und auch der noch früheren Zeit gehörte offenbar das Opfer, das rituelle Schlachten von Tieren, in irgendeiner Form dazu, die Gottheiten mussten genährt, besänftigt werden. Auch das Alte Testament kennt das Opfern von Tieren, wir haben es in der ersten Lesung gehört. Doch zugleich ist es auch von der Kritik der Propheten am Opferkult geprägt, das Entscheidende soll nicht das Schlachten eines Tieres sein, sondern der Mensch, der sich Gott zuwendet, seine Abhängigkeit von Gott anerkennt und nach seinen Geboten lebt. Der Hebräerbrief — die zweite Lesung — deutet den Kreuzestod Jesu als Vollendung all dieser Opfer, die so überboten und abgelöst werden. Die Eucharistie ist als Zeichen, das Jesus beim Letzten Abendmahl gewählt hat, die bleibende Gegenwart dieses Opfers. So weit, so gut, der Rahmen ist abgesteckt, es bleibt aber die Frage, was soll das Opfer? Die deutsche Sprache kennt nur ein Wort für Opfer, das aber mehrere Bedeutungen hat. Opfer kann bedeuten, dass ich etwas erleide, einen Unfall beispielsweise. Opfer kann auch etwas Aktives meinen, dass ich z.B. auf etwas verzichte Um diese zweite Form geht es hier, man könnte auch von Selbsthingabe sprechen. Auch die Propheten fordern, dass das Opfern der Tiere nur ein Symbol sein kann für die Selbsthingabe des Menschen an Gott. Das Neue Testament dreht dies gewissermaßen um, unser Glaube gründet im Opfer Jesu, das heißt in der Selbsthingabe Gottes an den Menschen.

Versuchen wir ein wenig genauer zu verstehen, was Selbsthingabe bedeutet. Es bedeutet, dass einer sich zurückzieht, verzichtet, damit ein anderer Raum hat, sich zu entfalten. In diesem Sinne ist Selbsthingabe Voraussetzung für Leben, Eltern müssen sich zurücknehmen, eigene Bedürfnisse zurückstellen, damit Kinder aufwachsen können. Selbsthingabe ist Voraussetzung für Freundschaft oder Partnerschaft, jeder muss sich darin immer wieder zurücknehmen um des anderen willen. Sie ist auch Voraussetzung für Lernen und Bildung, der Lehrer muss sich zurücknehmen, damit der Schüler Erfahrungen machen kann, Fähigkeiten erwirbt und versteht. Es gäbe noch zahlreiche Beispiele, Selbsthingabe ist Voraussetzung für Leben. So erkennen wir: Dass es überhaupt Leben gibt, wird möglich durch die erste Selbsthingabe schlechthin, die Selbsthingabe Gottes, er nimmt sich zurück, gibt uns Raum, dass wir uns entfalten können. Eben das offenbart sich in der Selbsthingabe Jesu. Diese spitzt sich im Tod am Kreuz zu, meint aber letztlich die ganze Menschwerdung; Gott entäußert sich, wird einer von uns. Er zeigt uns, wie Menschsein gelingt — in der Selbsthingabe — und worin es gründet: in der Selbsthingabe Gottes.

Das Besondere an der Selbsthingabe ist, dass sie konkret ist bzw. immer wieder an einer konkreten Stelle aufscheint. Eltern, die sagen: Selbstverständlich bin ich für meine Kinder da, aber keine Zeit haben, Lehrer, die sagen: Natürlich ist mir wichtig, dass man bei mir was lernt, aber im Konkreten dann immer alles vorgeben, dem Schüler keinen Raum zum Verstehen lassen — das ist eben keine Selbsthingabe. Sie muss immer wieder konkret werden, nur dann ist sie auch eine Lebenshaltung. Gott will seine Selbsthingabe immer wieder konkret werden lassen, deshalb gibt es die Eucharistie, Brot als Nahrungsmittel zeigt seine Selbsthingabe für uns an. Wenn ich sage: Ja, ja, ich glaube schon irgendwie, dass da was Göttliches am Anfang steht, aber meine, die Eucharistie nicht zu brauchen, dann habe ich nicht verstanden, was Selbsthingabe bedeutet, was es bedeutet, dass Leben nur durch sie möglich ist, dass wir alle in der Selbsthingabe Gottes gründen. Selbsthingabe wird immer wieder konkret, Gottes Selbsthingabe an uns wird in der Eucharistie konkret.

Selbsthingabe lässt Raum für den anderen, wird konkret — und sie ist sichtbar, aber drängt sich nicht auf. Wenn Eltern ihre Kinder immer wieder darauf hinweisen, dass sie alles nur ihnen verdanken, wenn Lehrer die Abhängigkeit der Schüler fördern, dann ist das nicht Selbsthingabe. Diese ist ehrlich, lässt dem anderen auch die Erfahrung etwas selbst geschaffen zu haben — auch auf die Gefahr hin, dass er dabei übersieht, wie der andere ihm durch seine Selbsthingabe geholfen hat. Ist das nicht gerade auch bei der Selbsthingabe Gottes der Fall? Gewiss, man macht die Erfahrung, dass Selbsthingabe Leben ermöglicht, es liegt nahe, dass das Leben überhaupt in solcher Hingabe gründet, in der Hingabe Gottes, aber man kann das auch bestreiten. Doch das gehört zum Wesen der Selbsthingabe, wer hinsieht, kann ihre Spuren erkennen, aber sie drängt sich nicht auf, macht nicht abhängig, kann übersehen werden. Wer Gottes Selbsthingabe erkennen will, muss genau hinsehen.

Vom Opfer ist in der Bibel und auch in unseren Gebeten oft die Rede. Die deutsche Sprache macht es uns nicht leicht, Opfer kann mehreres bedeuten. In unserem Zusammenhang geht es um Selbsthingabe, die Voraussetzung für Leben ist. Eltern müssen sich z.B. zurücknehmen, damit ihre Kinder aufwachsen können. Dies zeigt uns, was Jesu Leben und Sterben offenbaren: dass unser Leben in der Selbsthingabe Gottes gründet. Selbsthingabe lässt Raum und wird auch konkret. Gottes Selbsthingabe wird konkret in der Eucharistie. Selbsthingabe ist sichtbar, drängt sich aber nicht auf, kann übersehen werden. Wer Gottes Selbsthingabe erkennen will, muss genau hinsehen.