Frieden in den Gegensätzen, Sinn im Chaos — das ist göttlich

Pfingsten 2018 (Lesejahr B; Apg 2, 1-11; Joh 15,26-27; 16,12-15)

„Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören?“, fragen die Menschen angesichts des Pfingstwunders erstaunt. Ich frage mich heute immer wieder: Warum versteht uns als Kirche eigentlich kaum noch jemand? Während Pfingsten damals der Startschuss für eine Kirche war, die sich mehr und mehr ausbreitete und kulturelle Grenzen überwand, scheint heute eher das Gegenteil zu geschehen: Menschen stehen dem, was wir glauben und verkünden, gleichgültig, verständnislos und manchmal auch staunend gegenüber. Was können wir tun, damit heute wenigstens ein bisschen Pfingsten geschieht und wir verstanden werden, wenn wir von Glauben reden?

Aber vielleicht sollte ich eher fragen: Versteht uns keiner mehr, weil wir gar nicht mehr vom Glauben reden? Wir diskutieren stattdessen Gottesdienstorte und -zeiten, überlegen, wie wir möglichst viel der gegenwärtigen Gestalt von Kirche noch am Leben erhalten können usw. Haben wir schon aufgegeben? „Kirche interessiert halt heute nicht mehr, Hauptsache, es hält, solange ich noch in die Kirche kann.“ Oftmals wird auf die Sprache der Kirche verwiesen, die eben gerade nicht mehr zeitgemäß ist, genauso wie viele ihrer überalterten Vorstellungen. Da mag etwas dran sein, der Kern des Problems ist — so bin ich überzeugt — ein anderer. Ein Großteil der Menschen hat den Sinn für Religion verloren. Sie spielt einfach für sehr viele keine Rolle mehr. Es wird immer schwieriger das, was wir meinen, wenn wir „Gott“ sagen, in das Denken und Sprechen der Menschen heute zu übersetzen. Also alles von vornherein zum Scheitern verurteilt? Denken wir wieder an das Pfingstwunder. Wer damals in Jerusalem gesagt hätte, dass diese Botschaft Menschen im ganzen Römischen Reich erreichen und prägen wird, wäre wohl bestenfalls belächelt worden. Der Heilige Geist kann alles neu machen, verändern. Außerdem geht es nicht nur darum, für andere etwas zu entdecken, es geht auch darum, unseren Glauben zu stärken, in einer Zeit, in der dieser Glaube mehr und mehr hinterfragt wird. Jesus verheißt ja seinen Jüngern, dass der Geist sie mehr und mehr in die Wahrheit einführen wird. Der Heilige Geist geht mit uns durch die Zeit und hilft uns, unseren Glauben zu vertiefen. Versuchen wir es also: wie lässt sich Gott heute in das Sprechen und Denken der Menschen übersetzen?

Der Theologe Romano Guardini hat einst eine Beobachtung beschrieben, der wohl auch Menschen zustimmen können, die nicht an Gott glauben. Er sagte, es gibt im Leben Widersprüche, also Dinge, die sich ausschließen, wenn das eine ist, kann das andere nicht sein, aber es gibt auch Gegensätze, also zwei Dinge, die sich in Spannung halten, die nicht zusammenfallen können, aber aufeinander bezogen sind, und aus diesen Gegensätzen ist das Leben gebaut. Zum Beispiel: Allein-Sein und Gemeinschaft — beides gehört zum Menschsein, mal mehr das eine, mal mehr das andere. Leben heißt, zwischen solchen Gegensätzen sich hin- und herzubewegen, je nach Lebenssituation seinen Frieden an einem anderen Punkt der Spannung zu finden. Frieden in diesen Gegensätzen finden, immer neu, immer wie ein Geschenk — ist das nicht etwas Großes, ja etwas, das über uns hinausweist, etwas Göttliches?

Unser Leben ist immer wieder von Brüchen gekennzeichnet, das gilt für unsere Zeit wahrscheinlich mehr als für vergangene Zeiten, die vielfältigen Möglichkeiten zwingen auch manchmal dazu, das Leben zu verändern. Es kommt vor, dass Menschen vor den Bruchstücken ihres Lebens stehen und nicht mehr weiter wissen. Und doch ist immer wieder die Möglichkeit da, im Chaos Sinn zu finden, eine Möglichkeit, das Leben anders zu sehen und weiterzuleben. Sinn im Chaos — ist das nicht etwas Großes, etwas Göttliches? Der Theologe Jean de Caussade sagte einmal, das Leben erscheint uns oft wie ein Gewirr von Fäden, aber im Tod dreht Gott das Ganze um, und das wunderschöne Muster eines Teppichs wird sichtbar.

Frieden in den Gegensätzen, Sinn im Chaos — mancher mag zugeben, dass dies etwas Großes vielleicht sogar Größeres als der Mensch ist, vielleicht sogar Göttliches, aber hat das wirklich etwas mit dem Gott, an den wir glauben, zu tun? Wir glauben ja, dass Gott nicht irgendeine Kraft ist, sondern ein Jemand, ein Gegenüber, das uns anspricht. Frieden und Sinn gibt es nur da, wo persönliche Beziehung ist. Das zeigt die große Politik, das zeigt das eigene Leben. Im Nahen Osten gäbe es zahlreiche Konzepte, wie Frieden gelingen könnte, wie Israelis und Palästinenser friedlich miteinander leben könnten, aber es klappt nicht, denn dazu braucht es Vertrauen, Verständnis — Frieden braucht eine belastbare persönliche Beziehung, dann kann auch die technische Seite geklärt werden. Und ist es nicht im privaten Umfeld ebenso? Es könnte viele Weisen geben, wie man in einer Familie miteinander auskommt, den Eigenbereich des anderen respektiert, aber es wird nicht klappen, wenn keine belastbare persönliche Beziehung da ist. Wenn wir Frieden in den Gegensätzen, Sinn im Chaos haben, dann ist das etwas Göttliches, das es aber nur in Beziehung zu ihm, zum lebendigen Gott gibt.

Es gibt sicher viele andere Weisen, heute von Gott zu sprechen, es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt, aber wir müssen es auch wagen und wollen. Der Heilige Geist wirbelt gewiss manches durcheinander, aber gerade so zeigt er neue Wege, neuen Sinn. Es ist nicht leicht, heute von Gott zu sprechen, dieses Wort in Sprache und Denken der heutigen Menschen zu übersetzen, aber wir dürfen und müssen es versuchen, der Beistand des Geistes ist uns verheißen wie einst den ersten Jüngern. Das Leben besteht in vielfältigen Spannungen, Gegensätzen, die nicht zusammenfallen und doch aufeinander bezogen sind. Frieden in diesen Gegensätzen zu finden ist etwas Göttliches, genauso wie Sinn im Chaos, das uns das Leben immer wieder aufbürdet. Frieden findet der Mensch aber nicht in technischen Regelungen und Konzepten, nur in Beziehung zu jemandem, etwas Göttliches verweist uns auf ihn, auf den lebendigen Gott. Möge der Heilige Geist uns immer tiefer in die Wahrheit führen.