Gnade mir Gott!

Geburt Johannes’ des Täufers (Lk 1, 57-66.80)

Gott ist gnädig — das bedeutet der Name Johannes auf deutsch. Das Evangelium, das wir heute gehört haben, zielt darauf ab, dass das neugeborene Kind eben diesen Namen erhält. Somit ist dieser Name von Anfang an Programm — nicht nur für Johannes den Täufer, sondern für das ganze Handeln Gottes, wie es Lukas, der sein Evangelium mit den Geschehnissen rund um die Geburt des Täufers beginnt, in eben diesem Evangelium beschreibt. Gott ist gnädig — aber was soll das bitte schön bedeuten? Gnade ist ein Wort, das in den biblischen Texten, den Gebeten und Liedern immer wieder vorkommt, aber kaum noch im Alltag. Was bedeutet es, dass Gott gnädig ist, was ist Gnade?

„Gnade“ ist einer der seltenen Fälle, in denen uns ein Fremdwort hilft, ein deutsches Wort besser zu verstehen. Wahrscheinlich kennen Sie alle das Wort „gratis“. Es bedeutet, dass etwas nichts kostet, es ist umsonst, nicht zu kaufen. „Gratis“ ist lateinisch und bedeutet auf deutsch: aus Gnaden. Was aus Gnade geschieht, ist umsonst, kann nicht gekauft werden, ist freies Geschenk. Die Theologie erklärt die Gnade Gottes so: Sie ist Gottes freie, nicht geschuldete Zuwendung zu uns Menschen, seine Liebe, die wir durch nichts, was wir sind oder tun, rechtfertigen, verdienen oder gar kaufen könnten. Gottes Zuwendung ist gratis — aus Gnade. Das Leben selbst kennt gnadenhafte Erfahrungen, die uns gewissermaßen auf die Gnade Gottes vorbereiten. Jede Begegnung, die mehr ist als ein alltägliches Hallo und die gelingt, ist eine Art von Gnade — weil etwas dazukommen muss, das man nicht machen kann, nicht verdienen. Jede echte Begegnung, jede Freundschaft, jede Partnerschaft ist ein Geschenk — oder anders gesagt: Gnade. Wo es um kreatives, schöpferisches Tun geht, ja eigentlich auch um Arbeit in einem durchaus alltäglichen Sinne, braucht es die Inspiration, das Quäntchen Glück, das gewisse Etwas, damit es gelingt — oder anders gesagt: Gnade. Eine Welt ohne solche Gnaden-Erfahrungen wäre eine Welt ohne Freiheit, Kreativität, ohne Freundschaft und Liebe — kurz: eine Welt, in der es sich nicht mehr zu leben lohnen würde.

All das bereitet uns darauf vor, was die Botschaft der Geburt Johannes’ des Täufers ist: Gott ist gnädig. Gottes Gnade kann aber nicht einfach aus diesen Erfahrungen abgeleitet werden, auch wenn sie Vorboten und Verstehenshilfe sind. Gott wendet sich uns zu, will, dass wir sind, in jedem Augenblick unseres Daseins, liebt uns so radikal, dass er Mensch wird und einen menschlichen Tod stirbt — ohne dass wir das verdienen oder rechtfertigen könnten. Seine Liebe kommt aus der Tiefe seiner Freiheit — durch nichts getrieben, durch nichts angestoßen, durch nichts bedingt. Was vielleicht gut klingt, kann gerade den Menschen unserer Zeit auch erschrecken. Bin ich dann von den Launen eines Gottes abhängig? Wenn ich nichts vorweisen kann, was diesen Gott bindet, ist das doch eher eine erschreckende Aussicht. Freie, nicht geschuldete Zuwendung heißt dann eben auch: jederzeit zu widerrufen?! Bezogen auf uns scheint das so zu sein, Freundschaften und Partnerschaften können zerbrechen, ich kann „ungnädig“ werden und dem anderen meine Gunst entziehen. Gerade unsere Zeit ist ja groß darin, das Leben nach Lust und Laune, möglichst ohne Bindungen, zu feiern. Gottes Gnade ist anders, eben weil freie, nicht geschuldete Zuwendung etwas anderes bedeutet. Frei und nicht geschuldet ist eben das Gegenteil von Lust und Laune, es bedeutet: ich entscheide mich, meine Entscheidung gilt, weil ich eben nicht Spielball meiner Launen bin, weil ich eben nicht getrieben von ihnen bin, sondern aus der Tiefe meiner Person entscheide. Das ist der Anspruch der Gnade, der freien, nicht geschuldeten Zuwendung — der uns Menschen nicht immer gelingt, weil unsere Freiheit immer wieder verdunkelt ist, weil wir ist oft das tun, was wir eigentlich — ein gefährliches Wort — nicht wollen. Für Gott gilt das nicht. Er ist nicht Spielball irgendwelcher Launen, sondern frei in einem Sinne des Wortes, der letztlich unsere Möglichkeiten sprengt. Gott ist gnädig — seine Zuwendung entspringt seiner Freiheit, und darum gilt sie ein für allemal.

Eine kleine Spur dieser Sicht der Gnade gibt es in unserer Rechtsordnung. Der Bundespräsident kann einen Straftäter begnadigen, ein Rechtsakt, der seiner Freiheit entspringt, auf den es keinen Anspruch gibt — und der gilt. Der Bundespräsident kann nicht nach zwei Jahren den Begnadigten wieder einsperren lassen. Hier leuchtet Gnade auf, sie gilt ein für allemal. Ein weiterer Einwand gegen die Gnade, wie er vielleicht auch gerade an diesem staatlichen Gnadenakt sichtbar werden kann, ist, dass Gnade den Empfänger klein macht, der andere ist stärker, und da sind die Menschen unserer Zeit besonders empfindlich. Doch mir scheint es offensichtlich, dass das, was wir Menschen ersehnen, von uns selbst nicht erfüllt werden kann: Leben, Liebe, Glück ohne Grenzen und Lasten. Ohne Grenzen und Lasten, also ewig, das gibt es nur in Gott und mit Gott. Die Gnade meint gewiss, dem anderen in Freiheit etwas zu gewähren, was er aus sich selbst nicht hat, aber in ihr liegt auch ein Element der Nähe, das vielleicht so nirgends sonst existiert. Dem anderen etwas zu gewähren aus nichts als Freiheit, was er selbst nicht hat — bringt mich das seinen Sehnsüchten und Nöten nicht wenigstens für einen Augenblick ganz nahe? Ist es nicht so auch bei einem echten Geschenk, das nichts mit gesellschaftlichen Höflichkeiten zu tun hat? Dass ich ganz genau wahrnehme, was der andere braucht, dass ich tiefe Nähe zu ihm erlebe?

Wir feiern die Geburt Johannes’ des Täufers, wir feiern seine erste Botschaft, die schon sein Name enthält: Gott ist gnädig. Ein Fremdwort enthüllt uns die Bedeutung: „Gratis“ heißt auf deutsch „aus Gnaden“. Was aus Gnade ist, kann nicht gekauft oder verdient werden. Gottes Gnade ist seine freie, nicht geschuldete Zuwendung. Das bedeutet nicht, dass wir von seinen Launen abhängig sind, denn „frei“ meint eben, dass er nicht Spielball von Launen ist, sondern aus der Tiefe seiner Person entscheidet. So kommt er uns und unseren Nöten ganz nahe. Gott ist gnädig.