Kirche soll sich verändern — aber wie?

Pfingsten 2019 (Lesejahr C; Apg 2,1-11; 1 Kor 12,3b–7.12–13; Joh 14,15–16.23b–26)

Manchmal nennt man Pfingsten auch das Geburtsfest der Kirche, aus der kleinen Jüngergemeinschaft wird — bestärkt durch die Ausgießung des Heiligen Geistes — eine wachsende Gemeinschaft von Glaubenden. In diesem Jahr wird bei vielen keine allzu große Geburtstagsstimmung aufkommen, zu offensichtlich sind die Probleme. Kirche soll sich verändern, darüber sind sich viele einig, aber wie? „Der Beistand aber, der Heilige Geist . . . der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“, sagt Jesus in den Abschiedsreden des Johannes-Evangeliums. Dort betont er mehrfach, dass der Geist die Jünger noch tiefer in die Wahrheit einführen, sie noch weiter lehren werde. Die Kirche hat das als Zusage verstanden, dass sie unter dem Beistand des Heiligen Geistes die Botschaft Jesu bewahren und tiefer verstehen — und sich so auch verändern werde. Wie also soll sich, wie also muss sich die Kirche verändern?

Wenn man die Medien verfolgt, kirchlichen Stellungnahmen seine Aufmerksamkeit schenkt, gibt es zahllose Vorschläge, was Kirche alles anders machen soll, manchmal genügt auch ein Blick in die entsprechende Abteilung einer Buchhandlung. Der Fehler dabei scheint mir zu sein, dass alle genaue Einzelmaßnahmen im Blick haben, die die Kirche aus ihrer Sicht dringend umsetzen müsse. Mir scheint eher das Problem zu sein, dass wir die Grundlagen unseres Glaubens immer weniger kennen, diese sollten doch ausschlaggebend sein, warum etwas so oder so ist — oder eben anders sein sollte. Der Heilige Geist wird euch erinnern, sagt Jesus. Wem das zu theoretisch ist, während doch längst praktisches Handeln gefragt ist, der gleicht einem, der in seinem Haus elektrische Leitungen verlegen will — ohne die theoretischen Kenntnisse eines Elektrikers. Das wird dann eine wahrhaft elektrisierende Erfahrung — allerdings nicht im guten Sinne. Mir geht es an dieser Stelle darum, aus den biblischen Texten dieses Sonntags ein paar Anstöße zu entwickeln, Anstöße, uns näher mit dem christlichen Glauben und seinen Grundlagen zu beschäftigen, vielleicht sogar einmal im Neuen Testament zu lesen und manches, was so gefordert wird, näher zu betrachten — nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Die zweite Lesung aus dem ersten Korintherbrief könnte man vielleicht mit dem Schlagwort „Einheit in der Vielfalt“ zusammenfassen. In kluger Weise legt Paulus dar, dass der Heilige Geist der Geber der durchaus sehr verschiedenen Begabungen der Menschen ist, dass er aber zugleich der Geist der Einheit ist, die Begabungen, die er schenkt, sind Auftrag, der Gemeinschaft zu dienen. In unserem Zusammenhang ist das für mich der Anstoß, dass Veränderungen der Kirche sich aus dem Ganzen des Glaubens entwickeln müssen, es geht nicht darum, dass ich etwas aus dem Glauben auswähle, das mir sympathisch ist und meinen Neigungen und Begabungen entgegenkommt, und dann sage: so muss Kirche sein. Heutzutage scheint mit gelegentlich die Wahrnehmung vorzuherrschen: Christentum ist Nächstenliebe, also heißt Kirche Dienst an den Schwachen. Paulus würde vielleicht sagen: das ist eine — gewiss unverzichtbare — Seite von Kirche, aber es ist nicht alles. Christentum heißt beispielsweise auch, dass Gott unser Schöpfer ist, dass wir lehren, dass wir nur in ihm bestehen können, dass wir eine unverlierbare Würde haben — und dass er Mensch wird und uns so unfassbar nahe kommt. Es geht nicht darum „Christentum ist …“-Schlagwörter zu entwickeln, sondern in das Ganze des Glaubens hineinzuwachsen. Das ist sicher der mühsamere Weg, aber genauso unverzichtbar wie die theoretischen Kenntnisse eines Elektrikers für den sind, der elektrische Leitungen verlegen möchte.

In der ersten Lesung aus der Apostelgeschichte werden durch das Pfingstwunder aus dem verschreckten Häuflein der Jünger mutige Verkünder des christlichen Glaubens. Wenn man dem weiteren Verlauf der Apostelgeschichte — aber auch den Paulus-Briefen — folgt, zeigt sich, dass dieses Wunder keine Verwandlung im schlichten Sinne des Wortes war. Die Apostel waren und blieben fehlerhafte Menschen, die sich auch einmal stritten, und doch war etwas geschehen, sie waren getragen von etwas Größerem, sie waren — vielleicht kann man es so sagen — groß gemacht im Heiligen Geist.  Kirche sind wir da, wo der Mensch — in gewissem Sinne — klein und groß zugleich ist. Da, wo nichts von dem, was uns klein macht, verschwiegen oder zugedeckt wird: unsere Trägheit, unsere Gleichgültigkeit, unser Machtstreben auf Kosten anderer usw., und wo wir gleichzeitig groß erscheinen — nicht aus eigener Kraft, sondern weil Gott uns erwählt hat, wo unsere Freiheit und unsere Würde aufstrahlen — da sind wir Kirche. Mir scheint — auch in unserer Kirche — die Neigung da zu sein, diese Spannung in die eine oder andere Richtung aufzulösen. Kirche sind wir jedoch da, wo beides zugleich, gewissermaßen ineinander aufleuchtet: wie klein und groß der Mensch doch ist.

Das Pfingstwunder zeigt sich auch darin, dass die Apostel in verschiedenen Sprachen zu verstehen sind. Das Evangelium richtet sich an alle Völker und Kulturen. In der Kirche — und wohl auch sonst in der Welt — erleben wir ein immer stärker werdendes Auseinanderdriften der verschiedenen Kulturen und Erdteile. Viele in der afrikanischen Kirche sind überzeugt, dass wir in der europäischen Kirche gar nicht mehr richtig christlich sind, während viele Europäer über die Rückständigkeit der Afrikaner klagen — um es zugegebenermaßen ein bisschen platt zusammenzufassen. Das Pfingstwunder erinnert uns daran, dass wir Kirche nur miteinander sind,. Ökumene meint nicht nur das Zusammenwirken der Konfessionen, sondern die weltumspannende Gemeinschaft der Kirche. „Ökumene“ heißt auf deutsch „die ganze bewohnte Erde“. Unsere Botschaft muss in alle Sprachen und Kulturen übersetzbar sein.

Dass Kirche sich verändern muss, darin sind sich viele einig, die Frage ist nur, in welcher Weise sie das tun soll. Ich bin überzeugt, dass wir — vor allen Einzelmaßnahmen — wieder die Grundlagen unseres Glaubens kennen lernen sollten, von denen zu viele ganz offenbar viel zu wenig wissen. Es geht nicht darum „Christentum ist …“-Schlagwörter zu entwickeln, sondern in das Ganze des Glaubens hineinzuwachsen. Veränderungen in der Kirche dürfen nicht aus bestimmten Neigungen, Sympathien oder Verkürzungen erwachsen. Die Apostel in ihrer Geschichte erinnern uns daran: Kirche sind wir da, wo der Mensch klein und groß zugleich ist. Wo seine dunklen Seiten nicht zudeckt werden, zugleich aber seine Größe und Würde in Gott erscheint. Diese Botschaft muss in alle Kulturen übersetzbar sein. Möge der Herr uns auch weiterhin durch seinen Geist leiten und begleiten.