Die Begrenzung unserer Freiheit ist die Rettung unserer Freiheit

4. Adventssonntag (Lesejahr B; Lk 1, 26-38)

„Mir geschehe nach deinem Wort“ — Marias Ja zur Botschaft des Engels hat ihr Bild im christlichen Glauben am nachhaltigsten geprägt: Sie ist diejenige, die Gott gehorsam ist. Die Menschen unserer Zeit tun sich mit einer solchen Sicht der Dinge schwer. Freiheit ist das oberste Gebot — in den „beschränkten“ Zeiten, in denen wir leben, spürt man das besonders. Bringen wir das irgendwie zusammen? Freiheit und Gehorsam gegenüber Gottes Willen?

Seltsamerweise müssen wir Menschen sehr oft gehorchen, müssen unsere Freiheit an Umstände anpassen, die wir nicht selbst gewählt haben — siehe die gegenwärtige Krise. Aber ich will unseren Blick ein wenig darüber hinaus lenken. Man mag es nennen, wie man es will: Gehorsam gegenüber dem Leben, Sich-Anpassen an unabänderliche Gegebenheiten — oder wie auch immer. Ich weiß schon, das ist etwas anderes als Gott zu gehorchen, aber schauen wir mal hin, ob uns dieser Gehorsam dem Leben gegenüber hilft, das Ja zu Gottes Willen besser zu verstehen. Unsere Freiheit ist immer davon geprägt, dass sie an Grenzen stößt. Weil ich krank bin, kann ich dieses oder jenes nicht tun, weil ich den Studienplatz oder den Ausbildungsplatz nicht bekomme, ist mir dieser Weg verwehrt, weil ein Mensch mir seine Freundschaft verweigert, kann dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen. Weil diese Erfahrung unweigerlich zum Leben gehört — für den einen sicher mehr, für den anderen weniger —, haben wir Strategien, also bestimmte Verhaltensweisen eingeübt, die uns helfen, mit solchen Grenzen umzugehen. Manchmal entdeckt man trotz einer Ablehnung, die man bekommt, wenn man genauer hinschaut, einen Spielraum, den man noch nutzen kann und der der eigenen Freiheit offen steht. Vielleicht reicht es nicht zur Freundschaft mit einem anderen, aber trotzdem eröffnen gemeinsame Interessen ein gelegentliches Miteinander, das manches möglich macht, was sonst nicht möglich gewesen wäre. Oder man entdeckt, dass der eine Weg versperrt ist, aber dass sich dafür ein anderer Weg öffnet, den man möglicherweise bisher auch einfach übersehen hat. Und in manchen Fällen bleibt einfach der Humor übrig, dass man über sich selbst oder eine bestimmte Situation lachen kann. So eröffnet sich ein innerer Abstand zu dem, was ich nicht ändern kann. Ich bin nicht Gefangener dieser Situation, ich kann darüber lachen, wenigstens das ist meine Freiheit. Solche Strategien, solche Verhaltensweisen zeigen, wir sind daran gewöhnt, dass Freiheit an Grenzen stößt, dass wir sozusagen dem Leben gehorsam sein müssen — und dennoch irgendwie Freiheit leben wollen und können, sei es manchmal auch nur in Form des Humors.

Und was ist nun mit dem Gehorsam gegenüber Gott? Dem Leben und seinen Vorgaben muss ich mich unterwerfen, wenn ich Freiheit irgendwie leben, mein Leben gestalten will. Warum soll ich mich einem höheren Wesen und seinen Geboten freiwillig unterwerfen? In dieser Fragestellung liegt schon ein Denkfehler, auf den Romano Guardini aufmerksam gemacht hat. Gott ist eben nicht ein anderes Wesen, das mir gegenüber steht. Gott ist der Grund meines Daseins. Ich bin überhaupt nur, weil Gott in jedem Augenblick zu mir sagt: Du sollst sein. Im Wort „Gehorchen“ steckt „Horchen, Hören“ drin. Auf Gott zu hören heißt also zunächst einmal nicht, mich einer Fremdbestimmung zu unterwerfen, sondern auf Gott zu hören, heißt in einem ersten Schritt, einfach da zu sein, zu existieren, die Worte zu hören: Du sollst sein. „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast bei Gott Gnade gefunden“, sagt der Engel. Das ist seine Zusage, seine erste Botschaft. Gewiss ist Marias Rolle in der Geschichte Gottes mit uns Menschen einzigartig — und doch ist jedem von uns in gewisser Weise dieses Wort auch zugesagt. Gottes Gnade, seine umgeschuldete Zuwendung setzt uns ins Leben. Freiheit heißt doch im Letzten, ich selbst zu sein, meine Aufgabe im Leben zu finden, meine Talente und Möglichkeiten zu entfalten. Als Glaubender bin ich überzeugt, diesen Weg im Hören auf den zu finden, der mich ins Leben setzt, sein Wort begründet mein Dasein, sein Wort zeigt mir auch den Weg zu mir selbst. Das muss nicht die große alles umstürzende Berufungserfahrung sein, es muss auch nicht die eine Aufgabe sein, die mein ganzes Leben prägt. Es können auch viele kleine Schritte sein, die am Ende ein Leben prägen.

Der Mensch braucht Aufgaben, um sich und seine Möglichkeiten zu entfalten. Das Wort „Aufgabe“ sagt uns schon Entscheidendes. Da ist etwas, das ich nicht einfach selbst gemacht habe, da ist mir etwas auf-gegeben. Unsere Freiheit ist immer eine begrenzte, das gilt, ob ich glaube oder nicht. Wie eingangs gesagt, der Gehorsam gegenüber dem Leben ist uns allen auf-gegeben, ob wir wollen oder nicht. Doch eben das beflügelt unsere Freiheit. Als begrenzte Wesen, sind wir überfordert, wenn wir aus einer unendlichen Fülle der Möglichkeiten auswählen müssten. Der erste Schritt der Freiheit, das Auswählen, würde uns komplett überfordern — eine Erfahrung, die man im Ansatz in unserer Gesellschaft ja schon erleben kann, da die Möglichkeiten immer zahlreicher werden. Eine unbegrenzte Fülle würde uns vollkommen überfordern, das Auswählen käme nie an ein Ende, und der entscheidende Schritt würde fehlen: etwas aus diesen Möglichkeiten zu machen, mich zu entfalten, meine Talente einzusetzen. Die Begrenzung unserer Freiheit ist die Rettung unserer Freiheit. Indem ich eine bestimmte Anzahl von Möglichkeiten habe, kann ich aus ihnen wirklich etwas machen. Und dann können wir auch freien Herzens, ohne Frustration die Strategien, die ich schon aufgezählt habe, einsetzen: Spielräume und neue Chancen entdecken und manchmal auch über etwas lächeln.

Freiheit und Gehorsam gegenüber Gott gehen sehr wohl zusammen, in gewisser Weise sind sie Kehrseiten derselben Medaille. Gott ist nicht ein anderes Wesen, sondern der Grund meines Daseins. Indem ich auf ihn höre, existiere ich, höre sein Wort: Du sollst sein. Er hilft mir den Weg zu mir selbst zu finden. Dass meine Freiheit begrenzt ist, ist ihre Rettung. Wo ich aus unbegrenzten Möglichkeiten wählen könnte, käme ich gar nicht mehr zum Eigentlichen: diese Möglichkeiten zu nutzen, um etwas zu gestalten. Maria hat mit ihrem Ja ihren ganz eigenen und einzigartigen Weg gefunden.