Freiheit ist gar nicht so einfach . . .

13. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C; Gal 5, 1.13–18; Lk 9, 51–62)

In einer Science-Fiction-Erzählung baut ein Mann einen Supercomputer und stellt ihm — so heißt es tatsächlich in der Geschichte — die wichtigste Frage: Gibt es Gott? Der Computer antwortet: jetzt schon. Die Erzählung greift die Ängste der Menschen angesichts der immer leistungsstärker werdenden Künstlichen Intelligenz auf, Ängste, die uns Menschen vor die grundsätzlichen Fragen stellen: Was macht den Menschen aus — gerade wenn Künstliche Intelligenz so vieles besser kann als wir? Auch die gesellschaftlichen Umbrüche, in denen wir ganz offensichtlich stehen, drängen uns diese Frage auf. „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“, sagt der Apostel Paulus. Freiheit könnte eines der Kennzeichen sein, die uns Menschen unverwechselbar machen. Aber was ist nun Freiheit?

„Nehmt die Freiheit nicht als Vorwand für das Fleisch“, sagt der Apostel, und mancher mag denken: typisch Kirche, erst von Freiheit schwätzen, und dann quasi alles zurücknehmen durch Verbote. Doch das trifft nicht den Gedankengang des Paulus. Er spricht etwas an, das wahrscheinlich allen irgendwie bekannt ist — egal ob sie glauben oder nicht. Es geht um einen inneren Konflikt. Nehmen wir an, ich bin gerade wirklich frei, mich zu entscheiden, was ich tun will. Aber was will ich eigentlich? Eigentlich sollte ich etwas für meinen Beruf vorbereiten, eigentlich will ich das auch irgendwie, weil ich einsehe, dass es wichtig und notwendig ist, aber ich habe überhaupt keine Lust darauf, ich würde bei der Hitze lieber ein Eis essen, und eigentlich sollte ich auch einen Freund besuchen, was ich auch irgendwie will. Aber was will ich denn nun wirklich? Freiheit — das will der Apostel betonen — ist mehr als etwas aus eigenem Antrieb, ohne Zwang zu tun. Freiheit heißt auch, gewissermaßen einen Schritt zurückzutreten, die eigenen — einander oftmals widersprechenden — Antriebe in den Blick zu nehmen und sich zu entscheiden, was man nun im tiefsten Sinne will und dann tut. Mit Paulus könnte man vielleicht sagen: Freiheit heißt, das zu tun, was ich eigentlich will — und nicht einfach das, worauf ich gerade Lust habe. Paulus ist davon überzeugt, dass das, was wir im tiefsten Sinne wollen, nicht einfach oberflächliche Begehrlichkeiten sind. Hat er recht? Das wird wenig überraschen — ich glaube, er hat recht. Wer es schafft, sich in einer ruhigen Stunde selbst zu befragen — wenn das in dieser lauten Zeit überhaupt möglich ist —, wird in dem anspruchsvolleren, höherrangigen Teil seines Willens und seiner Antriebe das erkennen, was er zutiefst will. Sich für andere einzusetzen, ein Talent zu entfalten — auch wenn es Mühe kostet: das ist das, was zählt, sich dafür entscheiden, das ist Freiheit. Das heißt nicht, dass der Mensch nie tun soll, worauf er Lust hat, es geht darum, dass das nicht der entscheidende Antrieb ist, der die Richtung des Lebens bestimmt. Das heißt auch nicht, dass wir immer das Anspruchsvollere tun, gerade unsere Zeit einhält so viele Ablenkungen, so viele Möglichkeiten, Begehrlichkeiten zu wecken und sich zu betäuben, aber das ist nicht nur eine Gefahr unserer Zeit, sondern eine grundsätzliche Gefahr des Menschen. Eben deshalb mahnt Paulus, dass wir zur Freiheit befreit sind, dass wir diese eben nicht sinnlos verspielen und verkennen, indem wir einseitig Begehrlichkeiten folgen. Das ehrenamtliche Engagement in Kirchen und Vereinen lebt ja davon, dass Menschen sich für das Anspruchsvollere, das Höherrangige, das meist das Unbequemere ist, entscheiden, dass sie sich für das Miteinander einsetzen, auch wenn dadurch private Zeit geringer wird.

Das Anspruchsvollere, Höherrangige — der Einsatz für andere, das Entfalten eines Talents — ist eben doch der innerste Kern unseres Willens, auch wenn Menschen dazu neigen, das zu verdrängen. In einer ruhigen Stunde kommt man kaum umhin, zuzugeben, dass es eben darauf ankommt, das Höherrangige zu wählen. Aber warum ist das so? Weil wir offen sind für Gott. In diesem Anspruchsvolleren liegt eine Art von Bindung, erreicht uns mit großer Nachhaltigkeit ein Ruf, nicht dass wir gezwungen werden, sondern dass wir erkennen: Das ist einfach der gute, richtige, der sinnvolle Weg, der ans Ziel führt. In einem Bild gesagt: Niemand ist unfrei, weil er den einzigen Weg wählt, der zum Gipfel führt — und nicht den, der in den Abgrund führt. Menschen, die wir als Vorkämpfer für die Freiheit verehren, konnten in einem gewissen Sinne nicht anders — auch wenn es sie das Leben kostete, wie beispielsweise Martin Luther King oder Pater Alfred Delp. Im anspruchsvolleren Weg erkennen wir etwas Größeres, das nicht aus uns kommt, das uns mit Nachhaltigkeit ruft. Wer soll das sein — außer dem, den wir als Glaubende Gott nennen?

Paulus sagt: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ Es ist der Gott, der uns in Christus, begegnet, der uns diese Freiheit schenkt — weil er selbst den anspruchsvollsten Weg gegangen ist. Er ist Mensch geworden, hat seine Botschaft bis in den Tod durchgehalten. Er ist nicht ein Gott irgendwo im Jenseits, sondern an unserer Seite. Jesus ist entschlossen nach Jerusalem zu gehen, sagt das Evangelium, d.h. er weicht dem Konflikt mit den Mächtigen nicht aus. Er sagt nicht: ich hatte ein paar gute Ideen, macht was draus, ich bin dann aber mal weg. Er geht den anspruchsvolleren Weg aus eigenem Entschluss. Wer mit ihm diesem Weg geht, muss auch entschlossen sein. Christus hat uns befreit, hat uns den tiefsten Sinn der Freiheit gezeigt: nicht einfach oberflächlichen Begehrlichkeiten zu folgen, sondern das Anspruchsvollere zu wählen. Ich fürchte, dass wir ohne Christus diese Freiheit verlieren. Romano Guardini hat einmal gesagt, es ist wie bei einem fernen Stern. Wir sehen sein Licht noch, auch wenn er untergegangen ist, weil es Lichtjahre bis zu uns braucht. Aber irgendwann verschwindet es doch.

Freiheit ist ein Kennzeichen des Menschen, Freiheit heißt, gewissermaßen einen Schritt zurückzutreten, die eigenen — einander oftmals widersprechenden — Antriebe in den Blick zu nehmen und sich zu entscheiden, was man nun im tiefsten Sinne will. Ich bin überzeugt, dass der innerste Kern unseres Wollens der anspruchsvollere Weg ist, weil wir offen sind für Gott, der uns so ruft. In Christus ist er selbst diesen Weg gegangen. Es ist der Weg zum Ziel.