Es ist ein Wunder, dass kein Wunder geschehen ist!

4. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C; Lk 4,21-30)

Wenn es Gott gibt, dann soll er doch . . . dies oder jenes tun — diese Forderung kann man gelegentlich hören. Gott soll sich gefälligst ausweisen, wenn er in unserer Zeit noch eine Rolle spielen will. So sehr ein solches Denken sicher auch Ausdruck unserer Zeit ist, so klar ist doch auch, dass es Ähnliches schon früher gab — beispielsweise in Nazareth, als Jesus nach Hause kommt. Es scheint, als wolle Jesus seine Zuhörer regelrecht provozieren. Ich weiß schon, ihr wartet alle auf ein Wunder, das ist der göttliche Ausweis, den ich vorzeigen muss, aber ich enttäusche euch, es gibt kein Wunder. Die Begeisterung der Leute hält sich — vorsichtig gesagt — in Grenzen. Wie gehen wir heute damit um, dass Gott eben kein Wunder wirkt, dass er keinen göttlichen Ausweis vorzeigt?

Es gehört ja zu den seltsamen Spannungen unserer Zeit, dass man einerseits meint, Gott müsse sich durch ein Wunder, durch irgendein Eingreifen ausweisen und in schlechten Zeiten so etwas vielleicht sogar erhofft, anderseits ist man von der modernen Naturwissenschaft geprägt, ein Wunder kann es im Wissen um die Naturgesetze gar nicht geben. Nun muss inzwischen auch die Naturwissenschaft einräumen, dass sie gar nicht so genau weiß, wie die Natur funktioniert, unumstößliche Naturgesetze im eigentlichen Sinne des Wortes gibt es gar nicht. Letztlich ist das für unseren Zusammenhang auch gleichgültig, die Bibel weiß nichts von solchen Gesetzen, ein Wunder ist für sie ein Schlüsselerlebnis, das mir Gott näherbingt, das kann äußerlich etwas ganz Unspektakuläres sein — aber für mich ist es ein Wunder: ein Licht, das mir plötzlich aufgeht, ein Zusammenhang, der einsichtig wird, oder ein gutes Wort, das ich nicht erwartet habe. Doch auch wenn ich Wunder so verstehe, bleibt doch die Frage, wie ich damit umgehe, dass manches erhoffte Wunder ausbleibt. Jesus zelebriert dieses Ausbleiben des Wunders in Nazareth regelrecht. Vielleicht kann man es so sagen: Jesus wirkt ein Wunder, das Wunder, dass kein Wunder passiert. Möglicherweise ist dem einen oder anderen dieses Nicht-Wunder zum Wunder geworden, weil er einsieht, dass Gott kein übergroßer Kaufmann ist, bei dem ich durch Wohlverhalten eine Gegenleistung bekommen kann. Gott ist wirklich souverän, völlig unabhängig, immer größer als all unser Begreifen. Das ist das wahre Wunder von Nazareth.

Geht es aber in unserem Glauben nicht darum, dass Gott nicht einfach der Jenseitige, Unerreichbare ist? Geht es nicht darum, dass Gott sich uns zuwendet — Stichwort Menschwerdung? Vergleichen wir das Ganze einmal mit einer menschlichen Beziehung, das könnte manches deutlicher machen. Auch in menschlichen Beziehungen haben wir eine — auf den ersten Blick — seltsame Verbindung von Freiheit und Bindung. In einer Freundschaft oder Partnerschaft gibt es Bindung, ich erwarte also, dass der andere verlässlich ist, mich im entscheidenden Moment nicht allein lässt. Doch zugleich soll er dies in Freiheit tun, denn wahre Liebe, auch wahre Freundschaft gibt es nur in Freiheit. Wenn der andere denkt, na gut, ich fühle mich verpflichtet, helfe ich halt ein bisschen, mag das vielleicht effektive Hilfe sein — wahre Freundschaft ist es nicht. Irgendwie soll also Bindung und Verlässlichkeit da sein, aber das Ganze soll schon in Freiheit geschehen. So ähnlich ist es auch im Glauben. Einerseits glauben und erwarten wir, dass Gott sich an uns gebunden hat — Stichwort Menschwerdung —, anderseits ist klar, dass er in Freiheit handeln muss — siehe Jesus in seiner Heimatstadt, Gott lässt sich nicht vereinnahmen. Schauen wir nochmal auf den Vergleich mit einer menschlichen Beziehung. Ich kann als Mensch in einer Freundschaft oder Partnerschaft Zuwendung versprechen, Sorge um den anderen. Das ist sogar Ausdruck meiner Freiheit, ich lasse mich nicht zum Spielball der Umstände, auch nicht meiner Launen machen, sondern verspreche, mich dem anderen auch in Zukunft zuzuwenden. Was ich — jedenfalls im letztverbindlichen Sinne — nicht versprechen kann, ist eine ganz bestimmte Handlung, darin bin ich wirklich von den Umständen abhängig, vielleicht bin ich bis dahin krank und gar nicht in der Lage, dies oder jenes zu tun. Doch es geht um Tieferes. Wenn der andere mich ständig nötigt, genau dies oder jenes zu versprechen, was er erwartet, werde ich zur Marionette des anderen und zerstöre meine Freiheit — und auch die Freundschaft überlebt das nicht. Freiheit und Bindung gehen also zusammen, wenn ich verspreche für einen anderen da zu sein, mich ihm zuzuwenden. Wenn ich aber ständig versprechen soll, dass ich genau dies oder jenes tue, was der andere erwartet, zerstöre ich meine Freiheit. Ganz ähnlich ist es in der Beziehung zu Gott. Er hat uns in Freiheit versprochen, für uns da zu sein, hat sich an uns gebunden, d.h aber nicht, dass er versprochen hat, genau dies oder jenes zu tun, genau diese Handlung auszuführen, die ich erwarte.

Ich gebe zu, dass so vielleicht einsichtig wird, dass manches Wunder, das ich erhoffe, ausbleibt, aber eine solche Erfahrung bleibt — gerade wo es um Schmerzliches geht — dennoch eine Last. Deshalb kennt die Bibel das Klagegebet, z.B. in den Klagepsalmen oder auch im Buch Hiob. Ich darf meine Last, meine Trauer, mein Nicht-Verstehen und auch meine Wut vor Gott bringen — auch das ist Gebet. Auch Jesus betet am Kreuz aus Ps 22: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und manchmal mag es auch helfen, dass ich so meine eigene Freiheit entdecke. Wenn ich immer nur auf meine Erwartungen an einen anderen festgelegt bin, verliere ich meine eigene Freiheit auch. Manche Erfahrung ist bitter, aber sie befreit.

Gott ist größer als unser Begreifen, er bleibt souverän, unabhängig. So kann das Ausbleiben des Wunders auch ein Wunder sein: weil wir die Unbegreiflichkeit Gottes erkennen. In einer Freundschaft gehen Freiheit und Bindung zusammen, wenn ich verspreche für einen anderen da zu sein, mich ihm zuzuwenden. Wenn ich aber ständig versprechen soll, dass ich genau dies oder jenes tue, was der andere erwartet, zerstöre ich meine Freiheit. Ganz ähnlich ist es in der Beziehung zu Gott. Er hat uns in Freiheit versprochen, für uns da zu sein, hat sich an uns gebunden, d.h aber nicht, dass er versprochen hat, genau diese Handlung auszuführen, die ich erwarte. Er bleibt der Freie, der Größere.