Der Glaube ist keine Apotheke, die man halt in Notlagen aufsucht

17. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A; Mt 13,44-46)

Über ein religionsloses Christentum dachte einst der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer nach, während er von den Nationalsozialisten inhaftiert war. Was wie ein Widerspruch klingt, war für ihn eine wichtige Unterscheidung. Religion verstand er — so fasse ich es zusammen — als eine Art Apotheke. Da gehe ich hin, wenn ich etwas brauche, weil es mir schlecht geht, aber ansonsten habe ich nichts damit zu tun. Der christliche Glaube hingegen ist etwas Tieferes, Existenzielleres, das den ganzen Menschen fordert. Bonhoeffers Unterscheidung erscheint mir durchaus aktuell, denn offenbar verstehen Menschen in unseren Breitengraden Religion genauso, während das Evangelium doch etwas anderes fordert. Der Mann, der den Schatz findet, verkauft alles, um diesen Schatz zu bekommen, ebenso der Kaufmann, der die besonders wertvolle Perle entdeckt. Fordert der christliche Glaube wirklich von uns, dass wir alles, wirklich alles andere aufgeben? Ist das vielleicht ein Grund, warum der Glaube in unserer Zeit immer weniger Menschen erreicht?

Betrachten wir diese Gleichnisse genau, zeigt sich, dass sich die beiden keineswegs als Verlierer erleben — im Gegenteil. Der Mann mit dem Schatz im Acker kalkuliert offenbar genau. Er ist keiner, der alles wegwirft, ohne nachzudenken. Er setzt alles ein, um den Acker zu kaufen, aber dann besitzt er rechtmäßig den von ihm gefundenen Schatz, der ihm nun wohl ein angenehmes Leben beschert. Ähnlich der Kaufmann: er sucht schöne Perlen, da kann es einleuchten, dass er alles einsetzt, um diese eine zu bekommen, die wohl mehr wert ist als seine bisherige Sammlung. Diese Deutung wird auch von einer Verheißung Jesu gestützt, die er an anderer Stelle im Matthäus-Evangelium ausspricht. Die Jünger mussten um seinetwillen auf Familie und Besitz verzichten, aber sie werden alles — so verspricht er— hundertfach zurückbekommen und außerdem das ewige Leben. Im Christentum geht es nicht darum, einfach alles wegzuwerfen, sich einfach von allem frei zu machen, sondern es geht um diese Verheißung Jesu: Wer sich auf den Glauben einlässt, soll dies ganz und gar tun, mit allem, was ihn ausmacht. Es geht nicht um Religion als Teilbereich des Lebens, der ein paar Werte und Rituale liefert, sondern es geht um mich als ganzen Menschen. Wenn ich so das Evangelium als entscheidenden Maßstab meines Lebens annehme, wird mir alles gehören — aber in einer neuen, veränderten Weise.

Versuchen wir zu verstehen, was das bedeutet, so wie wohl auch der Mann den Schatz im Acker geprüft hat und der Kaufmann die Perle, ob sie diesen Schritt wert sind. Was bedeutet: alles gehört mir, aber in neuer, veränderter Weise? Die übliche Weise dieser Welt etwas zu besitzen ist abgrenzend, beherrschend. Das ist meins, nicht deins. Das kann ein Schutz sein, aber auch Angeberei. Ich habe so viel, du nicht. Auch in Beziehungen kann sich eine solche Haltung — in durchaus sehr verschiedenen Schattierungen — einschleichen. Du gehörst mir. Diese Haltung muss nicht ängstlich und abwehrend sein. Wer in Bezug auf das, was ihm gehört, ängstlich wird, der ahnt zumindest schon, dass etwas nicht stimmt. Diese Haltung des Besitzens kann sehr selbstbewusst sein, dominierend, ja bedrückend. Ich sitze sozusagen darauf, das alles ist meins.

Die Haltung, die aus dem Glauben erwächst, ist eine grundlegend andere. Es geht nicht um Besitz, sondern um Beziehung. Wenn man einmal in den weniger bekannten Teilen des Neuen Testaments sucht, den Briefen, zeigt sich, dass die Verheißung Jesu zutrifft. Ich denke beispielsweise an den Philemon-Brief, den einzigen persönlichen Brief des Apostels Paulus, der sich im Neuen Testament findet. Man entdeckt darin eine Leichtigkeit, ja — im guten Sinne — Lässigkeit in den Beziehungen: zu Menschen, aber auch zu Dingen. Ich glaube, der Schlüsselbegriff heißt Freiheit. Die Weise dieser Welt zu besitzen ist eine abgrenzende, beherrschende. Die Weise des Glaubens ist die einer Beziehung in Freiheit. Das lässt sich in zahllosen Begegnungen und Beziehungen Jesu in den Evangelien erfahren. Es ist ein echtes, tiefes Miteinander, auch wenn es nur eine kurze Begegnung ist, aber es ist immer ein Geschehen in Freiheit und deshalb von Respekt geprägt. Niemand wird gezwungen, Jesus lässt Menschen auch gehen. Und das ist auch die entscheidende Haltung den Dingen gegenüber, obwohl es vielleicht seltsam klingt. Auch sie muss ich in Freiheit besitzen, dass heißt, auch sie dürfen gehen, denn sie sind vergänglich. Auch Dinge gehen eben, manchmal einfach, weil sie kaputt- oder verlorengehen. Die Ewigkeit ist uns in Gott geschenkt, sie muss nicht im Besitz oder in Beziehungen erzwungen werden. Das ist die neue Weise der Beziehung und des Besitzens, die Jesus dem verheißt, der ihm nachfolgt.

Und doch bleibt es immer ein Wagnis. Niemand kann mir garantieren, dass ich all das so erfahre, wenn ich mich auf Jesus einlasse. Ich kann abwägen und überlegen, wie man das auch von dem Mann, der den Schatz im Acker gefunden hat, und von dem Kaufmann annehmen darf, aber niemand kann mir diese Entscheidung abnehmen. Sie fällt gerade in unserer Zeit so schwer, da man doch Entscheidungen eher vermeiden möchte, um sich alles offen zu halten. Aber ist es nicht so, dass man wenigstens anfanghaft manchmal erfährt, dass Jesu Verheißung zutrifft? Dass da, wo Freiheit waltet, ich in tieferer Weise besitze oder eine Beziehung lebe? Diese Entscheidung muss immer erneut werden, so wie die Jünger auch ihre Entscheidung, bei Jesus zu bleiben, erneuert haben, da andere weggingen.

Der christliche Glaube verlangt nicht, einfach so alles aufzugeben, auf alles zu verzichten. Von dem, der glauben will, verlangt Jesus allerdings, dass er sich ganz — gewissermaßen mit Haut und Haaren — auf den Glauben einlässt. Dann wird ihm alles andere in neuer, tieferer Weise gehören. Diese neue, tiefere Weise ist die Weise der Freiheit. Sie gibt eine Leichtigkeit und sie gibt Respekt. Niemand ist gezwungen. Selbst die Dinge nicht, auch ihre Vergänglichkeit wird akzeptiert. Die Ewigkeit ist uns in Gott geschenkt, sie muss nicht im Besitz oder in Beziehungen erzwungen werden.