Die Kirche – Zeugin der beharrlichen Suche nach Gott

Hochfest der Apostel Petrus und Paulus (Mt 16,13-19)

„Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen!“, sagt Jesus. Diese Worte stehen in der Kuppel der Peterskirche in Rom geschrieben, jenem weithin sichtbaren Meisterwerk Michelangelos. Was hier als triumphales Bild der Kirche erscheint, hat mit unserer Situation wenig zu tun. Die Kirche in Deutschland wirkt eher geschwächt, ja beinahe überwunden, man denke an die neuesten Austrittszahlen. Sie hat in den Augen der meisten Menschen ihre Glaubwürdigkeit mehr oder weniger vollständig verloren. Gibt es einen gangbaren Weg, diese Glaubwürdigkeit wieder aufzubauen?

Gewiss hat die Kirche – gerade auch in den letzten Jahren – Fehler gemacht und der Versuch manches unter dem Deckel zu halten hat es nicht gerade besser gemacht, dennoch erklärt das m.E. den massiven Verlust an Ansehen und Glaubwürdigkeit nicht. Nicht nur dass die Kirche zu allen Zeiten Fehler gemacht hat, sondern auch andere Institutionen in unserer Gesellschaft – wie Parteien oder Verbände – sind von diesem Verlust an Glaubwürdigkeit betroffen, so dass hier auch noch manches mit hineinspielen muss, was mit der Kirche nichts zu tun hat. Wir leben in einer Gesellschaft, die einem radikalen Individualismus huldigt, nur was der Einzelne will, zählt. Mehr und mehr Menschen pflegen eine spöttische Distanz zu altehrwürdigen Institutionen. Um es klar zu sagen: Es geht mir in keiner Weise darum, Fehler der Kirche zu verschweigen oder zu banalisieren, ich bin nur davon überzeugt, dass sie nicht ausreichen, um die gegenwärtige Stimmung zu erklären. Diese Fehler sind eher Anlass als Grund. Gleichzeitig wird eine bestimmte Deutung der Naturwissenschaften immer prägender, sie gipfelt in dem Satz: Ich glaube nur, was ich sehe. Gott, der nicht durch die körperlichen Sinne erfasst werden kann, fällt durch dieses Raster. Die Gottesfrage spielt im Leben der Menschen eine immer geringere Rolle.Wie kann die Kirche – auch und gerade angesichts ihrer bleibenden Unvollkommenheit – in einer solchen gesellschaftlichen Atmosphäre Glaubwürdigkeit wieder aufbauen?

Ich glaube, die Kirche, oder besser gesagt: wir als Kirche müssen mit Gelassenheit und Demut darauf reagieren. Es hilft nichts, diese Entwicklung zu beklagen, zumindest teilweise sind wir ja auch selbst schuld. Wir müssen dies nicht ängstlich, nicht panisch, nicht halb-beleidigt, sondern gelassen und demütig annehmen – auch im Vertrauen auf das Wort Jesu, dass er seine Kirche auf guten Felsen gegründet hat. Demut meint von seinem Wortursprung her Bereitschaft zu dienen. Wir müssen den Menschen mit dem dienen, was unser Hauptauftrag ist, nämlich ihnen dabei zu helfen, Gott zu suchen und zu finden. In einer Gesellschaft, die das Göttliche als nebulöse Kraft begreift oder auf die Frage nach Gott ganz verzichtet, müssen wir diese Frage stellen. Wir suchen Gott, und wir suchen ihn in Jesus Christus. „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“, fragt er die Jünger und auch uns. Gott ist größer als unser Blickwinkel, darum gelingt diese Suche nur in Gemeinschaft. Wo aber setzen wir an? Offensichtlich sehnen sich viele Menschen nach einer tiefen Bedeutung, man denke an die Inszenierung von Trauungen – auch solche, die nicht religiös gefeiert werden. Das Ja-Wort soll in dieser Situation irgendwie wichtiger sein, tiefere Bedeutung haben. Auch andere Rituale, feierliche Akte bezeugen diese Sehnsucht, z.B. wenn ein Mensch einem anderen ein Versprechen gibt. Warum soll ein Ja-Wort, ein Versprechen mehr an Bedeutung haben als ein gewöhnlich dahingesagtes Wort, gerade wenn dieses auch wirklich ehrlich gemeint ist? Woher soll diese tiefere Bedeutung kommen? Sie stammt nicht — salopp formuliert — aus dem Make-up der Teilnehmer und auch nicht vom teuren Essen. Diese tiefere Bedeutung kann nur von Gott kommen, ja sie ist in gewisser Weise Gott selbst. Ohne ihn bleibt das Ganze ein leerer Anspruch ohne Wirklichkeit. Egal wie feierlich ich ein Ja-Wort oder eine Zeremonie gestalte, das Ganze bliebe ohne die Tiefe, die der Mensch offensichtlich braucht – wenn es Gott nicht gäbe. Dass der Mensch ohne solche Feierlichkeit in seinem Leben letztlich nicht auskommt, zeigt, dass er ohne Gott letztlich nicht auskommt. Ein Versprechen ist eben dann ein Versprechen, wenn es – bewusst oder unbewusst – vor Gott gegeben ist, der diese Welt hält und die Wahrheit selbst ist.

Ein anderes Beispiel: Die Menschen sind der letzten, schlechthin gültigen Wahrheiten, wie man sie in Religionen antrifft, müde geworden. Was haben sie denn gebracht außer Krieg und Enttäuschung? Sei es im Bereich der Religion oder der Weltanschauungen von rechts oder links, der Streit um solche letzten Wahrheiten hat der Welt viel Gewalt gebracht – und bringt sie bis heute, man denke an die Terroranschläge der letzten Jahre. Dass die Menschen genug von den letzten Wahrheiten haben, liegt – so bin ich überzeugt – auch an dieser Enttäuschung über den Menschen. Er ist nun einmal voller Fehler und Irrtümer, sein Anspruch, irrtumslose Wahrheiten zu verkünden, hat ihn nur dem Abgrund näher gebracht. Aber genau das ist doch die entscheidende Erkenntnis: Fehler und Irrtümer zu erkennen heißt doch Wahrheit zu erkennen! Ich kann nur etwas als Fehler erkennen, wenn ich auch um die Wahrheit weiß. Wer keine Kommaregeln kennt, wird auch einen Kommafehler als solchen nicht erkennen. Wenn wir also sagen, dass der Mensch im Ringen um die letzte, schlechthin gültige Wahrheit sich vieler Fehler und Irrtümer schuldig gemacht hat und macht, dann bedeutet das, dass wir doch auch irgendwie um eine letzte Wahrheit wissen, sonst könnten wir keinen Fehler erkennen. Der Mensch hat eine unbedingte Würde, deshalb ist es falsch, ihn zu zwingen, auch wenn ich meine, er sei im Irrtum. Diese letzte Wahrheit, die wir entdecken, nicht machen, ist wieder ein Fingerzeig auf Gott hin.

Nur indem die Kirche so die Frage nach Gott immer wieder aufwirft, kann sie etwas von ihrer Glaubwürdigkeit wieder gewinnen. Nicht ängstlich, nicht panisch, nicht halb-beleidigt, sondern eben gelassen und demütig müssen wir dem nachgehen, was unsere Hauptaufgabe ist: den Menschen zu helfen, Gott zu suchen und zu finden. Die Sehnsucht des Menschen nach einer tieferen Bedeutung, die man an feierlichen Zeremonien und Versprechen ablesen kann, ist letztlich die Sehnsucht nach Gott. Die Einsicht, dass Gewalt um der Wahrheit willen falsch ist, zeigt, dass wir eine Ahnung haben von letzter Wahrheit — von der unbedingten Würde des Menschen, die wir nicht machen, nur entdecken und die uns auf Gott hinweist. Versuchen wir aufs Neue dem Wort Jesu zu trauen: dass er seine Kirche auf guten Felsen gegründet hat.