Seien wir Zeugen der Hoffnung, nicht der Protokolle und Paragraphen!

Christi Himmelfahrt (Lesejahr A; Apg 1,1-11; Eph 1,17-23; Mt 28,16-20)

Ein kleines Häufchen nur, ein bisschen desolat, verunsichert — und die sollen Zeugen des Glaubens an den Auferstandenen sein. Nein, ich habe nicht unsere Situation beschrieben, sondern die der ersten Jünger. Auch hier waren die Glaubenden eine Minderheit, für die die meisten sich nicht interessierten, und dennoch oder deswegen hat Christus sie zu den Menschen gesandt: „Ihr seid meine Zeugen!“, ein Auftrag, der übrigens bis heute gilt. Sieh einer an! Und für was sind wir Zeugen? Für die Sorge um die Kirchensteuer, für Infektionsschutzkonzepte, für leere Kirchen, für eine Kirche, die peinlich ist, weil nicht immer alles so gut läuft – vorsichtig gesagt? Wofür sind wir Zeugen?

Sicher, wer in der Kirche ehren- oder hauptamtlich tätig ist, kennt die Klage, dass Verwaltung einen zu breiten Raum einnimmt, noch ein Papier, noch eine Regelung. Die gegenwärtige Krise hat es noch verschlimmert. Aber seien wir ehrlich: Ist uns das nicht auch ein bisschen recht? Ist es uns nicht lieber ein Protokoll zu verfassen, oder einer Bausache nachzugehen, als über den eigenen Glauben nachzudenken – oder noch schlimmer: sogar darüber zu reden? Das geht ja gar nicht, denn jeder muss ja selber wissen, was er glaubt, oder ob er zu Kirche geht usw. In den biblischen Texten des heutigen Tages steht übrigens das Gegenteil: Nicht jeder, wie er will, sondern: Ihr seid meine Zeugen – und zwar bis an die Grenzen der Welt! Was ist denn nun der Reichtum der Hoffnung, von dem die zweite Lesung spricht?

Hoffnung in irgendeiner Form braucht jeder Mensch, und hat jeder Mensch, auch wenn er sagt, er habe gar keine. Vereinfacht gesagt, scheint es mir heute in gewisser Hinsicht zwei vorherrschende Formen von Hoffnung zu geben – die auch in verschiedenen Abstufungen in unserer Kirche auftauchen, aber ganz gewiss nicht nur. Eine Variante der Hoffnung gründet darin, dass alles so bleibt, wie es ist. Diese Form kann man gerade auch in unserer Gesellschaft, die vor großen Herausforderungen steht, beobachten. Man wünscht sich, dass möglichst wenig sich verändert. Das gilt auch für unsere Kirche, nicht wenige wünschen sich, dass alles so bleibt, oder noch besser, dass es nie Veränderungen gegeben hätte, dass alles ist wie 1990 oder 1980, als die Kirchen noch voll waren, fast jede Kirchengemeinde ihren Pfarrer hatte usw. Hoffentlich bleibt alles, wenigstens solange ich es noch erlebe. Die andere Variante der Hoffnung setzt darauf, dass sich möglichst viel verändert, das Leben soll spannend bleiben, immer Neues bringen, das ist bereichernd und abwechslungsreich. In der Kirche gibt es diese Variante auch: Hoffentlich wird bald alles anders, moderner, liberaler usw. Die einen hoffen, dass möglichst alles so bleibt, die anderen, dass möglichst viel Bewegung und Veränderung geschieht – in der Kirche, aber auch außerhalb. Was völlig gegenteilig klingt, ist es meiner Ansicht nach nicht. Beide Hoffnungsvarianten berühren sich, haben etwas gemeinsam. Beide wissen oder ahnen wahrscheinlich eher, dass sie das Kostbare, das Entscheidende ihres Lebens nicht einfach sicher besitzen, die einen fürchten es durch Veränderung zu verlieren, die anderen wollen es in der Veränderung neu gewinnen und fürchten es im Stillstand zu verlieren. Doch beide Varianten haben ihre Tücken, denn das Leben ist nie einfach nur Stillstand, es gibt immer Veränderung, und es ist auch nie einfach nur Veränderung, es gibt immer auch Bleibendes und auch Zeiten des Stillstandes – oft bleibt gerade das Unangenehme. Der Reichtum der christlichen Hoffnung, von dem die zweite Lesung spricht, ist ein anderer. In beiden beschriebenen Varianten der Hoffnung liegt die – wahrscheinlich eher unbewusste – Ahnung, dass das Kostbare, das Entscheidende des Lebens nicht einfach sicherer Besitz ist – deshalb die Furcht, es durch Stillstand oder Veränderung zu verlieren –, aber irgendwie muss es doch zu mir gehören, sonst gäbe es keine Hoffnung. Das klingt vielleicht wie ein unauflösbarer Widerspruch, aber es gibt etwas in dieser Welt, das zu einem Menschen gehört, ihm Kraft gibt, aber eben keinesfalls ein sicherer Besitz ist, ja ihm leicht weggenommenen werden kann: das ist die Liebe. Doch niemals kann allein die Liebe eines Menschen das Kostbare, das wir haben und doch nicht haben, sein, sie ist zu schwach, zu brüchig. Könnte sie Grundlage der Hoffnung sein, dann wären die beiden beschriebenen Formen der Hoffnung seltener. Es ist die Liebe Gottes, von der das Evangelium berichtet, die allein diese Grundlage sein kann, des Gottes, der Mensch wird und unser Leben und Sterben teilt. Möglicherweise ist manchem der Begriff der Liebe an dieser Stelle zu emotional, wir können auch sagen: es geht um die uns zugesagte Nähe Gottes. Sie ist das Kostbare, das Bejaht-Sein durch alle Krisen hindurch und zugleich ist sie nie ein einfach Besitz des Menschen, es ist immer ein anderer, der sie uns schenkt, in jedem Augenblick bleibt sie Geschenk Gottes. Sein Tod ist das Siegel auf seiner Glaubwürdigkeit, er nimmt sie nicht zurück.

Dafür sind wir Zeugen. Nicht für Protokolle und Infektionsschutzkonzepte – all das gibt es auch, aber unsere Aufgabe ist eine andere: den Reichtum unserer Hoffnung zu zeigen. Manche gründen ihre Hoffnung darauf, dass sich viel verändert, andere darauf, dass alles so bleibt. Beides wird in Reinform so nicht geschehen. Letztlich steht dahinter die Ahnung, dass ich das Kostbare des Lebens brauche, um zu hoffen, aber es doch nie sicher besitzen kann. Dieses Kostbare ist die uns zugesagte Nähe Gottes. Sie ist uns geschenkt in jedem Augenblick, ein Bejaht-Sein meiner Existenz in jedem Augenblick, aber sie bleibt Geschenk. Trauen wir uns doch etwas von diesem Reichtum auszustrahlen, stehen wir zu unserem Glauben, das ist unser Auftrag: ihr seid meine Zeugen dafür! Bevor er in den Himmel aufgenommen wird, sagt Christus seinen Jüngern zu, bis zum Ende der Welt bei ihnen zu bleiben. Lassen Sie uns seinem Wort trauen und seine Zeugen sein!