Treue zu Gott und zu mir selbst ist die Voraussetzung, um Veränderung zu gestalten

33. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C; Lk 21, 5–19)

Ist das nicht immer die alte Leier? Die böse Welt versinkt im Chaos, allein der Glaubende bleibt aufrecht. „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“, so die Zusage Jesu. Ein Problem unseres Glaubens scheint mir zu sein, dass die Welt sich auch in der Betrachtung dieser Dinge gewandelt hat. Veränderung wird nicht als Chaos gesehen, dem der aufrechte Mensch standhaft und unveränderlich begegnen muss. Nein, Veränderung wird als etwas Positives betrachtet oder zumindest als Herausforderung, der man nur begegnen kann, indem man selbst zur Veränderung bereit ist. Der christliche Glaube mit seiner Standhaftigkeit wirkt da auf nicht wenige als aus der Zeit gefallen — eine Reaktion derer, die der modernen Welt nicht gewachsen sind. Ist Glauben also nur Starrsinn — oder hat er zur Veränderung, der wir alle ausgesetzt sind, doch etwas beizutragen?

In letzter Zeit taucht in der Berichterstattung ein Wort immer häufiger auf: Nachhaltigkeit. Meist geht es um die Bewahrung unserer Umwelt, um eben nachhaltige Maßnahmen, die eine bleibende Wirkung haben, so dass die Umwelt entlastet wird. Das ist ein Hinweis darauf, dass inmitten der Veränderungen in unserer Welt etwas Bleibendes und Bewahrendes gesucht und wertgeschätzt wird.

Letztlich ist die totale Veränderung eben genauso unmöglich wie der totale Stillstand. Leben ist immer eine Mischung aus Bleiben und Verändern — und oft genug bleibt das, was einen ärgert, und das, was man schätzt, verändert sich. In der großen Wertschätzung von Wandel und Veränderung wird heute — so jedenfalls meine Beobachtung — etwas Wesentliches übersehen. Wandel und Veränderung setzen notwendigerweise voraus, dass etwas bleibt: eben das, an dem sich diese Veränderung vollzieht. Eine Pflanze, die wächst und sich so verändert und wandelt, ist — wenn auch verändert — immer noch diese Pflanze. Wenn ich mein Haus neu streiche, dann ist es verändert, aber es ist eben immer noch dieses Haus. Veränderung und Wandel setzen von ihrem Wesen her etwas Bleibendes voraus: eben das, an dem die Veränderung geschieht. So ist es auch in meinem Leben: ich kann — bildlich gesprochen — das Haus meines Lebens neu streichen und renovieren, aber es bleibt — wenn auch verändert — dieses Haus. Inmitten der Veränderungen bleibe ich — wenn auch verändert. Dies zu wissen und sich selbst die Treue zu halten, ist wichtig und wertvoll. Manchmal versprechen sich Menschen nach einem Streit, dass in Zukunft alles anders wird. Das ist Unsinn, und die Treue zu einem selbst sollte einen das lehren. Es wird nie einfach alles anders werden, denn ich bin dieser Mensch mit diesen Prägungen und Erfahrungen, das kann man nicht einfach über Bord werfen. Es ist sinnvoller zu überlegen, was konkret anders werden kann — und kleine Schritte, die man realistischerweise gehen kann, sind da immer besser als hochfliegende Pläne. In einem anderen Fall ärgert man sich möglicherweise über das, was man einfach nicht zu ändern schafft. Gewiss gibt es Probleme, die man lösen muss, um sich nicht selbst zu zerstören — ggf. auch mit professioneller Hilfe. Doch manchmal muss man sich auch eingestehen, dass manche Schwäche nicht zu ändern ist. Oft genug ist die Kehrseite einer Schwäche auch eine Stärke. Wer andern gelegentlich mit seiner Genauigkeit auf die Nerven geht, ist dann auch der, der einen Ausflug gut planen kann. Diese Beispiele sollen zeigen, dass Veränderung und Wandel sinnvollerweise die Treue zu mir selbst mit einschließen. Die Treue zu mir selbst meint — richtig verstanden — nicht Starrsinn und Angst vor Veränderung, sondern ist letztlich die einzig sinnvolle Weise, Veränderung und Wandel zu gestalten.

Und was hat das mit dem Glauben zu tun? Im Altgriechischen und Lateinischen — den Sprachen, in denen der christliche Glaube sozusagen aufgewachsen ist — ist das Wort für Treue auch das Wort für Glauben. Glauben ist Treue zu Gott, und ich glaube, dass diese Treue zu Gott auch die Treue zu mir selbst stärkt, ja im letzten ermöglicht. Wie schon gesagt: Wandel und Veränderung werden heute eher positiv gesehen — zumindest als Herausforderung, aus der man eine Chance machen muss. In der Wertschätzung des Wandels liegt die Sehnsucht nach Erfüllt-Sein — nennen wir es einmal so — und ihr Scheitern. Wenn sich etwas verändert, bietet sich eine neue Chance, sich zu entfalten, vielleicht sogar glücklich zu sein. Eine Zeitlang klappt das, doch dann werden hochfliegende Erwartungen enttäuscht, und man will die nächste Veränderung, eine neue Chance aufs Glück — und das Spiel beginnt von vorn. Wandel und Veränderung gehören zum Leben, aber sie werden nie die Erfüllung bieten können, die der Mensch ersehnt. Hektik, Untreue und Enttäuschung sind so vorprogrammiert. Die Treue zu Gott ist die Treue zu ihm, der erfüllen kann, was Wandel und Veränderung nicht erfüllen können. Gewiss ist der Glaube kein Zaubertrick, der einfach alles zum Guten wendet, aber das hat Jesus auch nicht versprochen, da sind wir wieder beim Evangelium mit seinen Katastrophenbildern. Da heißt es nicht, der Glaubende wird auf rosaroten Wölkchen einher schreiten — im Gegenteil. Die Treue zu Gott lehrt mich die Treue zu mir selbst, weil sie mich lehrt, dass Veränderung zum Leben gehört, aber nie letzte Erfüllung bieten kann. Und sie lehrt mich, was Jesus im heutigen Evangelium sagt: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“. Letztlich ist jede echte Treue immer schon ein Fingerzeig auf Gott hin, denn sie ist immer auch ein Widerstand gegen die Vergänglichkeit. Die Kraft zu diesem Widerstand kann der vergängliche Mensch nicht aus sich selbst haben, sondern nur aus dem Ewigen, aus Gott.

Auf den ersten Blick wirkt das Evangelium dieses Sonntags ein bisschen aus der Zeit gefallen, doch es enthält einen wertvollen Impuls. Wandel und Veränderung werden heute wertgeschätzt, doch sie setzen immer etwas voraus, das bleibt: eben das, an dem sich die Veränderung vollzieht. So ist es auch in meinem Leben: ich bleibe — wenn auch verändert. Die Treue zu mir selbst ist letztlich die einzig sinnvolle Weise, Veränderung und Wandel zu gestalten. Die Treue zu Gott lehrt mich diese Treue zu mir selbst, die ich brauche, um Veränderungen sinnvoll zu gestalten. Und sie lehrt mich, was Jesus im heutigen Evangelium sagt: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen“.