Auf Gott, der mir in Jesus begegnet, zu hören ist Freiheit

26. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C; Am 6,1a.4-7; Lk 16,19-31)

Lebe deinen Traum, es sind die Erlebnisse, die zählen, mach dein Ding — so oder ähnlich werben manche Firmen, denn Freiheit, Ungebundenheit und Unabhängigkeit sind offensichtlich die großen Sehnsüchte unserer Zeit. Im krassen Gegensatz steht dazu das Evangelium dieses Sonntags. Du musst gehorchen, sonst wirst du bestraft — das scheint auf den ersten Blick die allzu eingängige Botschaft des Gleichnisses zu sein, das Jesus erzählt. Der Reiche kümmert sich nicht um die biblischen Mahnungen, den Armen zu helfen — wir haben die drastischen Worte des Propheten Amos in der Lesung gehört. Und so wird der Reiche bestraft. Letztlich geht es Jesus wohl um genau diesen Ungehorsam der biblischen Botschaft gegenüber, denn am Ende lässt er Abraham sagen: Die Brüder des Reichen werden sich nicht bekehren, wenn einer von den Toten zurückkommt, da sie auch nicht auf die biblische Botschaft hören. Gilt also die Schlussfolgerung, die heute offensichtlich auch viele ziehen: Wer Christ sein will, muss gehorsam sein — und sich von der Freiheit auf Nimmerwiedersehen verabschieden?

Mir fällt allerdings auf, dass Freiheit und Gehorsam oftmals gar nicht so einfach zu unterscheiden sind. Mancher rühmt sich seiner Freiheit, zeigt überall, wie er sein Leben nach eigenem Geschmack gestaltet — in Wirklichkeit ist er aber einfach einer gesellschaftlichen Mehrheit gegenüber gehorsam, die anzeigt, wie man zu leben hat, in Wirklichkeit schwimmt er einfach mit der Masse mit. Mancher bekommt das vielleicht auch einmal zu spüren, lange Zeit fühlt man sich frei, gut und unabhängig und irgendwann verschwindet das gute Gefühl, und man stellt fest, dass man abhängig geworden ist: vom Alkohol, vom Internet oder was auch immer. Wer sich frei fühlt, muss es in Wirklichkeit nicht sein. Und umgekehrt ist mancher, der nur gehorsam zu sein scheint, zutiefst frei. Ich bin schon einigen Ordensleuten begegnet, die ja ein besonderes Gehorsamsversprechen ablegen und die regelrecht eine Atmosphäre der Freiheit um sich verbreiten. Oder denken wir an Menschen wie Martin Luther King oder Mutter Teresa, die bewusst aus dem Gehorsam gegenüber der Botschaft Jesu gelebt haben, und doch ihren ganz eigenen Weg gegangen sind: Martin Luther King als Vorkämpfer für die Rechte der Schwarzen in den USA, Mutter Teresa kümmerte sich um die Sterbenden in Kalkutta. Wer auf den ersten Blick vielleicht unfrei erscheint, weil er sich der Botschaft Jesu verpflichtet, kann in Wirklichkeit in einem Maße frei sein, von dem viele, die sich irgendwas kaufen, weil „Lebe deinen Traum“ draufsteht, tatsächlich nur träumen können.

Es lohnt sich also nochmals genauer auf das, was Jesus sagt, hinzuschauen. Jesus fordert niemals einen blinden Gehorsam. Das Neue Testament ist auch nicht einfach eine Sammlung von Rechtsvorschriften, nach dem Motto: so hast du zu leben. Wie im heutigen Evangelium erzählt Jesus oftmals Gleichnisse. Er will also seine Zuhörer zum Mitdenken anregen, er will Einsicht und Verständnis. So ist das heutige Gleichnis auch nicht im schlichten Sinne eine Ankündigung, sondern ein Bild, das Verständnis wecken soll —- vielleicht auch mit einem kleinen Augenzwinkern. Auch heute hört man ja gelegentlich: ich würde schon glauben, wenn mal einer von den Toten zurückkäme. Und das ist Quatsch, sagt Jesus. Wer sich von der biblischen Botschaft nicht überzeugen lässt, findet auch genügend Ausflüchte, wenn einer von den Toten zurückkäme. Überzeugen — darum geht es Jesus, nicht um blinden Gehorsam. In der Sprache des Neuen Testaments, dem Altgriechischen, im Lateinischen, das dann in der frühen Kirche wichtig wurde, aber auch im Deutschen ist es dasselbe: Gehorchen kommt von horchen, hören. Es ist eine besondere Form des Hörens. Nicht ein Hören im Sinne von Zur-Kenntnis-Nehmen: aha, jetzt ist es so und soviel Uhr, sondern ein Hören, das etwas in mir bewegt, das mich in besonderer Weise angeht — ein Hören auf jemanden, der mein Versehen sucht. Das ist Gehorsam im Sinne Jesu.

Und geht dies nun mit der Freiheit zusammen? Wie schon gesagt, ist die Unterscheidung „Wann bin ich frei, wann bin ich gehorsam?“ gar nicht so einfach. Wir Menschen hören ständig auf etwas oder jemanden. Ich höre auf eine innere Stimme, die sagt: da musst du aber helfen. Oder ich höre auf mein Bauchgefühl und sage: Keine Lust dazu. Oder ich höre auf andere, die sagen, das gehört dazu — möglicherweise auch unbewusst, weil man halt der Masse folgt, ihr gehorsam ist. Wir hören ständig auf etwas oder jemanden. Wann ist es Freiheit und wann nicht? Wenn wir mal äußeren Zwang beiseite lassen, ist das gar nicht so leicht zu bestimmen. Bin ich unfrei, wenn ich auf andere höre? Manchmal mag das sein, manchmal nicht, weil sie mich auf etwas aufmerksam machen, was mir entspricht, ich aber übersehen habe. Bin ich nur frei, wenn ich auf mich, auf meine innere Stimme höre? So einfach ist es nicht, ich zumindest habe viele innere Stimmen, und mindestens eine sagt immer, ich soll die Schokolade essen. Es ist gar nicht leicht mit der Freiheit, und wo wir Menschen allein gelassen sind, neigen wir dazu uns zu verlaufen. Der heilige Augustinus hat einmal gesagt: Gott ist meinem Inneren näher, als ich es bin. Das Hören auf Gott, der mir in Jesus begegnet, ist für mich der Weg zur Freiheit, weil er im Gewirr der Stimmen, die um mich und in mir sind, meinen Weg besser kennt als ich. Das Hören auf ihn ist Freiheit.

Im Widerspruch dazu wird in einer oberflächlichen Deutung des Christentums das Hören auf die biblische Botschaft und Freiheit als nicht vereinbar angesehen. Gehorsam und Freiheit sind allerdings nicht immer so einfach zu unterscheiden. Mancher, der glaubt frei zu sein, ist in Wirklichkeit nur der Masse gehorsam. Jesus geht es nicht um blinden Gehorsam, sondern um Verstehen, um ein Hören auf den, der mein Verstehen sucht. In der Vielfalt der Stimmen, die ich um mich und in mir höre, ist das Hören auf Gott, der mir in Jesus begegnet, der Weg zur Freiheit, weil er meinen Weg besser kennt als ich. Das Hören auf ihn ist Freiheit.