Selig, wer vor Gott seine Unsicherheit nicht verbergen muss

Allerheiligen 2019 (Mt 5,1-12a)

Ein Zweifler kam einmal zu einem Rabbi, um ihm zu zeigen, dass sich die Wahrheit seines Glaubens nicht beweisen lässt. Als er eintrat, schien der Rabbi ihn gar nicht wahrzunehmen, sondern ging auf und ab. Als er stehen blieb, blickte er den Zweifler an und sagte: „Vielleicht ist es aber wahr.“ Der Zweifler war erschüttert, mit Argumenten hatte gerechnet, aber nicht damit. „Auch ich kann Dir Gott und sein Reich nicht einfach auf den Tisch legen. Aber bedenke: Vielleicht ist es wahr“, ergänzte der Rabbi. Vielleicht — solange es den Glauben gibt, wird er von Zweifeln begleitet. Doch gerade heute scheint manchem diese Einsicht vielleicht unpassend zu sein. Feiern wir nicht die Heiligen, deren Glauben über jeden Zweifel erhaben ist? Denken wir nicht heute auch an unsere Verstorbenen in der Hoffnung, dass mit dem Tod nicht alles aus ist — möglichst ohne zu zweifeln, aber vielleicht, wer weiß, vielleicht ist es wahr oder auch nicht. Gerade heute, wo wir die Heiligen feiern, wo wir anschließend auf den Friedhof gehen, um unserer Verstorbenen zu gedenken, gerade heute wo Glauben in den Vordergrund tritt, liegt die Frage nahe: Darf man auch zweifeln, oder macht das Glauben irgendwie unmöglich? Oder anders gefragt: gehen Glauben und Zweifel irgendwie zusammen?

Zunächst erscheint es mir sinnvoll, eine Unterscheidung zu machen, auf die John Henry Newman, ein bedeutender Theologe des 19. Jahrhunderts, aufmerksam gemacht hat. Newman sagt — ein bisschen vereinfacht —, dass es zwei Arten von Zweifel gibt: einmal die grundsätzliche Haltung, die sich alles offen hält, die meint, sich nicht entscheiden zu müssen — obwohl das Leben uns dann doch dazu nötigt, ergänze ich —, dann die Unsicherheit des Menschen, die letztlich in unserer Unvollkommenheit begründet liegt. Erstere Haltung ist letztlich mit dem Glauben nicht vereinbar, das liegt in der Natur der Sache, denn man will ja auf Abstand bleiben, letztere, jene zutiefst menschliche Unsicherheit, gehört zu uns Menschen und damit auch zu unserem Glauben, daran kann niemand etwas ändern. Newman, der übrigens erst vor wenigen Wochen vom Papst heiliggesprochen wurde, wusste das aus eigener Erfahrung. Die Heiligen sind keine perfekten Menschen, sondern unvollkommene Menschen mit ihren Unsicherheiten, die auch sie plagten. Was sie kennzeichnet, ist, dass sie dies nicht überspielen wollten, sondern sich so, wie sie in ihrer Schwachheit waren, Gott anvertraut haben — gemäß dem Wort des Herrn: „Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich.“

Und so bin ich überzeugt, dass Glaube und Zweifel — im Sinne der genannten Unsicherheiten, darum geht es mir im Folgenden — in einer fruchtbaren Spannung zueinander stehen. Schauen wir diese Unsicherheiten ein wenig genauer an. Sie zeigen ja nicht nur, dass etwas sein kann oder auch nicht, sondern sie zeigen an, dass es um etwas geht, das größer ist als wir, das wir niemals einfach so fassen können. Unsicherheiten im Glauben sind also ein wichtiger Hinweis, dass Gott nie einfach fassbar ist. Unsicherheiten lehren uns, dass Glaube nie einfach bedeutet, dass wir Gott in irgendeiner Weise besitzen. Unsicherheiten sind ein Gegenmittel gegen jede Art von Fundamentalismus. Sie erinnern den Glaubenden daran, dass Gott immer der Größere ist, den wir nie fassen können. Er ist und bleibt Geheimnis. Romano Guardini hat Geheimnis in diesem Zusammenhang so erklärt: Es ist ein Übermaß an Wahrheit, mehr als wir tragen können. Daran erinnern uns unsere Unsicherheiten. Der Glaube bleibt immer ein Wagnis — wie eine Freundschaft.

Wir glauben an einen Gott, der Mensch geworden ist, in ein paar Wochen feiern wir an Weihnachten aufs Neue diese Menschwerdung. Dieses Mensch-Sein Gottes ist nicht nur etwas Äußeres, sondern prägt auch unseren Glauben, die Beziehung zu ihm. Gott lässt sich wirklich auf den Menschen ein — und damit auch auf seine Unsicherheiten, sein Ringen um den Glauben, um den richtigen Weg. Ein Glaube ohne Unsicherheiten wäre eben kein menschlicher bzw. menschengemäßer Glaube.

Was mir gelegentlich auffällt, ist, dass in Bezug auf die Existenz Gottes häufig von Zweifeln gesprochen wird — aber kaum je in Bezug darauf, dass der Nicht-Glaubende ebenfalls zweifelt, weil es Gott vielleicht doch gibt. Man denke an den Rabbi der kleinen Geschichte, die ich anfangs zitiert habe, der dem Zweifler sagt: „Vielleicht ist es aber wahr.“ Eine Gesellschaft, die in Bezug auf Gott ihren Zweifel regelrecht vor sich herträgt und stolz auf ihren Skeptizismus ist, sollte diesen Zweifel auch einmal auf den eigenen Lebensstil anwenden. Vielleicht sind Konsum und Freizeit doch nicht der letzte Lebenssinn des Menschen.

Unsicherheiten gehören zum Menschen, sie begleiten uns mehr oder weniger in allen Lebensbereichen. Ich glaube, sie zeigen nicht nur an, dass etwas im Dunkeln liegt, das wir nicht erkennen können, sondern sie zeigen grundsätzlich an, dass Leben Begegnung mit einem Gegenüber ist, das wir nicht fassen können, einem Gegenüber, in dem wir als Glaubende Gott erkennen. Ist es nicht so, dass Unsicherheiten uns nicht nur in einer ganz vernünftigen und zu erwartenden Weise überfallen? Eben weil man auf eine Prüfung nicht genug gelernt hat und sich nun fragt, ob man durchfällt? Ist es nicht oft auch so, dass uns Zweifel in einer ganz grundsätzlichen Weise überfallen, ob überhaupt alles irgendwie passt? Diese Zweifel zeigen an, dass Leben Begegnung mit dem ist, den wir niemals fassen können: Gott. So sind die Unsicherheiten selbst ein Hinweis auf Gott. „Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich“ — selig, wer vor Gott seine Unsicherheit nicht verbergen muss.

Deshalb stehen Glaube und Unsicherheiten in einer letztlich fruchtbaren Spannung zueinander. Unsicherheiten lehren uns, dass Glaube nie einfach bedeutet, dass wir Gott in irgendeiner Weise besitzen. Unsicherheiten sind also ein Gegenmittel gegen jede Art von Fundamentalismus. Ein Glaube ohne Unsicherheiten wäre kein menschengemäßer Glaube. Was die Heiligen kennzeichnet ist, dass sie dies nicht überspielen wollten, sondern sich so, wie sie in ihrer Schwachheit waren, Gott anvertraut haben. Dass Zweifel uns manchmal nicht nur in vernünftiger Weise überfallen — weil wir uns vielleicht auf eine Prüfung nicht ausreichend vorbereitet haben —, zeigt an, dass Leben Begegnung mit dem Nicht Fassbaren ist: mit Gott. Selig, wer vor Gott seine Unsicherheit nicht verbergen muss.