Mein Leben hat Sinn, der bleibt

Christi Himmelfahrt 2018 (Lesejahr B; Mk 16,15-20)

Frohbotschaft statt Drohbotschaft — dies forderte im Jahr 1995 das so genannte Kirchenvolksbegehren. Mag dieses auch längst vergessen sein, die Erwartung ist geblieben. Wenn Kirche und Glaube einen Sinn haben sollen, dann müssen sie irgendwie Mut machen, etwas Nettes verkünden. „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“, sagt Jesus. Was machen wir nun mit solchen Sätzen? Klar, die Auslegung der Bibel funktioniert nicht so, dass man einzelne Sätze aus dem Zusammenhang reißt, aber diese Worte Jesu stehen in ihrer provozierenden Klarheit da, und sie fügen sich durchaus in ein Gesamtbild, wenn man manche Gleichnisse Jesu betrachtet. Schauen wir also genau hin: was ist das für ein Glaube, der da gefordert ist, und was ist daran noch Frohe Botschaft?

In den Evangelien begegnet das Wort „Glaube“ eher selten, meist geht es um Nachfolge im ganz wörtlichen Sinne: Menschen, die ihr bisheriges Leben aufgeben, um mit Jesus durch die Lande zu ziehen. Glauben in diesem Sinne ist also nicht nur ein Für-wahr-Halten bestimmter Sätze oder Mitgliedschaft in der Kirche, die man dann zu bestimmten Anlässen aktiviert, sondern . . . ja, was eigentlich? Offenbar etwas, das sich nicht automatisch einstellt, sondern etwas, das den Menschen in sehr tiefer Weise betrifft. Ausgangspunkt ist — so meine Erfahrung —, dass ich die Zerbrechlichkeit des Lebens wahrnehme. Das muss nicht immer die große Erschütterung sein, die das bisherige Leben in Frage stellt, es kann auch die — vielleicht unausgesprochene — Erfahrung sein, dass man sein Leben nicht in der Hand hat. Diese Erfahrung scheint mir in gewissem Sinne seltener zu werden, da die Bruchstückhaftigkeit des Lebens — in einem Bild gesagt — durch eine Zuckerkruste überklebt wird, so dass manchmal zusammenhängt, was längst zerbrochen ist. Die vielfältigen Konsum- und Unterhaltungsmöglichkeiten überdecken die Bruchstellen des Lebens. Wenn ich aber diese Brüche wahrnehme, wo kommt Hilfe her, so dass nicht alles zerbricht, das Leben nicht entgleitet? Manchmal begegnet mir die verschwommene Hoffnung, irgendetwas bleibt nach dem Tod schon noch, oder man blendet den harten Schnitt des Todes aus, die Oma lebt irgendwie bei den Sternen, oder der Tod ist das, was meinem Leben die Einmaligkeit gibt, da muss gar nichts danach kommen. Wenn aus den Bruchstücken meines Lebens nach dem Tod irgendetwas Neues zusammengesetzt wird, so ist das keine Hoffnung für mich als Person, den harten Schnitt des Todes auszublenden, indem ich irgendwie eine Existenz nach dem Tode annehme, scheint mir ebenfalls unvernünftig. Die größte Herausforderung ist offenbar das radikale Ernst-Nehmen des Todes: Dass mein Leben irgendwann zu Ende ist, macht es gerade besonders — warum soll man vor dieser Einmaligkeit weglaufen? Soll man nicht eher das Leben hier annehmen, gestalten, genießen, statt sich von einer Religion vertrösten zu lassen? Auch wenn das Leben brüchig ist und irgendwann zerbricht, so ist es doch einmalig — fast ein Kunstwerk.

Ich glaube, dass die Sehnsucht des Menschen so nicht richtig verstanden wird. Der Mensch sehnt sich danach, dass sein Leben Bedeutung hat, einen Sinn hat, der bleibt, nicht nur das Leben im Ganzen, sondern auch die einzelnen Abschnitte, die oft genug Bruchstücke sind. Aus dieser Sicht ist es nachvollziehbar, dass ein ewiges Leben, das sozusagen ein Herumhüpfen auf einer bunten Blumenwiese im Paradies ist, nicht mehr attraktiv erscheint, so wird das irdische Leben zu einem mehr oder weniger belanglosen Vorspiel der Ewigkeit — ohne bleibende Bedeutung, nur Durchgang zum Eigentlichen. Doch eben das ist nicht der christliche Glaube. Ausgehend von der Erfahrung der Zerbrechlichkeit des Lebens suche ich nach einem Sinn und einer Bedeutung für mein Leben, die bleibt — und zwar für immer bleibt. Deshalb kann ich auch den Tod nicht als vollendenden Abschluss meines eigenen Lebens annehmen, denn er vollendet nicht, sondern zerstört, es bleibt eben nichts, auch keine Bedeutung, kein Sinn — es sei denn . . . Hier setzt der christliche Glaube an: Jesus setzt sich zur Rechten Gottes, sagt das Evangelium. Der Mensch Jesus hat neben Gott, oder genauer gesagt: in Gott einen Platz — für immer, einen Platz, den er auch uns bereitet hat. Das entspricht doch der Sehnsucht des Menschen. Es geht nicht um eine Entwertung des Lebens als Vorspiel zum Paradies, sondern darum, dass mein Leben bleibende Bedeutung hat — in Gott und das heißt für immer. Letztlich geht es hier um mehr als eine Sehnsucht, wir setzen — bewusst oder unbewusst — voraus, dass eine solche Bedeutung existiert, sonst hätten wir keine Kraft, das Leben anzugehen. Auch wer den Tod als unvermeidlich annimmt und so die Einzigartigkeit seines Lebens betont, geht dabei doch von einer Bedeutung seines Lebens aus, die schlechthin gilt — und schlechthin heißt eben doch: unter allen Umständen, für immer, ewig. So nimmt er den Tod doch nicht als letzte Grenze an, auch wenn er das behauptet.

Glauben heißt also, dass ich die Zerbrechlichkeit des Lebens wahrnehme, den Einschnitt des Todes ernst nehme und darauf vertraue, dass Jesus meinem Leben einen Platz in Gott, d.h. bleibende, ewige Bedeutung in ihm geben kann. Und was ist mit der Verdammnis für die, die nicht glauben? Die Kirche hat viele Fehler gemacht, aber einen hat sie nie gemacht: sie hat nie festgestellt, dass ein bestimmter Mensch verdammt ist, einen solchen Richtspruch darf kein Mensch fällen. Wie sehr ein Mensch eben doch ahnt, dass es Gott gibt, der allein retten und bleibenden Sinn geben kann, eben weil — wie gezeigt — diese Hoffnung dem Menschen und seiner Sehnsucht zutiefst entspricht, das weiß nur der, der alle Herzen kennt: Gott allein.

Haben wir also nun eine Froh- oder doch eine Drohbotschaft? Ich gebe zu, die Frage ist rhetorisch, natürlich haben wir ein Evangelium, zu deutsch „Frohe Botschaft“, aber eine solche darf die Wirklichkeit nicht vereinfachen, sonst nützt sie nichts. Das Leben ist brüchig und der Tod ernst. Wir sehnen uns nach bleibender Bedeutung unseres Lebens mit seinen vielen Schichten und Teilen, ja setzen sie voraus, weil wir ohne sie nicht leben können. Die Geschichte der Menschheit kennt nur eine Antwort auf diese Sehnsucht: Jesus, der sich zur Rechten des Vaters gesetzt und auch uns dort einen Platz bereitet hat.