Das Leben lädt mich ein … oder doch Gott?

28. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A; Mt 22,1-10)

Es gibt unterschiedliche Arten von Einladungen, über manche freut man sich, manche lehnt man genervt ab, andere nimmt man halt an — weil es sich so gehört, obwohl die Schwägerin unsympathisch ist, oder weil der Job es eben erfordert. Gott scheint schon immer mit seinen Einladungen Probleme gehabt zu haben, wie das Gleichnis Jesu bezeugt, und doch drängt sich der Eindruck auf, dass dies im Besonderen ein Problem in unserer Zeit bzw. in unserer westlichen Gesellschaft ist. Warum nehmen so wenige Menschen die Einladung Gottes an? Wenn wir die Wirklichkeit unserer Gesellschaft betrachten, müssen wir die Frage wohl grundsätzlicher stellen: Gibt es überhaupt einen Gott, der uns einlädt?

Klar, die erste Antwort lautet immer: Menschen haben ein Problem mit der Kirche, sie glauben nicht, dass diese Kirche gewissermaßen die Einladung Gottes überbringt. Es ist wohl unbestreitbar, dass dies ein Grund ist — aber ich bin überzeugt, es ist nicht der entscheidende. So sicher unsere Kirche in einer Krise ist, so sehr lehrt mich meine beinahe zwanzigjährige Erfahrung in der Seelsorge, dass die Wurzel des Ganzen eine Gotteskrise ist. Offenbar verflüchtigt sich die Wirklichkeit Gottes bei immer mehr Menschen. In einer radikal individualistischen Welt, in der der Einzelne sich absolut setzt, sich als letzten Maßstab begreift, gibt es für Gott immer weniger Platz. Es gibt Menschen, die die Wirklichkeit Gottes rundheraus ablehnen, aber insgesamt scheint es eher eine Art Verdunstung zu sein, Gott wird immer unwirklicher, immer schemenhafter, bis er ganz verschwunden ist. Ja, es gibt schon irgendwie das Göttliche, so glauben Menschen, aber weil dieses Göttliche nur noch schemenhaft, beinahe unwirklich in ihr Leben ragt, glauben sie nicht, dass Gott wirklich so konkret in ihr Leben wirken kann, dass er eine Einladung aussprechen kann. Über eines sollten wir uns klar sein: diese Haltung, die viele in den letzten etwa dreißig, vierzig Jahren gelebt haben: Gott gibt es schon irgendwie, aber Kirche und Gottesdienst, das ist mir zu eng — diese Haltung ist auf Dauer genauso wenig möglich, wie ein Topf Wasser auf einer heißen Herdplatte voll bleiben kann. Für beides gilt: Der Inhalt verdampft. Ein Gottesglaube, bei dem jedes Bekenntnis das Wörtchen „irgendwie“ enthält, verflüchtigt sich über kurz oder lang — wie das Wasser auf der heißen Kochstelle — und kann so auch nicht an eine kommende Generation weitergegeben werden. Eigentlich sollte man doch annehmen, wenn es Gott tatsächlich gibt, ist eine Einladung, die er ausspricht, etwas ganz Entscheidendes. Doch wenn Gott nur noch so wirklich ist wie ein wenig Wasserdampf, der sich schnell verflüchtigt, zählt diese Einladung nichts mehr.

Ich glaube allerdings auch, dass wir Glaubende vor dieser Entwicklung nicht gefeit sind. Gewiss, wir sprechen sonntags das Glaubensbekenntnis, ohne laut ein „irgendwie“ anzufügen — aber ansonsten leben wir in einer Welt, für die Gott nicht allzu wirklich ist. Besteht da nicht die Gefahr, dass auch für uns seine Wirklichkeit abnimmt? Weil so vieles auf uns einprasselt und die meisten uns vorleben, dass man seine Zeit auch anders verbringen kann als auf diese unheilbar altbackene Weise in einem Gottesdienst? Auch als Glaubende kommen wir nicht um die Frage herum: gibt es tatsächlich Gott, der mich einlädt?

Ich glaube, es gibt im Leben manches, das wir als Einladung empfinden: ganz wörtlich mag man eine geöffnete Tür als Einladung empfinden — in ein Gasthaus oder sogar in eine  Kirche. Und ist es nicht manchmal so, dass wir eine Situation als Einladung empfinden? Da ist ein Mensch, mit dem ich schon lange etwas besprechen wollte, und ich begegne ihm scheinbar zufällig auf der Straße. Natürlich, ich könnte weitergehen oder nur grüßen, aber wäre das nicht, als hätte ich eine Einladung ausgeschlagen? Mancher sagt dann, es ist, als würde das Leben eine Einladung aussprechen. Das Leben ist aber keine Person, es ist nur ein Allgemeinbegriff, der nicht einladen kann. Ähnliches tun wir mit der Natur, die plötzlich auch dieses oder jenes wünscht. Diese ist aber auch keine Person, die handeln kann. So wird uns abtrainiert, Erfahrungen, die auf einen Größeren hinweisen, als das zu benennen, was sie sind: Fingerzeige auf Gott hin.

So gibt es noch andere Einladungen, die wir entdecken können, beispielsweise die Einladung zu mir selbst. In der Hektik des Alltags bricht machmal die Sehnsucht auf, nicht schon wieder wohin zu müssen, sondern bei mir zu sein. Ist es nicht oft so, dass eine innere Stimme dazu einlädt, bei mir zu sein? Dass man manchmal Mühe hat, diese Stimme zum Schweigen zu bringen und weiter zu funktionieren? Und es gibt die Einladung, im Augenblick zu sein, z.B. hier und jetzt dem anderen zuzuhören, ihn ernst zu nehmen — und nicht schon wieder in Gedanken weit weg zu sein. Es mag noch manche andere solcher Einladungen geben, sie haben eine Kraft, der ich mich nicht so leicht entziehen kann, wenn ich es nicht regelmäßig übe. Sind sie nicht ein Fingerzeig, dass ein anderer, ein Größerer uns einlädt?

Solche Einladungen sind immer Gnade, sind unverdientes Geschenk, das ist das Wesen der echten Einladung, man denke an das Gleichnis Jesu, der König lädt am Ende alle ein, die bereit sind zu kommen. Alle diese Erfahrungen bereiten uns auf das, was das Evangelium sagt: dass Gott Mensch geworden ist in Jesus, dass er uns zu sich einlädt und wir in dieser Einladung die Fülle des Lebens und damit letztlich uns selbst finden. Diese Einladung nimmt hier und jetzt konkrete Form an, wenn wir dem Auftrag Jesu folgen: Tut dies zu meinem Gedächtnis.

In einer Gesellschaft, in der jeder sich selbst zum letzten Maßstab erklärt, verflüchtigt sich allerdings die Wirklichkeit Gottes mehr und mehr. Vielleicht gibt es irgendwie etwas Göttliches, aber es ist zu schemenhaft, zu unwirklich, um eine Einladung auszusprechen. Dabei lehrt uns doch die Lebenserfahrung etwas anderes: manchmal bekommen wir eine Einladung, wenn uns scheinbar zufällig ein Mensch begegnet, mit dem wir etwas zu besprechen haben, oder wenn eine innere Stimme zur Ruhe mahnt. Das sind Fingerzeige auf den Größeren hin, den wir Gott nennen und der uns in Jesus begegnet. Seiner Einladung sind wir hier und heute gefolgt.