Allen recht getan ist eine Kunst, die keiner kann!

3. Adventssonntag (Lesejahr A; Mt 11,2-11)

Allen recht getan ist eine Kunst, die keiner kann, sagt der Volksmund, und für die Kirche gilt das in besonderer Weise — im Großen wie im Kleinen. In gewisser Hinsicht ist das eine Ausprägung unserer Gegenwart, in der jeder gewohnt ist, sofort nach seinem eigenen Geschmack bedient zu werden, aber grundsätzlich gab es das wohl schon in früheren Zeiten; das Evangelium dieses Sonntags ist ein Beleg dafür. Den einen war Johannes der Täufer wohl irgendwie zu radikal, wie man aus den Worten Jesu schließen kann, denn Johannes war eben weder ein fein gekleideter Herr noch ein Rohr, das im Wind schwankt, also jemand, der — wie wir heute sagen würden — sein Fähnlein in den Wind hängt. Er war ein Prophet, der klar und unverblümt zu den Menschen sprach, das kommt nicht immer an. Den anderen scheint Jesus wieder nicht zu passen, wie man den vorsichtigen Fragen der Jünger des Täufers entnehmen kann: bist du wirklich der, der kommen soll? Wie man es macht, man macht es irgendwie falsch, Religion und Kirche können es den Menschen — damals wie heute — nicht recht machen. Warum ist das eigentlich so? Und: geht es nicht doch anders — ein bisschen wenigstens?

Wie so oft in der Menschheitsgeschichte schwingt auch beim Thema Religion das Pendel zwischen den Extremen hin und her. Zunächst entsteht eine feste Ordnung mit vielen Regeln, die vielleicht manchmal mühsam sind, aber dafür Klarheit und Verlässlichkeit bieten. Doch irgendwann brechen die Menschen aus, man wünscht sich mehr Freiheit. Auf diese Weise zerfließt das Ganze in Unklarheit, alles ist irgendwie wahr, und mancher sehnt sich nach der klaren Ordnung vergangener Tage. So kann man wohl die Gegenwart umschreiben. Wenn Religion überhaupt noch eine Rolle spielt, muss sie gänzlich offen, beweglich sein, sich jederzeit an die wechselnden Bedürfnisse der Menschen anpassen, Seelentrösterin sein, ohne den Anspruch, irgendwelche inhaltlichen Vorgaben zu machen. Alles offen, beweglich, veränderlich — aber im Krisenfall muss es dann doch die emotionale Gewissheit geben, dass die Oma im Himmel ist, da darf dann nichts mehr offen bleiben. Alles irgendwie offen, veränderlich, aber im Krisenfall dann doch emotionale Gewissheit — leider passt das nicht wirklich zusammen. Worin liegt der tiefste Grund für solches Verhalten? Fassen wir die Antwort ein bisschen weiter, so dass sie nicht nur für die gilt, für die Religion überhaupt noch eine Rolle spielt. Der Mensch will die Antwort auf die Frage nach dem Sinn seines Lebens selbst geben, so zeigt er seine Unabhängigkeit. Doch zugleich will er diese Antwort entdecken, weil er so das Gefühl hat, Teil von etwas Größerem, Bedeutenden zu sein, das einen die eigene Begrenztheit vergessen lässt. Das ist der Widerspruch, an dem der Mensch leidet und der sein oft seltsames Verhältnis zur Religion begründet. Einerseits will man unabhängig sein, selbst bestimmen, was man als Sinn des eigenen Lebens festsetzt. Anderseits will man Teil von etwas Größerem sein, Sinn finden in dem, was man nicht gemacht hat, beispielsweise, indem man sich für andere, Schwächere engagiert. Gewiss kann ich mich zu so etwas frei entschließen, doch dass solches Engagement erfüllend ist, liegt nicht daran, dass ich das so festgesetzt habe, dass der Einsatz für andere, für Schwächere sinnstiftend ist, gilt — ganz unabhängig von mir. Ich kann das so erfahren, aber nicht bestimmen. Einerseits die Sinnfrage aus eigener Kraft unabhängig beantworten, anderseits eine Antwort finden, die ich nicht gemacht habe, die mich meine Grenzen vergessen lässt — an diesem Widerspruch leidet der Mensch

Doch er ist nicht unauflösbar! Eben das zeigt uns der christliche Glaube. Gewiss, das ist klar, hier geht es darum, dass der Mensch die Antwort auf die Sinnfrage in Gott findet, ja dass dieser letztlich die unaussprechliche Antwort auf diese Frage ist. Und doch befreit mich das nicht davon, dass ich mir diese Antwort in Freiheit selbst sage, das bezeugt gerade das Evangelium dieses Sonntags. Die Jünger des Täufers kommen in seinem Auftrag zu Jesus, um ihn zu fragen, ob er der Kommende ist. Eine ungewöhnliche Szene — wir sind gewohnt, dass der Täufer der ist, der ohne Zweifel und eindeutig auf Jesus hinweist. Offensichtlich beschleichen ihn aber Zweifel, da er nun im Gefängnis sitzt, weil er einen Fürsten, der von Roms Gnaden regiert, kritisiert hat. Und man darf wohl annehmen, dass auch seine Jünger von diesen Zweifeln betroffen waren. Johannes und seine Jünger wählen den direkten Weg. Sie fragen Jesus einfach. Und was antwortet er: Ja, ich bin es? Nein, das tut er nicht. Letztlich sagt er: schaut her, hört her, was passiert — und nun entscheidet selbst, gebt die Antwort selbst. Der christliche Glaube ist nicht einfach eine Gesetzesreligion, die den Menschen überfällt. Es ist eher wie in einer Partnerschaft oder Freundschaft. Ich kann mir den anderen nicht backen, ich kann ihn nur finden, aber dann muss ich selbst entscheiden, ob ich zum anderen „Ja“ sage, ob ich dem anderen vertraue. Diese Antwort muss ich selbst geben. Das Christentum lehrt natürlich, dass Gott Ursprung allen Lebens ist, dass er uns als sein Abbild geschaffen hat mit unseren Talenten und Möglichkeiten und dass er die Vollendung unseres Lebens ist — aber ob wir uns diese Antwort zueigen machen, ob wir uns gewissermaßen diese Antwort nun selbst sagen, das ist unsere Entscheidung, wie es die Entscheidung des Täufers und seiner Jünger war.

Allen recht getan ist eine Kunst, die keiner kann — dieses Sprichwort gilt, gerade in unserer Zeit, in der jeder gewöhnt ist, nach seinem eigenen Geschmack bedient zu werden, aber wir haben dahinter ein tieferes Problem ausgemacht. Einerseits will der Mensch die Antwort auf die Sinnfrage selbst geben, um seine Unabhängigkeit zu beweisen, andrerseits will er diese Antwort in dem finden, was er sich nicht ausgedacht hat, um Teil eines Größeren zu sein und seine Grenzen zu vergessen. Im christlichen Glauben kann dieser Widerspruch aufgelöst werden. In Jesus begegnet uns Gott, der Ursprung, Sinn und Ziel allen Seins ist, aber dass er dies ist, diese Antwort muss jeder sich selbst geben — so wie einst der Täufer und seine Jünger. Jesus sagt: Seht her und hört her!