Kompromisslos glauben?

3. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A; 1 Kor 1,10-13.17; Mt 4,12-23)

Die Kirche — und das sind auch wir — ist alles andere als vollkommen. Das ist eine Binsenweisheit, gewiss, aber üblicherweise neigt man dazu, anzunehmen, dass am Anfang der Kirche immer alles besser gewesen sei. Die Lesung aus dem ersten Korintherbrief belehrt uns eines Besseren. Die Gemeinde von Korinth ist gespalten. Ein Großteil dieses Briefes ist davon geprägt, dass Paulus sich darum müht, die Einheit dieser zerrissenen Gemeinde wiederherzustellen. Ein Idealbild zeichnet dagegen das Evangelium. Die beiden Brüderpaare folgen Jesus ohne weiteres nach. Warum gelingt das so selten? Müssten wir als Kirche nicht konsequenter, kompromissloser glauben?

Wenn man sich selbst einigermaßen aufrichtig betrachtet, muss man wohl zugeben, dass es auch den – oft im wahrsten Sinne des Wortes – faulen Kompromiss bezüglich des Glaubens gibt, das alles ist zu anstrengend, was Jesus da will, es passt nicht in unsere Zeit – so lauten dann die Argumente, die heutzutage ja praktisch überall bereitliegen – wenn man so sagen will. Glauben im christlichen Sinne zielt auf das Ganze: auf den ganzen Menschen, auf die Welt, auf Gott als den Grund allen Seins. Mancher Kompromiss, den man im Alltag so schließt, will ihm eben das austreiben. Hier gehört das mit dem Glauben nun mal nicht hin, sagt man sich, die anderen verstehen das nicht. Wenn ich dem verzeihe, stehe ich dumm da. Daheim ist ja wieder alles ganz anders usw. Der Glaube wird in einen Teilbereich abgeschoben, aber eben das widerspricht seinem Wesen, das ist der faule Kompromiss. Man will für seine Kirchensteuer bestätigt und ermutigt, nicht kritisiert werden. Leb, was in dir steckt, du bist toll, nur weiter so — das ist aber nicht die Botschaft Jesu. Seine ersten programmatischen Worte lauten: „Kehrt um!“ Ändert euch! Gehen Glaube und Kompromiss also doch nicht zusammen? Ist jeder Kompromiss im Glauben Verrat? Wenn ich das so sage, beschleicht mich doch ein ungutes Gefühl, wir sind heute sehr sensibel für das, was Fundamentalismus genannt wird. Ist das nicht genau diese Gefahr? Ohne Rücksicht auf Verluste, etwas durchsetzen zu wollen? Wer jeden Kompromiss als Verrat ansieht, übersieht die Bruchstückhaftigkeit des Lebens, die nicht immer erlaubt, aufs Ganze zu gehen. „Wenn du es begreifst, ist es nicht Gott!“, sagte der heilige Augustinus. Wir können Gott nicht fassen, sonst wären wir ja selbst Gott, wir wissen nicht immer, was genau angemessen ist, die Bruchstückhaftigkeit dieser Welt, die Gebrochenheit vieler – vielleicht aller – Lebensgeschichten machen uns ratlos. Fundamentalismus ist keine Lösung, er gaukelt dem Menschen eine Sicherheit und Größe vor, die er nicht hat. So scheinen wir jetzt in der Zwickmühle festzustecken: Gibt es noch etwas anderes als den faulen Kompromiss bezüglich des Glaubens?

Versuchen wir noch genauer zu verstehen, was Glauben meint, nur dann können wir sehen, ob und wie Kompromisse da einen Platz haben können. Glauben zielt irgendwie auf das Ganze, sagte ich, auf Welt, Gott und Mensch, während es das Wesen des Kompromisses ist, dass man zurückstecken muss. Doch auch für den, der glaubt, bleiben die Bruchstückhaftigkeit des Lebens und die Gebrochenheit so vieler Lebensgeschichten eine Tatsache, die nicht durch den Glauben einfach verschwindet. Im Hebräerbrief heißt es einmal: Glauben ist Feststehen in dem, was man nicht sieht. Glauben ist also ein Wagnis, ein Sich-Festmachen in etwas, das nicht einfach offenkundig ist. Glauben heißt auf eine tiefere Einheit hin zu leben, eine tiefere Einheit hinter den Bruchstücken des Lebens. Diese Einheit liegt in Gott, der vergibt und heilt. Sie liegt in seiner Liebe, die er uns bis zum Kreuz erwiesen hat. So erinnert Paulus die Korinther daran, dass Christus für sie gestorben ist — nicht die Anführer ihrer jeweiligen Partei. Diese Einheit ist nicht einfach sichtbar – man denke an das Wort des Hebräerbriefs –, bestenfalls blitzt sie immer wieder auf, es bleibt aber ein Wagnis auf sie hin zu leben. Ein gutes Bild hierfür kann uns eine Partnerschaft oder eine tiefe Freundschaft geben, auch da leben zwei Menschen auf eine Einheit hin, die nicht einfach sichtbar ist, die manchmal vielleicht auch zum Zerreißen gespannt ist, so dass die beiden und auch andere daran zweifeln, ob es diese Einheit überhaupt gibt, aber diese tiefere Einheit gibt ihnen Halt und Kraft. So sind sich Glaube und Kompromiss nicht einfach wesensfremd. Der Glaube hebt die Bruchstückhaftigkeit des Lebens nicht einfach auf, sondern verheißt eine tiefere Einheit, die letztlich in Gott ist. Der Kompromiss ist ein Weg, mit den verschiedenen Bruchstücken des Lebens umzugehen, hier und jetzt, wenn ich nicht ausweichen kann. Ja, der Glaube kann manchmal auch zu einem Kompromiss ermutigen, eben weil ich an eine tiefere Einheit glaube, weil alle Gebrochenheit nicht das Letzte ist. So kann ich jemandem, der durch die Tat eines anderen zutiefst erschüttert und verletzt ist, auch die Zeit einräumen, die er braucht, um vielleicht irgendwann einmal zu verzeihen. Derjenige braucht erst einmal Zeit, sich selbst zu sortieren, wieder zu erfahren, wer er ist, bevor er sagen kann „ich“ und eben vielleicht irgendwann: „Ich verzeihe“. Ich habe selbst in meiner seelsorgerischen Tätigkeit solches erlebt. Das ist kein fauler Kompromiss.

Gewiss gibt es auch den faulen Kompromiss bezüglich des Glaubens, weil man dies oder jenes zu anstrengend findet, aber Glauben und Kompromiss sind einander nicht einfach wesensfremd. Alles andere wäre Fundamentalismus, der behauptet Gott in der Tasche zu haben. Glauben meint, das Leben auf jene tiefere Einheit hin zu wagen, die Einheit hinter den Bruchstücken des Lebens, die letztlich Gott selbst ist. So verschwinden diese Bruchstücke nicht einfach, und es braucht  Kompromisse als Wege, hier und jetzt mit ihnen umzugehen und zu leben. Wir können das umso mehr, weil wir daran glauben, dass alles Gebrochene und Verletzte niemals das Letzte ist, weil Gott – im wahrsten Sinne des Wortes – Heil-and ist.