Wer nicht mit der Z e i t geht, muss mit der Zeit g e h e n?

2. Adventssonntag (Lesejahr A; Mt 3,1-12)

Wer nicht mit der Z e i t geht, muss mit der Zeit g e h e n — dieser Spruch wird ja der Kirche in diesen Tagen oft genug vorgehalten. Mir scheint eher das Gegenteil zuzutreffen: Moden kommen, und Moden gehen. Was gerade in aller Mund ist, ist nächstes Jahr schon wieder vergessen. Auch im Bereich Religion gab und gibt es solche Moden, vor einiger Zeit war der Buddhismus angesagt, heute scheint die Klima-Bewegung religiöse Eigenschaften an den Tag zu legen. Nur eines ist für viele klar: das Christentum ist überholt und altmodisch. Gibt es vielleicht nicht doch etwas, das wir von solchen Trends lernen können, um unseren Glauben wenigstens einmal wieder ins Gespräch zu bringen? Was macht diese Mode-Erscheinungen eigentlich modern und attraktiv?

Man kann — in gewissem Sinne — auch Johannes den Täufer eine Mode-Erscheinung nennen. Offensichtlich lag es im Trend, diese seltsame Gestalt in der Wüste einmal zu hören, nicht wenige waren wohl bereit, durch das Unter- und Auftauchen im Jordan öffentlich zu zeigen, dass sie die Predigt des Johannes ernst nahmen und neu beginnen wollten. Johannes muss auf seine Hörer fremdartig gewirkt haben, manche kamen aus der Stadt, zumindest einige gehörten da auch zu den Angesehenen — eben die Pharisäer und Sadduzäer —, und begegnen dieser seltsamen Gestalt im Kamelhaargewand, die sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährt. Offenbar ist es so, dass wir Menschen immer wieder — gerade auch wenn es uns gut geht — von einer Unruhe erfasst werden, gerade wenn wir satt sind, merken wir, dass wir es in einem letzten Sinne eben nicht sind. Und dann werden wir von etwas berührt, das ganz anders ist, das in Spannung zu dem steht, was wir kennen, das macht neugierig und scheint diese Unruhe zu erklären, da gibt es noch etwas, das so ganz anders ist als das, was ich habe und das mich langweilt. Dazu braucht es eben jemanden, der dies auch glaubwürdig ausstrahlt, und schon beginnt ein neuer Trend. Man hat das Gefühl, bei etwas Entscheidendem mitzuwirken — oder wenigstens dabei zu sein, wenn solches geschieht. Und irgendwann wird der Trend zum Selbstläufer. Wer etwas auf sich hält, muss das erlebt und gesehen haben. Die neuen technischen Möglichkeiten machen das heute sehr viel einfacher — verkürzen allerdings auch die Haltbarkeit solcher Trends. Bei Johannes dem Täufer musste es allein die Mund-zu-Mund-Propaganda leisten, aber das hat offenbar geklappt: teilweise zum Ärger des Täufers, der den Pharisäern und Sadduzäern wohl reine Neugier unterstellt — ohne die Bereitschaft zur Umkehr. Auch das ist häufig ein Kennzeichen solcher Mode-Erscheinungen. Die, die im Mittelpunkt eines solchen Trends stehen, mögen es nicht, wenn irgendwann mehr Neugierige als wirklich inhaltlich Interessierte kommen.

Und was beendet den Trend nun? Irgendwann ist das Neue eben nicht mehr neu, die Spannung, die sich durch die Fremdheit des Neuen einstellt, fällt in sich zusammen. Man müsste dann wirklich sein Leben ändern und stellt fest, das ist gar nicht so einfach. Im Hochgefühl des Neuen sich von Johannes taufen zu lassen ist eines, das Ganze im Alltag zu leben etwas anderes. Die Unruhe bleibt. Johannes wird schließlich hingerichtet, weil er einen Fürsten, der von Roms Gnaden regiert, kritisiert. Von seinen Jüngern ist dann kaum noch die Rede, einmal berichtet Matthäus, wie sich ein paar vorsichtig an Jesus herantasten, wir hören davon am nächsten Sonntag. Das Ganze verläuft sich wahrscheinlich.

„Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich“, sagt Johannes — und man könnte ergänzen: anders. Jesus lebt nicht in der Wüste, trägt kein Kamelhaargewand und lässt sich auch noch anderes schmecken als Heuschrecken. Dieser Fresser und Säufer — so kritisieren ihn deshalb einige, wie Jesus an anderer Stelle im Evangelium selbst sagt. Jesus bleibt äußerlich unauffällig. Er ist — auf den ersten Blick — ein Rabbi wie andere auch, also ein religiöser Lehrer, der seine Schüler um sich schart. Erst nach und nach enthüllt sich ihnen, dass Jesus mehr ist — bis hin zur Verkündigung des Neuen Testaments, dass in Jesus Gott selbst Mensch wird. So zeigt sich, dass hier etwas anderes geschieht als ein neuer Trend, als eine Mode-Erscheinung. Diese erwachsen aus der Unruhe, die der Mensch auch und gerade dann fühlt, wenn er scheinbar satt ist — es aber in einem letzten, tiefen, existenziellen Sinne doch nicht ist. Wenn er dann eine Gestalt entdeckt, die in Spannung zu dem steht, was ihn bisher prägt, kann ein solcher Trend entstehen, man hat das Gefühl, bei Wichtigem dabei zu sein, und irgendwann gehört es einfach dazu mitzumachen. Doch irgendwann ist das Neue nicht mehr neu, die Spannung zerfällt, die Unruhe bleibt. Das Christentum ist von seiner Wurzel her anders. In den Mode-Erscheinungen steht das Neue, Fremdartige am Anfang, es begründet die Spannung, die dann irgendwann zerfällt. Im christlichen Glauben geht es anders herum. Am Anfang steht nichts Spektakuläres, da steht der Mensch Jesus mit seiner Botschaft. Erst in der Begegnung mit ihm wächst das Entscheidende, baut sich die Spannung auf: dass er nicht einfach ein Prophet, ein Verkünder, ein Bote unter anderen ist, sondern das, was alle menschlichen Maßstäbe sprengt — der lebendige Gott selbst, der ein Mensch unter Menschen wird.

Deshalb können wir auch von Trends und Mode-Erscheinungen letztlich nichts lernen, so verführerisch das auch oft genug erscheint. Die Unruhe des Menschen kann so nicht geheilt werden. Die Spannung zum Bestehenden, das Neue und Fremdartige nutzt sich ab, das Ganze verläuft sich. Das Christentum funktioniert eben umgekehrt. Erst in der Begegnung mit dem Menschen Jesus enthüllt sich nach und nach das Entscheidende: dass er der lebendige Gott ist. Diese Begegnung kann nie ein Ende finden, denn die Tiefe Gottes ist niemals auszuloten. Insofern gibt es keinen Trick, den christlichen Glauben wieder modern zu machen, sondern nur das, was immer unser Auftrag ist: den Glauben verständlich und glaubwürdig auch für unsere Zeit zu bezeugen. Der hl. Augustinus hat es so gesagt: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir, Gott.“