Glaubwürdigkeit gibt es nur durch Scheitern und Zerbrechen hindurch

Ostern 2019 (Lk 24,1-12)

Als vor einigen Tagen die Kathedrale Notre Dame im Herzen von Paris brannte, löste dies international Betroffenheit aus. Erste Spenden- und Hilfszusagen trafen sogleich ein, weil ein Symbol europäischer Geschichte in Flammen stand. Offensichtlich ist es das, was Menschen mit Kirche noch verbinden — im Großen wie im Kleinen: Gebäude mit Symbolcharakter, die eine Stadt oder eine Landschaft prägen, Denkmal- und Brauchtumspflege. An Ostern geht es aber nicht darum, dass wir Museumswärter der Vergangenheit sind, sondern um das lebendige Herzstück unseres Glaubens: dass Jesus Christus von den Toten auferstanden ist. Da hört dann bei den meisten die Sympathie auf, wer soll das denn noch glauben — ausgerechnet einer Kirche, die sich durch die eigenen Sünden jeder Glaubwürdigkeit beraubt hat? Als Museumswärter der Vergangenheit, als Gespenst der eigenen Geschichte hat Kirche allerdings keine Zukunft, die haben wir nur, wenn jene Mitte unseres Glaubens lebendig bleibt: dass Jesus auferstanden ist. Können wir als Kirche noch glaubwürdig die Botschaft von der Auferstehung verkünden?

„Die Apostel hielten diese Reden für Geschwätz und glaubten ihnen nicht.“ Offensichtlich haben die ersten Zeuginnen der Auferstehung ganz ähnliche Erfahrungen gemacht, auch sie wurden als nicht glaubwürdig angesehen — wenn auch gewiss aus anderen Gründen, nicht wegen ihrer eigenen Fehler. Und doch: Ich würde das Ganze ein wenig drehen: Ist nicht mangelnde Glaubwürdigkeit ein erstes Zeichen für die Wahrheit? Gerade heute, wo alles glatt und schön inszeniert daherkommt, smart präsentiert wird — ohne Ecken und Kanten? Wo es um Wahrheit im tiefsten Sinne geht, sieht das Leben doch anders aus, da ist man herausgefordert, spürt Ecken und Kanten, verschiedene Schichten, die es uns nicht einfach machen, an denen wir uns reiben usw. Etwas, das allzu glatt, zu eingängig daherkommt, ist höchstwahrscheinlich keine Wahrheit, die uns tief berühren kann.

Ich weiß schon, die aktuelle Glaubwürdigkeitskrise der Kirche hat einen anderen Grund als die Vielschichtigkeit und Sperrigkeit der Botschaft von der Auferstehung. Es geht darum, dass die Gemeinschaft der Kirche sich immer wieder als Gemeinschaft von Menschen zeigt, die Fehler machen, vertuschen und manche auch Verbrechen begehen. Kann es da Glaubwürdigkeit geben? Wer eine reine, unerschütterliche Glaubwürdigkeit fordert, der hat schon längst sein Urteil gesprochen, denn eine solche gibt es in dieser Welt nicht. Auch zur Jünger-Gemeinschaft gehörten der Verräter Judas und auch Petrus, der — als es ernst wurde — jeden Kontakt zu Jesus leugnete. Eine reine Glaubwürdigkeit können wir Menschen nirgends bieten — nicht im Christentum und auch sonst nicht. Es gibt — jedenfalls auf lange Sicht — nur eine Glaubwürdigkeit durch Scheitern und Zerbrechen hindurch. Ist nicht ein Freund oder Partner glaubwürdiger, der auch einmal um Verzeihung bitten kann, weil er der Freundschaft oder Partnerschaft nicht gerecht geworden ist? Es muss ja nicht immer der große Vertrauensbruch sein, es kann auch ein kleineres Vergessen, ein hartes, in der Wut gesprochenes Wort sein. Ist nicht einer, der um Vergebung bitten kann, glaubwürdiger als der, der immer schlicht sagt: nein, nein, es passt schon, der immer eine Ausrede oder fadenscheinige Erklärung hat? Glaubwürdigkeit gibt es nur durch Scheitern und Zerbrechen hindurch, eine andere haben wir Menschen nicht.

Mancher mag nun einwenden, dass Christus selbst derjenige ist, dessen Glaubwürdigkeit nicht durch sein Versagen getrübt ist. Das stimmt — und doch ist seine Glaubwürdigkeit ebenfalls durch Scheitern und Zerbrechen hindurch gegangen. Nach seinem Tod hatte er in den Augen seiner Jünger seine Glaubwürdigkeit mehr oder weniger eingebüßt. Am Kreuz gestorben war er offenbar doch nicht der ersehnte Heilsbringer. Vielleicht kann man es auch so sagen: Christi Glaubwürdigkeit ist am Kreuz zerbrochen — sie ist jedoch glorreich auferstanden. Ja, glorreich, denn Glaubwürdigkeit verändert sich, wenn sie durch Scheitern und Zerbrechen hindurch gegangen ist. Sie wird in gewissem Sinne tiefer. Einem Freund, dem ich vergeben habe, der mich enttäuscht hatte, mit dem ich aber die Freundschaft erneuert habe, dem vertraue ich nun anders, vielleicht kann man eben auch sagen: tiefer. Die Freundschaft ist stärker als zuvor. Was ist geschehen?

In einer Freundschaft, die mich trägt, in einem Engagement, das meinem Leben Sinn gibt, leuchtet etwas auf, das größer ist als wir Menschen, etwas, das auch durch unsere Fehler und Schwächen nicht einfach zerstört werden kann. Und gerade wenn unsere Schwächen und Fehler offensichtlich werden, leuchtet dieses Größere heller, weil dann eben auch offensichtlich wird, dass es nicht nur um uns geht, um unsere Meinungen, um unsere Kräfte und Talente — sondern um etwas Größeres. Wenn die Beteiligten dieses Licht erkennen, können sie um Vergebung bitten und Vergebung gewähren. Die Glaubwürdigkeit ist nun anders, stärker, weil alle erlebt haben, dass es nicht nur um sie geht, sondern dass letztlich etwas Größeres in dem, was uns trägt und verbindet, leuchtet. Sie ahnen es, wer sollte das sein außer dem lebendigen Gott, der Jesus von den Toten erweckt hat? Es geht nicht um eine göttliche Kraft oder Energie, die wir uns dienstbar machen, anzapfen können, sondern um ihn, den Lebendigen, der größer ist als wir, deshalb geht es nicht um etwas, sondern um jemand: um Gott. Ob wir es bestreiten oder nicht, wir Menschen leben doch immer von dem Sinn, der größer ist als wir, der auch im Tod nicht zerbricht. Wir leben von Gott. Wenn wir auf unser Leben schauen, zeigt sich doch: es gibt Glaubwürdigkeit letztlich nur durch Scheitern und Zerbrechen hindurch, so wird Glaubwürdigkeit verändert, tiefer, weil ein größeres Licht in ihr aufleuchtet, etwas nicht von Menschen Gemachtes. Wo zeigt sich dies besser als in der Botschaft von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi? Ist sie somit nicht Hoffnung schlechthin?

Wir sind heute als Kirche in einer Glaubwürdigkeitskrise, die auch durch unsere eigenen Sünden verursacht ist. Es gibt in dieser Welt aber nur Glaubwürdigkeit durch Zerbrechen und Scheitern hindurch. Schon ein erster Blick zeigt ja, dass die tiefen Wahrheiten unseres Lebens uns nicht glatt und einfach begegnen. Ein Freund, der um Vergebung bittet, ist doch glaubwürdiger als einer, der immer Ausreden parat hat. Wenn Glaubwürdigkeit durch Scheitern hindurch gegangen ist, ist sie anders, tiefer, weil alle erlebt haben, dass es nicht nur um sie geht, sondern dass letztlich etwas Größeres darin leuchtet. Es ist der lebendige Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat. Möge der auferstandene Herr aufs Neue in unseren Worten und Taten leuchten.