Gott ist nicht f ü r Argumente, aber d u r c h Argumente zugänglich

17. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C; Gen 18,20-32; Lk 11,1-13)

Das mit dem Beten ist so eine Sache. Einerseits weiß man als Glaubender, dass es dazugehört, man erfährt es wohl zumindest gelegentlich als etwas Stärkendes, Tröstendes, anderseits bleibt der Wermutstropfen, dass man oft genug nicht das bekommt, was man erbittet. So besteht die Gefahr, dass das Beten abgleitet, es gibt dann nur noch das Stoßgebet in brenzligen Situationen, oder vielleicht in einer schwierigen Situation das Verhandeln mit Gott: Wenn du das zulässt, lieber Gott, dann mach aber bitte, dass . . . Das sind ganz tief in uns verwurzelte Verhaltensweisen, so dass auch mancher, der mit Religion wenig zu tun hat, mal ein Stoßgebet wagt, und ein Schwerkranker mit Gott oder dem Schicksal — wie immer er es nennen möchte — zu verhandeln beginnt: Die Geburt des Enkels möchte ich noch erleben . . . Die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross hat dieses Verhandeln als dritte Phase des Sterbeprozesses beschrieben. Doch zugleich regt sich im Menschen unserer Zeit Widerstand. Wenn es Gott gibt, kann er doch nicht für menschliche Bestechungsversuche zugänglich sein?! So stecken wir in der Zwickmühle: einerseits gehört für uns als Glaubende das Gebet dazu, ja sogar Nicht-Religiöse wagen mal ein Stoßgebet oder Verhandeln mit dem Schicksal, so tief ist in uns der Wunsch, das Göttliche zu beeinflussen verankert. Andererseits kann man kaum glauben, dass Gott so beeinflussbar ist. Was nun? Ist Gott vielleicht doch für Argumente zugänglich?

Fast scheint es so, wenn man die Verhandlungen Abrahams mit Gott in der alttestamentlichen Lesung verfolgt. Abraham erinnert Gott an sein eigenes Prinzip der Gerechtigkeit und versucht daraus ein auch für Gott einsichtiges Verhalten abzuleiten: Wenn du also gerecht bist, Gott, dann kannst du nicht einfach eine ganze Stadt mit Gerechten und Ungerechten gleichermaßen vernichten, denn das wäre ungerecht. Ist Gott also doch für Argumente zugänglich? Es sieht so aus — aber kann ich wirklich an einen Gott glauben, der sich von mir überzeugen lässt, bin ich da nicht automatisch in der stärkeren Position? Ich glaube, es wird klarer, wenn wir das Evangelium betrachten. Jesus argumentiert auch — aber mit seinen Zuhörern. Jesus leitet gewissermaßen zu einem inneren Gespräch an. Wenn du glaubst, dass Gott sich dir zuwendet, dann kannst du ihn auch mit einem menschlichen Freund vergleichen. Wenn schon einem menschlichen Freund deine Freundschaft so viel wert ist, dass er dir entgegenkommt, auch wenn es ihm Mühe bereitet, um wieviel mehr wird Gott dann bereit sein, dir entgegenzukommen? Ich sage bewusst „entgegenkommen“, denn Jesus sagt — genau betrachtet — nicht, dass der Mensch von Gott einfach bekommt, was er will, auch ein menschlicher Freund wird wohl kaum immer alle Bitten einfach erfüllen. Gott öffnet sich — klopft an, und es wird euch geöffnet — und gibt denen, die bitten, den Heiligen Geist, sagt Jesus. Was Jesus hier anleitet, ist sozusagen ein inneres Gespräch des Menschen, ein Nachdenken, das ihn besser verstehen lässt, wie Gott sich ihm geöffnet hat. Deshalb würde ich sagen: Gott ist nicht einfach f ü r Argumente zugänglich, ich kann Gott nicht einfach eines Besseren belehren — aber Gott ist d u r c h Argumente zugänglich. Ich argumentiere nicht mit Gott, sondern mit mir selbst — so wie Jesus es anleitet —, aber in diesem inneren Gespräch, in diesem Nachdenken komme ich Gott näher, weil ich besser verstehe, wie er sich für uns geöffnet hat. Auf Abraham bezogen heißt das: Er belehrt nicht Gott eines Besseren, sondern sich selbst, er glaubt an Gott als den Gerechten, und aus diesem Glauben heraus versucht er das Geschehen zu deuten. Gott vernichtet eben nicht einfach eine Stadt — ohne Ansehen der Person, weil er gerecht ist. Das ist auch eine Botschaft an den Leser, der sich vielleicht allzu schnell wünscht, Gott möge einmal dreinschlagen. Denk erstmal nach, ob das Gerechtigkeit sein kann, heißt die Botschaft. Gott ist also nicht einfach für Argumente zugänglich, ich kann ihn nicht eines Besseren belehren, aber er ist durch Argumente zugänglich, indem ich über ihn nachdenke, komme ich ihm näher, verstehe ich, wie sehr er sich für mich geöffnet hat.

Wenn ich nun — wie Abraham — darüber nachdenke, dass Gott gerecht ist und was das für mich heißt, mache ich Gott damit nicht auch klein, indem ich ihn auf Gerechtigkeit festlege? Ist Gott nicht einfach jenseits all unseres Begreifens? So lautet ein heute gängiger Einwand. Umgekehrt könnte ich fragen: Lege ich Gott nicht auch fest, wenn ich ausschließe, dass er sich zeigen kann, wie wir als Christen glauben, dass er das getan hat? Mir scheinen solche Versuche Gott als vollständig jenseitig zu verstehen letztlich immer als Versuche Gott aus unserem Leben zu streichen, ihn zu einer jenseitigen Kraft zu machen, die keinen Anspruch an mich erhebt und dann irgendwann durch ihre Bedeutungslosigkeit endgültig entschwindet. Wenn wir glauben, dass Gott gerecht ist, macht ihn das nicht klein, sondern groß — eben größer als unser Begreifen, so dass unser Nachdenken, unser inneres Gespräch uns ihm zwar einen Schritt näher bringen kann, er aber immer der Unfassbare bleibt. In der Vorstellung von Gerechtigkeit begegnet uns ja schon etwas Größeres, das wir nicht gemacht haben, das uns bindet, unser Verstehen und unsere Möglichkeiten übersteigt, weil wir nie vollkommene Gerechtigkeit erkennen, geschweige denn umsetzen können. In der Gerechtigkeit entdecken wir Gott selbst.

Wir haben es mit diesem Gott nicht immer leicht, einerseits ist in uns Menschen die Sehnsucht, Gott zu beeinflussen, mit ihm zu verhandeln, tief verwurzelt, anderseits können wir kaum an einen Gott glauben, der sich von uns Menschen eines Besseren belehren lässt. Kann Gott ernsthaft für unsere Argumente zugänglich sein? Gott ist nicht einfach f ü r Argumente zugänglich, lässt sich von uns nicht eines Besseren belehren. Gott ist d u r c h Argumente zugänglich, indem ich über ihn nachdenke, komme ich ihm näher, verstehe ich, wie sehr er sich für mich geöffnet hat. Abraham erfährt, wie in der Gerechtigkeit Gott aufstrahlt als der Größere, dem wir uns nähern können, weil er sich uns genähert hat, den wir aber niemals einholen können. Wir können uns letztlich nur auf seine Liebe, seine Freundschaft verlassen.