Wer an der Oberfläche bleibt, lebt leichter, aber gefährlicher — und ärmer

Fronleichnam (Lesejahr A; Dtn 8, 2–3.14–16a; Joh 6, 51–58)

„Die Menschen haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben“ — diesen Satz habe ich vor Jahren einmal gelesen und seither begleitet er mich, weil er unsere Wirklichkeit zutreffend beschreibt. So grundsätzlich und radikal diese Beobachtung auf unsere Zeit zutrifft, so sehr gibt es die Versuchung, Gott zu vergessen, zu allen Zeiten. Schon die alttestamentliche Lesung, die dem letzten Buch der Thora, dem heiligen Gesetzbuch der Juden — bestehend aus den fünf Büchern Mose —, entnommen ist, schärft den Hörern bzw. Lesern ein, Gott nicht zu vergessen, der sie doch aus Ägypten befreit hat. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Doch unsere Gegenwart scheint diesen Satz zu widerlegen. Der Mensch lebt sehr gut vom Brot allein, vom Konsum, von der Unterhaltung, von denen es heutzutage reichlich gibt. Und wenn es eine kleine Krise gibt, dann tut es meist eine verschwommene Form der Spiritualität: Es gibt irgendwas Größeres und die Oma ist jetzt ein Stern am Himmel. Warum versuchen wir es immer noch mit unserem komplizierten Christentum? Warum sagen wir immer noch „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“? Was haben wir denn den Menschen stattdessen anzubieten?

Der christliche Glaube ist im Wortsinn eine radikale Religion, das heißt eine, die an die Wurzeln geht, während viele Menschen unserer Zeit bevorzugt ihr Leben so gestalten, dass sie an der Oberfläche bleiben. Das ist leichter, aber es ist gefährlicher. Diese Haltung gleicht einem Reisenden, der in den Dschungel will. Weil es ihm aber zu mühsam ist, bereitet er sich nicht vor, informiert sich nicht über die Gefahren, die dort lauern, verzichtet auch auf einen erfahrenen Begleiter. Vielleicht hat er eine Zeitlang Glück und entgeht den Gefahren, doch wahrscheinlich werden sie ihn einholen. Doch nehmen wir einmal an, er hat ein Riesenglück und er kommt durch Zufall heil heraus und lacht über die, die sich vorbereitet haben. Wenn er ihnen allerdings zuhören würde, würde er erkennen, dass er das Beste verpasst hat, an vielen Schönheiten der Natur vorbeigelaufen ist, ohne sie wahrzunehmen, eben weil er unvorbereitet war. So ist es, wenn ich im Leben immer nur an der Oberfläche bleibe: es ist leichter, aber gefährlicher — und ärmer, man verpasst manchen Reichtum. Das Christentum ist radikal, weil es an die Wurzeln des Daseins geht. Wenn ich also unter die Oberfläche gehe, sind die Fragen, die dann aufbrechen, letztlich immer religiöse Fragen: Fragen nach dem Woher und Wohin des menschlichen Daseins. Jesus antwortet: Wir sind aus Gott, und er ist unser Ziel. Die Speise, die uns dorthin führt, ist er selbst, er gibt uns sich selbst zu essen. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern vom Wort Gottes, das in Jesus Mensch geworden, Fleisch geworden ist, wie es der Evangelist Johannes gesagt hat. Das Brot, das Jesus gibt, ist sein Fleisch, er selbst ist das lebendige Brot. Gott essen — so hat es Papst Benedikt einmal in einer Fronleichnamspredigt gesagt. Ist das dann nicht doch wieder zu banal, zu einfach, ja zu primitiv? Hier regt sich der Widerspruchsgeist des Menschen unserer Zeit. Das kann doch nicht sein! Ein Stück Brot — der lebendige Gott? Es ist wohl nicht nur eine Frage unserer Zeit, auch im Evangelium heißt es, dass sie stritten, wie das, was Jesus da sagt, möglich sein soll. Es ist irgendwie zu einfach, zu primitiv. Und doch ist es, wenn wir die Realität unserer Kirche ansehen, offensichtlich unendlich kompliziert. Man muss sich am Wochenende Zeit nehmen und die Eucharistiefeier besuchen, zurzeit muss man sich sogar noch anmelden, es wird immer schlimmer! Und dann soll man noch glauben, dass mir hier der menschgewordene Gott selbst begegnet, für mich zur Speise wird. Also doch viel verlangt. Ist das aber im Leben nicht immer so? Die tiefen Wahrheiten, die das Gelingen des Lebens lehren, klingen zunächst banal. Gute Freunde sind wichtig, man muss auch einmal bereit sein zu vergeben usw. Jeder weiß das, jeder kann das nachplappern, es klingt nach Binsenweisheiten. Das Schwierige und manchmal fast Unmögliche ist, es zu leben: einem Freund in schwierigen Zeiten die Treue zu halten, tatsächlich zu vergeben, wenn man verletzt ist. Die wichtigen Dinge klingen banal — und sind schwer zu leben. Ist es nicht in Bezug auf die Eucharistie ebenso? Gott essen — es klingt banal, zu banal. Es zu glauben, zu leben, zu praktizieren ist schwer.

Wie kann das gelingen? Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von allem, was der Herr spricht, heißt es in der ersten Lesung. Nach unserer Überzeugung ist dieses Wort Gottes, der Sohn Gottes Mensch geworden und schenkt sich uns — in dem Brot, das nur noch äußerlich Brot ist, in Wirklichkeit aber der menschgewordene Gott. Gott schenkt sich uns, wird zur Speise für uns — ohne Einschränkung, ohne Netz und doppelten Boden. Auf solche Hingabe kann ich nur vernünftig durch Hingabe meiner selbst antworten — oder indem ich mich verweigere. Halbe Sachen sind sinnlos. Das lehrt doch das Leben selbst. Wenn ein anderer mich liebt, kann ich durch Liebe antworten — oder muss ihn zurückweisen. Alle Unklarheiten schaffen nur Verletzungen, mehr als eine Zurückweisung. Gott schenkt sich uns — und will, dass wir uns auf ihn einlassen, ganz und gar. Das Ende der Rede in Kafarnaum, aus der wir im Evangelium nur einen Ausschnitt gehört haben, zeigt uns, was das heißt: Einige gehen weg. Die Apostel bleiben, weil Jesus — so sagt es Petrus — Worte des ewigen Lebens hat. Darum geht es: Jesus hören, bei ihm bleiben, auch wenn er mich herausfordert. So öffnet sich uns das Leben in seiner Tiefe und seinem Reichtum.

Viel leichter ist es, Gott zu vergessen und an der Oberfläche zu bleiben. Es ist leichter, aber gefährlicher — und ärmer. Das Christentum geht unter die Oberfläche: Gott schenkt sich uns im Brot der Eucharistie. Wir sind aus Gott und er ist unser Ziel, ja er ist die Speise auf unserem Weg. Gott essen — das klingt einfach, es ist nicht einfach zu leben, zu glauben. Wie immer im Leben.