Hoffnung in Zeiten der Pandemie: Glauben ist vernünftiger als Verdrängen

6. Sonntag der Osterzeit (Lesejahr A; 1 Petr 3, 15–18; Joh 14, 15–21)

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt — diese Volksweisheit umschreibt zutreffend, dass wohl niemand am Jahresanfang geahnt hat, was im März geschah: die mehr oder weniger totale Schließung der Gesellschaft und — für uns als Christen besonders einschneidend  — der Verzicht auf öffentliche Gottesdienste und das ausgerechnet an Ostern, dem wichtigsten Fest des christlichen Glaubens. Nun scheint langsam wieder ein bisschen Normalität zu einzukehren und so drängt sich auch die Frage auf, inwiefern uns diese Zeit verändert oder — vielleicht ein bisschen optimistischer formuliert — ob wir etwas aus dieser Erfahrung lernen. Ich will ein paar Erfahrungen herausgreifen, die mir als besonders prägend erscheinen. Da ist einmal die Zerbrechlichkeit des Lebens, die neu in den Blick geriet. Damit ist nicht nur die Tatsache unserer Sterblichkeit gemeint, sondern auch, wie schnell Kostbares und Selbstverständliches, aus dem man lebt, sich verändern oder gar verschwinden können. Auch Freiheit und Toleranz erscheinen in einem ganz neuen Licht, wenn man plötzlich zu Hause bleiben muss, sich nicht mehr im gewohnten Rahmen treffen darf und — so zumindest am Anfang der Maßnahmen zur Schließung der Gesellschaft — auch vorsichtige Kritik daran nicht toleriert wird und das in einer Gesellschaft, die sich ansonsten ihrer umfassenden Toleranz rühmt. Mitten in dieser Situation trifft uns quasi das Urwort der Theologie, des Nachdenkens über den Glauben, das wir in der neutestamentlichen Lesung gehört haben: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt.“ Welche Hoffnung also haben wir? Welche Antworten geben wir angesichts dieser Krise und ihrer Erfahrungen?

Das Wort aus dem ersten Petrusbrief ist keine Anleitung für Spezialisten, sondern eine Mahnung an alle Glaubenden. Eine Zeit, die uns als Glaubende so grundsätzlich herausfordert wie die unsre, braucht auch eine Antwort aller Christen — wenn das Christentum Zukunft in unserem Lande haben soll. Die Zerbrechlichkeit unseres Lebens, die wahrscheinlich in einer solchen Krise stärker erfahren wird, mag Unterschiedliches hervorrufen: Ängste, Sorgen auch angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung, vielleicht auch einen neuen Blick auf manches, was man zu selbstverständlich genommen hat. Doch allzu lange hält es der Mensch mit dieser Erfahrung nicht aus. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir scheint vielerorts die Sehnsucht nach Normalität deutlich zu spüren, möglicherweise hat auch der beginnende Frühling damit zu tun. Man will nicht mehr an die Zerbrechlichkeit des Lebens erinnert werden, sondern die aufkeimende Kraft des Lebens spüren, man will das Vertraute, Normale. Man kann nicht ununterbrochen mit der Einsicht leben, dass das Leben — zumindest wie man es kennt — jeden Augenblick vorbei sein kann, das würde einen Menschen wahnsinnig machen. Die Zerbrechlichkeit des Lebens, die man ja auch an anderer Stelle immer wieder erfährt, lässt uns — ein bisschen zugespitzt gesagt — zwei Alternativen: ich verdränge sie und gehe schulterzuckend wieder zur Normalität über. Oder ich glaube, dass ich von einem anderen getragen und gehalten bin, einem anderen, der nicht in die Vergänglichkeit des Lebens eingesponnen ist und den wir als Glaubende Gott nennen. Es gibt auch Denker, die meinen, es gäbe eine andere Möglichkeit, man müsse sich an der Kostbarkeit des Lebens freuen, eben weil es jeden Moment endgültig, ohne weitergehende Hoffnung vorbeisein könnte. Am Schreibtisch mag so was einleuchten, im Leben wird es nicht funktionieren. Da bleibt das Verdrängen oder das Glauben. Verdrängen ist nicht gesund. Ist es nicht vernünftiger, unserer unmittelbaren, unausgesprochenen Erfahrung zu trauen, dass es einen Sinn gibt, dass wir nicht im Nichts hängen? Glauben ist vernünftiger als Verdrängen.

Freiheit und Toleranz sind ebenfalls Erfahrungen, die in neuem Licht erscheinen. Man darf sich nicht in gewohntem Rahmen treffen, ist einschränkt wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht. Gleichzeitig wurden gerade am Anfang der Krise Wissenschaftler, die nur eine Diskussion über die Maßnahmen forderten, aufs schärfste verurteilt. Menschen, die sonst lauthals verkünden, dass jeder seine eigene Wahrheit hat, rufen nun nach der einen wissenschaftlichen Wahrheit, der alle zu folgen haben. Wer allerdings ein bisschen Ahnung von Wissenschaft hat, weiß, dass es niemals die eine wissenschaftliche Wahrheit geben kann, sondern nur unterschiedliche, nachprüfbare, weil durch Argumente gestützte Einschätzungen von Wissenschaftlern. Mir scheint es da einen Zusammenhang zu geben: diejenigen, die ansonsten besonders kräftig jede allgemeine Wahrheit und damit auch Religion verneinen, sind dann in Krisenzeiten anfällig für die eine Wahrheit, der nun wirklich alle zu folgen haben. Da scheint mir doch der christliche Glaube vernünftiger: wir glauben an die eine Wahrheit, das ist aber nicht eine schlichte Handlungsanweisung für Krisenzeiten, sondern Jesus Christus ist die Wahrheit, so das Evangelium vom vergangenen Sonntag. Die Wahrheit ist eine Person, die nicht einfach auszuschöpfen ist, sondern immer besser kennenzulernen ist: mit Hilfe des Geistes der Wahrheit, den er uns verheißt, so das Evangelium dieses Sonntags.

Ich glaube, dass es für unsere Gesellschaft von grundsätzlicher Bedeutung ist, das Verhältnis von Wahrheit und Freiheit neu zu bedenken, sonst betont man in guten Zeiten, dass jeder seine Wahrheit hat, also leben soll, wie er will, und in Krisenzeiten braucht es dann plötzlich die eine Wahrheit, der alle zu folgen haben, Diskussion unerwünscht. Ein kleiner Gedanke dazu: auch Freiheit setzt doch mindestens die Wahrheit voraus, dass ich sein darf, dass es gut ist, dass ich meine Talente entfalte — als Glaubender folgere ich: dass da ein Schöpfer ist, der mich bejaht, liebt und im Dasein hält.

Dass Gott uns bejaht, liebt und im Dasein hält: Das ist die Hoffnung, von der wir — nach der Mahnung des ersten Petrusbriefs — Zeugnis ablegen sollen. Die Zerbrechlichkeit des Lebens erfahren wir immer wieder, um normal leben zu können, bleibt uns nur, sie zu verdrängen oder eben an den Schöpfer, der uns hält, zu glauben. Wir glauben, dass Christus die Wahrheit schlechthin ist, das kann uns davor schützen in der Krise einer schlichten Wahrheit zu verfallen. Wenn wir unsere Freiheit leben, glauben wir, dass Gott uns trägt, dass er will, dass wir unsere Begabungen entfalten. Wir glauben, dass er uns liebt.