„Nicht die Glücklichen sind dankbar, sondern die Dankbaren glücklich!“

Erntedankfest (Dtn 8,7-18; Lk 12,15-21)

„Nicht die Glücklichen sind dankbar, sondern die Dankbaren glücklich“, sagte der englische Philosoph Francis Bacon. Dankbarkeit gilt in unseren Breitengraden als sinnvoll und höflich, Kinder werden von Eltern angehalten „Danke“ zusagen, wenn sie ein Geschenk bekommen, bei festlichen Anlässen – wie zum Tag der Deutschen Einheit – gibt man sich dankbar für das Geschehene usw. Doch gerade dieses Rituelle, Förmliche, man könnte auch sagen Erstarrte an der Dankbarkeit zeigt, dass diese nicht einfach eine Grundhaltung des Menschen ist. Auch die Lesung aus dem Buch Deuteronomium müht sich, den Israeliten die Dankbarkeit einzuschärfen – eben weil der Mensch dazu neigt, sie zu vergessen. Warum auch dankbar sein? Wenn ich morgens nicht aufstehe, läuft in meinem Leben nichts, letztlich ist es mein eigenes Mühen, das mein Leben erfolgreich sein oder scheitern lässt; Dankbarkeit ist etwas für kleine Kinder oder für sentimentale Stunden, aber nicht für Menschen, die Tag für Tag ihr Leben selbst in die Hand nehmen müssen. Oder? Manchmal schleicht sich dann aber etwas anderes ein, das sich hinter solch starken Worten schon verbirgt. Wenn ich meine Eigenleistung so anpreisen muss, schwingt schon etwas anderes mit: Resignation, das Wissen um die Vergeblichkeit der Anstrengung. Genau das ist es, was Jesus dem Mann im Evangelium vorhält: „Du Narr“, sagt er, dein Schaffen und Raffen war umsonst. Meiner Beobachtung nach scheint der Mensch im Wesentlichen zwischen diesen drei Grundhaltungen hin- und herzuschwanken: Dankbarkeit, vielleicht in sentimentalen Stunden, oder nachdem wider Erwarten etwas überstanden ist, die dann aber in Stolz, begleitet von Undankbarkeit, kippt, weil man sich sonst klein und abhängig fühlt, und dann wieder Resignation in den kleinen und großen Niederlagen des Lebens, um die keiner herum kommt: es bringt doch alles nichts. Kann der Mensch aus diesem Kreislauf aus Dankbarkeit, Stolz und Undankbarkeit sowie Verzweiflung herausfinden? Gibt es so etwas wie eine Dankbarkeit in Freiheit, die vor Stolz und Verzweiflung schützt – wie es der christliche Glaube und das Fest, das wir heute feiern, nahelegen?

Im christlichen Glauben ist Dankbarkeit eine entscheidende Grundhaltung. Wir Menschen verdanken uns nicht uns selbst, ja in einem letzten Sinn auch nicht unseren Eltern, denn dass überhaupt irgendetwas ist und dass ich gerade so bin, mit diesen Stärken und diesen Schwächen – weder das eine noch das andere haben meine Eltern bewirkt. Wir verdanken uns Gott, dem Urgrund allen Seins. Gott ist – nach christlichem Verständnis – allerdings nicht nur Schöpfer, sondern auch Erlöser – um es einmal mit traditionellen Begriffen zu sagen. Unsere Sehnsucht zielt auf das Unendliche, doch wir sind bleibend verstrickt ins Endliche, in Leiden, Scheitern und Tod. Um uns hieraus zu befreien, ist Gott in Jesus Mensch geworden und am Kreuz gestorben. Ist diese Dankbarkeit dem Schöpfer und Erlöser gegenüber nicht etwas, das den Menschen fesselt und gefangen hält, indem es ihn daran erinnert, dass der eigentliche Macher Gott ist – eine Erfahrung also, die fast zwangsläufig in Stolz und Undankbarkeit kippen muss und in den Niederlagen resignieren lässt, weil sowieso alles vergeblich ist? Die Erfahrung lehrt uns, dass Dankbarkeit Gott gegenüber offensichtlich kein Gefängnis ist – sonst könnten sie nicht so viele vergessen, sonst müsste das Buch Deuteronomium nicht – wie bereits erwähnt – die Dankbarkeit dermaßen einschärfen. Was stört also an der Dankbarkeit, wenn sie doch so viel Raum lässt, sie zu vergessen oder zu bedenken, das eigene Leben in Angriff zu nehmen oder auch nicht? Was provoziert den Stolz und die Undankbarkeit? Vielleicht ist es das Wissen darum, dass ich meinen eigenen Anfang nicht gesetzt habe, dass ich im Leben – um es in einem Bild zu sagen – mit den Karten spielen muss, die ich bekommen habe. Aus dem Einen kann vielleicht ein großer Musiker werden, aber kein großer Sportler. Ich kann mich entfalten, aber eben auf einer Linie, die nicht ich begonnen habe. Anders kann es auch gar nicht sein, niemand kann seinen eigenen Anfang setzen, denn wenn ich etwas tue, bin ich schon da, und mein Anfang liegt hinter mir. Jeder Mensch – egal ob alt oder jung, gläubig oder nicht – muss also damit leben, dass er seinen eigenen Anfang nicht gesetzt hat. Nun kann er diesen Anfang – vereinfacht gesagt – dem Zufall oder Gott zuschreiben. Wenn er ihn dem Zufall zuschreibt, dann gibt es meiner Meinung nach keinen Ausweg aus dem Kreislauf von Dankbarkeit, Undankbarkeit und Stolz sowie Verzweiflung. Immer wieder erfährt der Mensch so eine Mischung aus Abhängigkeit und Unabhängigkeit sowie die Vergeblichkeit seiner Anstrengungen. Wer hingegen an Gott glaubt, der darf darauf vertrauen, dass der Anfang des eigenen Lebens in Liebe gesetzt ist, weil Gott selbst die Liebe ist. Wenn ich darauf vertrauen kann, dass der Anfang meines Lebens, den ich nie selbst bestimmen kann, in Liebe gesetzt ist, macht das nicht nur dankbar, sondern frei, denn Liebe hält nicht gefangen, sondern gibt frei. Niemand kann den Anfang des eigenen Lebens selbst setzen. Wer ihn dem Zufall zuschreibt, kann nie lange dankbar sein, seine Dankbarkeit wird schnell in Stolz kippen, hinter dem schon die Verzweiflung lauert. Wer an Gott glaubt, vertraut darauf, dass der Anfang seines Lebens in Liebe gesetzt ist, Liebe aber gibt frei, ermutigt, ich selbst zu sein, und will das Beste für mich. Ich brauche mit einem solchen Anfang nicht zu hadern. Dennoch wird auch dem Glaubenden Scheitern nicht erspart bleiben. Doch mit seinem Gleichnis, das wir im Evangelium gehört haben, erinnert Jesus daran, dass der Sinn des Lebens nicht im Schaffen und Raffen besteht. Weil der Anfang meines Lebens durch den liebenden Gott gesetzt ist, darf ich glauben, dass ich gewollt bin: ich darf mich entfalten, ich muss aber nicht meinen Wert beweisen. Das erspart uns keine Niederlagen, kann ihnen aber etwas von ihrer Bitterkeit nehmen.

Dankbarkeit – Undankbarkeit/Stolz – Resignation/Verzweiflung, es gibt einen Ausweg aus diesem Kreislauf: das ist der Glaube an Gott. Niemand kann seinen eigenen Anfang setzen, wenn ich etwas tue, bin ich schon da, und mein Anfang liegt hinter mir. Wenn ich diesen Anfang nur dem Zufall zuschreibe, kippt Dankbarkeit schnell in Stolz, hinter dem die Verzweiflung lauert, denn ich muss dann zwar meinen Wert beweisen, kann es aber doch nicht, weil ich immer wieder auch scheitere. Wenn ich an Gott glaube, kann ich darauf vertrauen, dass dieser Anfang in Liebe gesetzt ist. Liebe gibt frei, ich darf mich entfalten, muss aber nichts beweisen. Eigentlich muss kaum ausdrücklich betont werden, dass auch der Glaubende nicht vor Stolz und Verzweiflung gefeit ist. Wir müssen immer neu versuchen, den Weg hinaus zu gehen. „Vollkommenheit gibt es erst im Himmel“, sagte einmal ein Priester, dem – obwohl er gut singen konnte – das österliche Halleluja misslang.