Glauben ist eine Mischung aus Anfangen und Bewahren

27. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C; 2 Tim 1,6-8.13-14; Lk 17,5-10)

Wer’s glaubt, wird selig! Zumindest gelegentlich klingt in dieser Redensart auch mehr oder weniger Spott über Glauben mit. Wer braucht so etwas noch in unseren aufgeklärten Zeiten? Gewiss, in schlechten Zeiten, beispielsweise wenn man Abschied von einem geliebten Menschen nehmen muss, blitzt wenigstens die Sehnsucht nach so etwas wie Glauben auf. Es könnte, müsste, sollte doch noch mehr geben, als wir mit unseren Sinnen erfassen können. Spätestens wenn die Selbstverständlichkeiten des Alltags unterbrochen werden, fragt man, ob es nicht doch noch etwas anderes geben könnte, einen letzten Sinn, den man nicht mit den Methoden der Naturwissenschaft erfassen kann. „Stärke unseren Glauben“, bitten die Apostel schlicht. Offenbar saßen auch sie — salopp gesagt — weniger sicher im Sattel, als mancher denkt. Doch die Antwort Jesu wirkt nicht gleich überzeugend. Er scheint sie zu verspotten. Nicht einmal so groß wie ein Senfkorn ist euer Glaube. Was also stärkt unseren Glauben — hier und heute? Oder braucht es Glauben doch nicht mehr?

Die Antwort Jesu auf die Bitte der Apostel wirkt zunächst befremdlich. Verständnis und Einfühlsamkeit erwartet man heute, wenn man sich überhaupt noch an das Thema Religion wagt. Offenbar hatte Jesus da seinen eigenen Ansatz. Das kleine Gleichnis, das Jesus erzählt, spiegelt eine für uns fremde, unerträgliche Situation des Sklavendaseins wider. Jesus greift hier eine Begebenheit auf, die in der damaligen Gesellschaft Realität war, um etwas ganz anderes zu sagen: Vor Gott erwirbst du keinen Anspruch, im Glauben gibt es keine Karriere, keine Meisterschaft. Du bist und bleibst immer ein Anfänger. Vielleicht hatte er diesen Wunsch nach Karriere bei den Aposteln wahrgenommen und sie entsprechend korrigiert. Euer Glaube ist nicht mal so groß wie ein Senfkorn, weil ihr das nicht verstanden habt: im Glauben bleibst du immer ein Anfänger, da gibt es keine Karriere. Auf den ersten Blick scheint das mit dem zusammenzugehen, was in unserer Gesellschaft angesagt ist: sich neu erfinden können, jederzeit neu beginnen können. Was für die meisten ohnehin ein Traum bleibt oder höchstens nach dem Zerbrechen einer Partnerschaft versucht wird, ist für viele dennoch ein Ideal. Doch Glaube ist etwas anderes. „Bewahre das dir anvertraute kostbare Gut durch die Kraft des Heiligen Geistes, der in uns wohnt!“, so heißt es in der neutestamentlichen Lesung, die als Ermutigung für den Leiter einer frühchristlichen Gemeinde gedacht ist. „Bewahre“, heißt es da. Glauben ist eine Mischung aus Anfangen und Bewahren. Es gibt keine Karriere im Glauben, ich bin kein Meister, der einfach alle Glaubenskraft besitzt. Ich muss immer neu Gott suchen, habe ihn nicht einfach. Das bedeutet aber nicht, dass ich am Nullpunkt beginne, mich schlicht — auch nicht im Glauben — neu erfinden kann. Ich nehme meine bisherigen Erfahrungen mit, baue auf ihnen auf, verbessere wohl auch manches. Und ich nehme teil an den Erfahrungen der anderen, Gott ist nicht einfach mein Privat-Gott. Ich lebe mit und in der Gemeinschaft der Glaubenden. Bewahren und Anfangen — kennen wir das nicht auch aus anderen wesentlichen Bereichen des Lebens? Ist es nicht, was Liebe, Freundschaft und Hoffnung angeht, ganz ähnlich? Man fängt nicht einfach am Nullpunkt an und muss doch immer wieder neu anfangen.

Bewahren und Anfangen — manch einer mag eingestehen, dass dies gelegentlich eine notwendige Haltung ist, aber gleichzeitig in Frage stellen, ob es so etwas wie Glauben ernsthaft braucht: Glauben nicht einfach an irgendwas, an eine Energie oder das Göttliche allgemein, sondern Glauben an den persönlichen Gott, so wie ihn Jesus verkündet. Es geht nicht um den alten Mann auf der Wolke, aber um jemanden, der einen Willen hat, der sich zeigen und lieben kann. Braucht es das ernsthaft? Man kann diesen Gott nicht messen und wiegen, auch nicht einfach im schlichten Sinne sehen oder hören. Wie soll man in so aufgeklärten Zeiten glauben? Tatsache ist, dass wir alle irgendwie glauben, wir sind alle getragen von einem Netz aus Beziehungen und Überzeugungen, die wir glauben müssen und oft genug nur theoretisch nachprüfen können, praktisch aber nicht. Lebt der Mensch, den ich liebe überhaupt noch — oder liebt er mich noch? Vielleicht hat er heute Vormittag jemand anderen kennen gelernt? Man mag das gelegentlich — dank neuester Technik — überprüfen, aber gewiss nicht ständig. Und was heißt überhaupt Liebe? Daran kann ich auch nur glauben. Wir leben alle getragen von einem Netz aus Überzeugungen — manche davon können wir nachprüfen, aber auch nicht ständig, manche können ohnehin nicht bewiesen werden.

Und doch ist da noch mehr als dieses Netz aus Überzeugungen und Beziehungen. Wenn der Mensch in eine Krise gerät, sucht er nach einem Halt. Und wenn er ihn gefunden hat, wenn er sich auch in schweren Zeiten gehalten fühlt, dann ist das doch mindestens ein Fingerzeig, dass da ein Größerer ist, der hält. Ich weiß, man könnte denken, dieser Halt ist nur das eben genannte Netz aus Überzeugungen und Beziehungen und nicht irgendein Gott. Dem möchte ich widersprechen. Ein wirklicher Halt ist nicht einfach etwas, das sich als Halt herausstellt und doch auch wegbrechen könnte — wer weiß so genau, wann ein Netz reißt? Im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Einen letzten Halt finde ich, wenn da einer ist, dem ich vertrauen kann und der hält. Gehalten weiß ich mich nur da, wo einer hält, dem ich vertraue, dass er nicht loslässt. Wer soll das sein außer dem, den wir als Glaubende Gott nennen?

Es ist nicht leicht in Zeiten wie unseren zu glauben, Zeiten, in denen man glaubt, nur zu wissen und nicht mehr weiß, dass man auch glaubt. Glauben ist eine Mischung aus Anfangen und Bewahren, man ist nie Meister und beginnt doch nicht einfach am Nullpunkt. Wir alle sind von einem Netz aus Überzeugungen und Beziehungen getragen, an die wir glauben, die wie gar nicht beweisen und manche nur theoretisch ernsthaft nachprüfen können. Einen letzten Halt bietet kein Netz, das — wer weiß wann — reißt, sondern nur einer, dem ich vertrauen kann und der hält: Gott. Wie die Apostel bitten wir: Stärke unseren Glauben!