Gott straft nicht, er richtet

3. Fastensonntag (Lesejahr C; Ex 3,1-8a.13-15; Lk 13,1-9)

Es ist ja offensichtlich, dass die Kirche zurzeit große Probleme hat, ich bin allerdings überzeugt, dass die eigentliche Krise tiefer liegt als die akute Krise, die durch die Missbrauchsfälle ausgelöst wurde. Die eigentliche Krise liegt darin, dass die Frage nach Gott für viele offenbar nicht mehr zu beantworten oder schon gleichgültig geworden ist. Wer ist denn nun dieser Gott, von dem wir hier reden? Der Geduldige, der Liebende? Der Strafende, der Richtende? Wer ist Gott?

In der Lesung aus dem Alten Testament begegnet uns eine der Schlüsselstellen der ganzen Bibel, in der eben diese Frage zu beantworten versucht wird. Schon das besondere Feuer, das den Dornbusch nicht verbrennt, ist eine Antwort. Das Feuer wärmt, aber wer ihm zu nahe kommt, den verbrennt es auch. Vor gut 100 Jahren schrieb der evangelische Theologe Rudolf Otto ein Buch über das Heilige, in dem er Gott als Mysterium tremendum et fascinans beschrieb — also als Geheimnis, das anzieht, aber zugleich zittern macht. Nach einer langen Zeit, in der Glaube oft als Lieferant von moralischen Werten missverstanden wurde, erinnerte er an die überwältigende Erfahrung des Mose am Feuer, Gott ist nicht einfach das oberste Moralgericht, sondern er ist das Geheimnis, das auf geheimnisvolle Weise anzieht, aber zugleich auch erzittern lässt, weil Gott so viel größer, so anders ist, als alles, was wir kennen — wie das Feuer, das wärmt, aber auch verbrennt, wenn man unachtsam ist, unterschätzt, wie mächtig es ist. Ist es nicht heute auch oft so, dass Gott und Kirche halt ein bisschen für die Zusammenhalt der Gesellschaft sorgen sollen? Soziales Engagement, Kindergärten und Sozialstationen gern — aber ansonsten verzichten wir. So stirbt Glaube. Gott ist der Nahe und Ferne zugleich, er begegnet uns und übersteigt doch zugleich, was wir kennen — oder besser: ist jenseits von allem, was wir kennen. Das zeigt sich auch, als Mose seinen Namen erfragt. Uns mag das seltsam vorkommen, aber damals war es klar, dass Götter einen Namen haben, das macht sie zugänglich, Verehrung ist möglich, wenn man sie ansprechen kann. Doch was antwortet er: Sag dem Volk Israel: Ich bin, der ich bin. Aha, sehr hilfreich. Die alte Einheitsübersetzung hatte an dieser Stelle noch übersetzt: Ich bin da. Das hebräische Wort „Sein“ deckt eine große Bandbreite ab, es kann auch um „Dasein“ gehen. Die neue Einheitsübersetzung wählt die grundsätzlichere, auch sperrigere Übersetzung, und das trifft es meines Erachtens: Gott offenbart so einen Namen, der eigentlich keiner ist. So zeigt sich erneut: er ist der Nahe und Ferne zugleich — das enthüllt das Feuer und der Gottesname: ich bin, der ich bin.

Soweit die biblische Botschaft — doch erreicht sie uns noch? Ist das Leben nicht manchmal so, als ob mir einer nahe ist? Nicht einfach im Sinne von Glück, dass mir alles gelingt, dass ich Erfolg habe, sondern dass ich eine Nähe nicht einfach spüre, sondern wahrnehme, als sei das Leben mein Freund. Ich kann Kleinigkeiten wertschätzen, einfacher Ärger berührt mich nicht, ich finde die richtigen Worte und selbst wenn ich allein bin, fühle ich mich nicht einsam. Das Leben ist mein Freund. Doch diese Erfahrung hat eine Kehrseite, sie kann auch kippen, ganz plötzlich, ich fühle mich einsam, finde nicht die richtigen Worte … Das Leben ist wie ein Fremder, den ich nicht durchschauen kann. Diese Erfahrungen sind ein Widerschein jenes brennenden Dornbuschs, sie können uns den Weg zeigen, auf dem uns der findet, der nahe und fern zugleich ist, der gesagt hat: Ich bin, der ich bin. Gott ist nie einfach der Beauftragte für unser Wohlergehen.

Wenn wir mit dieser Erkenntnis auf das Evangelium blicken, erscheint uns Gott vielleicht nur als der Fremde, Ferne. Es geht um Strafe, es geht um Gericht. Wenn er keine Früchte bringt, hau ihn um. Auf den ersten Blick scheint klar: Gott ist der Richter, der noch Geduld hat, aber bald wird er kommen und dann . . . Wer genauer hinsieht, entdeckt jedoch mehr. Es fällt auf, dass Jesus allzu einfache Sichtweisen zurückweist. Wer meint, irgendeine Katastrophe, irgendein Unglück sei einfach eine Strafe Gottes für die Betroffenen, der irrt. Meint ihr, die seien besondere Sünder gewesen, dass Gott sie so straft? Falsch, sagt Jesus — und verweist doch auf das Gericht. Ich deute es so: Gott ist nicht der Strafende, sondern der Richtende. Was ist denn Strafe, warum gibt es sie? Wenn ein Unrecht geschehen ist, gehört es zum normalen Rechtsempfinden des Menschen, dass der Übeltäter bestraft wird. Ein alter Rechtsgrundsatz — nicht nur in der Bibel — lautet: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Was einer dem anderen angetan hat, soll ihm geschehen. Auch wenn heute anders gestraft wird, bleibt irgendwie das Bemühen eines Ausgleichs vorhanden, das ist Gerechtigkeit. Oder nicht? Gleichzeitig soll Strafe auch abschrecken. Wer keine Einsicht hat, soll wenigstens die Strafe fürchten. Strafe ist immer etwas Unvollkommenes, sie kann nicht ungeschehen machen, soll irgendwie ein Gleichgewicht schaffen, abschrecken, wo keine Einsicht ist. Sie ist auch Ausdruck der Hilflosigkeit des Menschen, der das Böse nicht verhindern und nicht ungeschehen machen kann. Unvollkommenheit, Hilflosigkeit — das gibt es in Gott nicht. Gott straft nicht, er richtet. Gott schafft eine uns unbegreifliche Klarheit, die alles sehen lässt. Gott beendet und heilt. Das Umhauen des Baumes macht deutlich, dass das Richten nicht einfach eine harmlose, schmerzfreie Angelegenheit ist, Gott schafft neu, anstatt ein bisschen hilflos am Alten herumzudoktern. Er ist uns nahe, er brennt für uns, darum ist es nicht ein hilfloses Strafen, ein Vernichten, aber er ist auch jenseits unserer Möglichkeiten, darum ist sein Richten eine Klarheit, die uns übersteigt.

Vielleicht vergessen wir in dem Trubel und in den Stürmen unserer Zeit manchmal das Entscheidende: zu bezeugen, dass Gott ist und wer Gott ist. Er ist der Nahe und Ferne zugleich, wie das Feuer, das Leben ermöglicht und wärmt, doch den verbrennt, der seine Macht unterschätzt. Er ist der, der einen Namen hat, der keiner ist: ich bin, der ich bin. Er ist nicht der Strafende, sondern der Richtende, nicht der, der ein bisschen hilflos einen Ausgleich sucht, sondern der letzte Klarheit schafft.