Suchen und finden — von Dreien, die auszogen, Gott zu suchen

Erscheinung des Herrn (Dreikönig) 2019 (Mt 2,1-12)

Die Sterndeuter haben über Jahrhunderte hinweg die Phantasie der Menschen beschäftigt. Wer waren diese Leute? Persische Priester, Theologen oder Magier? Drei heilige Könige, wie es die Legenden sagen? Wer sie genau waren, muss letztlich offen bleiben, das hat Matthäus nicht interessiert. Ihm war wichtig, dass Menschen von weit her und damit aus aller Welt den menschgewordenen Gott suchen. Die Frage nach Gott, die die Sterndeuter im wahrsten Sinne des Wortes umgetrieben, in Bewegung gesetzt hat, scheint für die meisten Menschen kein Thema mehr zu sein. Warum ist das so, und wie lässt sich die Frage nach Gott auch heute noch sinnvoll stellen?

Als Prediger ist man immer wieder in Gefahr, sozusagen zu den falschen Leuten zu sprechen. Wir sind ja heute hier, offenbar ist uns der Glaube an Gott wichtig, hat uns heute Morgen in Bewegung gesetzt. Das stimmt wohl, und doch leben wir in einer Gesellschaft, die uns ständig — ausdrücklich oder zwischen den Zeilen — hinterfragt. Sich da taub zu stellen bringt nichts, sondern verhärtet den Glauben nur. Letztlich sind wir alle wie die Sterndeuter unterwegs zum menschgewordenen Gott, keiner ist einfach fertig, und so tut es auch uns gut, uns Rechenschaft abzulegen über unseren Glauben — mitten in einer Gesellschaft, die uns hinterfragt. Ich will auch keine allgemeine Schelte betreiben und behaupten, die Menschen sind heute alle so schlecht. Menschen sind von vielerlei Fragen umgetrieben, sie versuchen ihr Leben gut zu leben, das Richtige zu tun —- aber eben die eine Frage, die Frage nach Gott, ob es ihn gibt und er vielleicht etwas von mir will, scheint den meisten eher fremd zu sein.

Ein Grund dafür ist sicher eine bestimmte Deutung der Naturwissenschaften. Das Beobachten eines Sterns, seine Deutung als Zeichen für die Geburt eines Gott-Königs mag den Sterndeutern als große Wissenschaft erschienen sein, heute wirkt das eher lächerlich. Die Naturwissenschaft kann alles erklären — glaubt mancher. Dabei untersucht sie nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit, sie fragt, wie etwas abläuft, nicht warum oder wozu. Mein Blutdruck oder mein Gewicht geben mir aber keine Antwort auf die Frage, warum und wozu es mich gibt. Diesen Fragen geht der Glaube nach. Gleichzeitig ist unsere Gesellschaft so vielfältig, so unterschiedlich, die Möglichkeiten werden immer mehr, dass — so jedenfalls mein Eindruck — es für viele einfach nicht mehr vorstellbar ist, dass es einen Gott gibt, einen Grund und Anfang für unser Dasein. Alles ist heute verschwommen, diffus, mehrdeutig, jeder sieht es anders, so dass offenbar die Frage nach dem einen Gott als dem klaren Grund schlechthin für viele keinen Sinn mehr ergibt.

Geht die Frage nach Gott, geht der Glaube an einen Gott zusammen mit einer so vielfältigen Gesellschaft, wie sie heutzutage besteht? Interessanterweise deutet ja das Wort Vielfalt selbst schon einen solchen gemeinsamen Grund an. Vielfalt bedeutet ja, dass etwas auseinander gefaltet wird, eine ursprüngliche Einheit sich also entfaltet. Vielfalt wird ja heute als etwas Wünschenswertes angestrebt, man bereichert sich gegenseitig und ergänzt sich. Ohne behaupten zu wollen, dass alles, was Menschen machen, gut ist — Vielfalt ist grundsätzlich etwas Bereicherndes, aber bedeutet dies nicht auch, dass man etwas gemeinsam hat? Sonst könnte man sich nicht ergänzen. Und ist es nicht auch so, dass die Vielfalt der Menschen und ihrer Lebensweisen nicht doch aus sehr verwandten, ja gemeinsamen Sehnsüchten und Bedürfnissen entspringt: der Sehnsucht nach Liebe und Angenommen-Sein, nach Erfolg und Anerkannt-Sein, der Sehnsucht, sich zu entfalten und etwas zu bewirken? All diese Verbindungen, die auch in der Vielfalt unserer Gesellschaft existieren, ja die vielleicht in einer solchen Vielfalt manchmal erst sichtbar werden, deuten auf eine tiefe, ursprüngliche Verbindung, auf einen gemeinsamen Grund hin. Diese Verbindung verweist auf einen solchen Ursprung, weil wir sie auch nicht einfach löschen können, sie bindet uns auch gegen unseren Willen, ich kann sie bekämpfen, aber nicht löschen, sie ist unsere gemeinsame Herkunft. Je mehr ein Mensch anders, besonders sein will, sich krampfhaft unterscheiden will, desto mehr wird doch ein Mensch sichtbar, der auch nur einer von vielen ist, der die Sehnsucht in sich trägt, geliebt und anerkannt zu werden. Die Vielfalt, die so viel Verbindendes in sich trägt, so viele gemeinsame Sehnsüchte und Hoffnungen, ohne sich löschen zu lassen: all das verweist doch auf einen gemeinsamen Ursprung, einen gemeinsamen Grund, der uns ins Leben entlässt — und den wir als Glaubende Gott nennen.

Die Sterndeuter suchen einen neugeborenen Gott-König, den sie anbeten können. „Huldigen“ sagt unsere Übersetzung, aber das altgriechische Original sagt deutlich, dass es um ein Niederfallen und Anbeten geht. Für die Menschen damals war ein König, der Göttlichkeit beansprucht, etwas Normales. Hier begegnen sie gewissermaßen dem Gegenteil: nicht einem Menschen, der Göttlichkeit beansprucht, sondern Gott, der beansprucht, ein Mensch zu sein. Ist das nicht die beste und sinnvollste Antwort auf die Frage nach unserem letzten Grund? Wir glauben an einen Gott, der in sich schon Vielfalt ist, nämlich dreifaltig, der einer als Grund von allem, aber doch schon in sich vielfältig ist. Wir glauben an einen Gott, der Mensch wird, der sich selbst in die Vielfalt menschlichen Daseins stellt. Er ist die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung.

Die Sterndeuter eilen, um den neugeborenen Gott-König zu finden, während die Frage nach Gott heute die wenigsten Menschen umzutreiben scheint. Angesichts der Vielfältigkeit der Gesellschaft ist es offenbar kaum vorstellbar, dass es Gott geben kann als den gemeinsamen Grund, der alles begründet. Und doch: genau betrachtet verbindet uns so vieles, wie könnten wir uns sonst ergänzen oder bereichern? Wir haben gemeinsame Sehnsüchte und Hoffnungen — Verbindungen, die wir auch nicht löschen können, selbst wenn wir es wollen. Dies deutet doch auf einen gemeinsamen Grund, der uns ins Leben entlässt und trägt. Wir glauben an einen Gott, der in sich schon Vielfalt ist, nämlich dreifaltig, der einer als Grund von allem, aber doch schon in sich vielfältig ist. Wir glauben an einen Gott, der Mensch wird, der sich selbst in die Vielfalt menschlichen Daseins stellt. Er ist die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung.