Das Geschenk des Glaubens ist Gott selbst als der Wahre und Tragende

2. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C; 1 Kor 12,4-11)

Es ist nicht einfach, den Laden zusammenzuhalten – vielleicht ist dieser Gedanke dem Apostel Paulus auch durch den Kopf gegangen, als er seinen ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schrieb. Unterschiedlichste Strömungen drohen die junge Gemeinde zu zerreißen, deshalb versucht Paulus in seinem Brief alles zu tun, um die Einheit zu erhalten. Wenn es nicht allzu überheblich wäre, könnte man mit einem gewissen Lächeln auf den Apostel schauen, denn um wie vieles schwieriger scheint es heute zu sein, die Einheit der Kirche zu wahren. In der orthodoxen Kirche gibt es beispielsweise Streit wegen der ukrainischen Kirche, in der anglikanischen Kirche zwischen  europäischen, nordamerikanischen und afrikanischen Kirchen. Allein die katholische Kirche bemüht sich um eine wirklich sichtbare Einheit, aber auch bei uns werden die Fliehkräfte stärker. Unsere Gesellschaft fördert eine immer weitergehende Individualisierung, das heißt im Mittelpunkt steht der Einzelne, der sich möglichst ausschließlich nach den eigenen Wünschen und Bedürfnissen richtet – ohne die Gemeinschaft im Blick zu haben –, und das gilt durchaus auch für kirchliche Zusammenhänge. Wie kann es also gelingen die Einheit von Kirche bzw. Gemeinde heute zu wahren? Oder ist Einheit ein Ziel der Vergangenheit?

Versuchen wir vom Apostel Paulus zu lernen, was versucht er in dem Abschnitt, den wir heute gehört haben, der Gemeinde zu sagen? Was für Spannungen in der Gemeinde sorgt, sind wohl auch die verschiedenen Prägungen und Schwerpunkte, jeder ist natürlich davon überzeugt, dass das, was ihm wichtig ist, für alle andern auch wichtig zu sein hat usw. Paulus versucht den Korinthern klarzumachen, dass solche Prägungen ihre Wurzeln gerade auch in bestimmten Begabungen haben. Diese Begabungen sind Gaben des einen Geistes Gottes, sie haben eine gemeinsame Wurzel, den Heiligen Geist. Und woran merkt man, dass diese Fülle der Begabungen einen gemeinsamen Ursprung hat? Im altgriechischen Originaltext steht „Charismen“, ein Wort, das als Fremdwort Eingang in unsere Sprache gefunden hat. Jedem, sagt Paulus, ist seine Gabe, sein Charisma  gegeben, dass sie bzw. es anderen nützt und – so könnte man vielleicht auch sagen – der Einheit der Gemeinde dient. Ein wichtiger Anstoß! Heute sagen Menschen immer, dass ihnen dies oder jenes an der Kirche und ihren Gottesdiensten nicht passt, die Musik ist zu langweilig usw. Jeder vertritt einen anderen Frömmigkeitsstil, von dem er überzeugt ist, dass er ihm selbst nützt, dass er seinen Glauben stärkt. Es ist gewiss wichtig, zu fragen, was meinen Glauben stärkt, aber kommt jemand mal auf die Idee zu fragen, ob das, von dem er meint, es nütze seinem Glauben, auch den anderen nützt? Paulus sagt, dass jede Gabe zum Nutzen der anderen gegeben wird. Es kann daher nicht sein, dass ich immer nur frage, welche Lieder, welche Art Gottesdienst, welche besondere Frömmigkeit nutzt mir, sondern ich muss auch fragen: Was haben die anderen Glaubenden davon, dass ich diese oder jene Prägung habe, diese oder jene Art, den Glauben zu leben, vertrete? Was haben die anderen, was hat die ganze Gemeinde davon? Das muss eine Leitfrage sein, die Menschen zum Nachdenken und auch ins Gespräch miteinander bringt.

Nun kann man natürlich auch hinterfragen, was diese Einheit überhaupt soll, und so argumentieren ja auch manche. Hauptsache, das Evangelium wird verkündet, dann soll jeder das halt leben, wie er möchte. Eine solche Spaltung geht – meiner Beobachtung nach – regelmäßig auch mit einer Abwertung der anderen einher, die einen empfinden sich als radikaler, entschiedener oder auch als moderner und offener für die Menschen unserer Zeit als die anderen. Diese Kleinstaaterei entspricht nicht dem Neuen Testament. Paulus ringt in diesem Brief an die Gemeinde von Korinth um ihre Einheit, das Altgriechische, in dem das ganze Neue Testament verfasst ist, kennt die Unterscheidung zwischen Kirche und einzelner Gemeinde gar nicht, es gibt nur die eine Kirche, die jeweils vor Ort von unterschiedlichen Menschen gelebt und verwirklicht wird. Nicht nur dass solche Spaltungen der Glaubwürdigkeit unseres Zeugnisses abträglich sind, sie widersprechen dem letzten Grund des Glaubens: Gott, der einer ist. Könnte er aber jedem nicht etwas anderes schenken, Menschen sind doch verschieden, er schenkt doch auch verschiedene Begabungen, wie Paulus sagt, vielleicht auch eine andere Weise zu glauben? Ist es aber bei Freundschaft oder Liebe nicht auch so, dass jeder das zwar ein bisschen anders versteht, aber dass diese Worte ihren Sinn verlieren würden, wenn nicht klar sichtbar ein gemeinsamer Kern da wäre? Gott schenkt nicht irgendwas, ein Geschenk, das bei jedem anders aussieht, er schenkt sich selbst. Vielleicht kann man es so sagen: Das Geschenk des Glaubens ist Gott selbst als der Wahre, als der Tragende, das Geschenk der Hoffnung ist Gott selbst als der Ermutigende, das Geschenk der Liebe ist Gott selbst als der Nahe, der Umarmende. Gewiss geht jeder mit einem Geschenk anders um, aber es ist dasselbe Geschenk. Nicht umsonst geht Paulus im ersten Brief an die Korinther so ausführlich auf die Eucharistie ein – übrigens genau vor dem Abschnitt, den wir heute gehört haben. In ihr schenkt sich Gott in Christus uns und fügt uns zusammen: zur Kirche, zum Leib Christi. Gott schenkt sich uns in Christus, das ist der Kern aller Gottesbeziehung. Christlicher Glaube lebt in der Einheit oder auf dem Weg zur Einheit.

Diese Einheit zu leben ist in einer Zeit wie der unsrigen besonders schwierig. Von Paulus ausgehend muss eine Leitfrage sein: Was haben die anderen Glaubenden davon, dass ich diese oder jene Prägung habe, diese oder jene Art, den Glauben zu leben, vertrete? Es ist der eine Gott, an den wir glauben, der sich uns schenkt. Das Geschenk des Glaubens ist Gott selbst als der Wahre, als der Tragende, das Geschenk der Hoffnung ist Gott selbst als der Ermutigende, das Geschenk der Liebe ist Gott selbst als der Nahe, der Umarmende.