Ich selbst bin die Fülle, die Gott mir schenkt!

17. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B, Joh 6,1-15)

Wenn es nur so einfach wäre … Tausende Hungernde mit fünf Broten und zwei Fischen zu verköstigen! Und zwölf Körbe voll bleiben übrig! Ja, auch im übertragenen Sinne wäre es immer noch ein Wunder, wenn wir eine solche Fülle an Lebenssinn, -Mut und Zuversicht finden könnten. Die Wirklichkeit sieht meist anders aus … Wo ist die Fülle, die das Wunder der Brotvermehrung verspricht?

Wir strecken die Hand aus und bitten Gott, uns eben diese Fülle zu schenken. Enttäusche uns nicht! Zeige, dass du auch heute noch wirken kannst! Also, was ist nun, Gott? Wir strecken die Hand aus, doch sie bleibt leer, die Enttäuschung wächst. Gott — also doch nur ein Reinfall. Dabei übersehen wir etwas Entscheidendes. Wir blicken auf die leere Hand, die durch kein Wunder gefüllt ist — und übersehen das eigentliche Wunder. Ich selbst bin die Fülle, die Gott mir schenkt! Dass ich da bin, mit allen Möglichkeiten, mit Stärken und Schwächen, dass ich diese Mischung bin, die es kein zweites Mal auf dieser Welt gibt — das ist das Wunder, das Gott mir gibt. Ich bin die Fülle, die er schenkt, ich selbst bin Gottes Geschenk an mich. Ich weiß, dieses Leben hält nicht nur Freude bereit, dass ich ich bin, kann auch zur Last werden, man ist enttäuscht und wütend über das eigene Versagen, die eigenen Grenzen oder das Schicksal, das einen ereilt, ohne dass man etwas dafür kann. Doch bleiben wir beim Wunder der Brotvermehrung. Die Leute haben von Jesus keinen Zauberstab bekommen, der alle Probleme beseitigt. Zur Erinnerung: Sie haben ein Stück Brot bzw. ein Stück Fisch bekommen. Sie haben also etwas bekommen, das sie nährt, dass dieses Geschenk des Lebens, das sie selbst sind, erhält. Sie selbst sind letztlich die Fülle, die Gott ihnen schenkt.

Doch sehen wir genauer hin: woran merke ich, dass mein Leben ein Geschenk Gottes ist? Wenn man über das eigene Leben anfängt nachzudenken, liegt das oft daran, dass dieses Leben eben nicht als Geschenk, sondern als Last erfahren wird — und Gott, wenn man denn nach ihm fragt, als abwesend. Am Ende des heutigen Evangeliums heißt es, dass Jesus sich der Masse entzieht, es klingt regelrecht nach einer Flucht, er fürchtet, dass sie ihn in ihre Gewalt bringen könnten. Ist es nicht in unserem Leben auch so? Wenn man an Gott denkt, dann möchte man ihn in die eigene Verfügungsgewalt bringen. Jetzt hast du mir angeblich dieses Leben geschenkt, nun sieh zu, wie du mir hilfst. So funktioniert es nicht im Evangelium, so funktioniert es — seien wir ehrlich — auch nicht mit einem Geschenk. Stellen Sie sich vor, Sie schenken jemandem etwas, es ist ein gutes, kostbares Geschenk, der Beschenkte freut sich daran — kommt dann aber täglich, weil ihm die Bedienungsanleitung zu kompliziert ist, weil ihm die Funktionsweise nicht passt usw. Sie werden das bald satt haben. Ein Geschenk zu bekommen stellt auch in die Freiheit es selbst zu nutzen, es wirklich in der Hand zu haben. Dass wir in unserem Leben die Freiheit haben, dieses Leben zu leben, dass Gott nicht als Dauer-Aufsicht, die Verantwortung abnimmt, bereitsteht, das ist eben das Wesen eines Geschenks.

Aber heißt das nun wirklich, dass das Leben ein Geschenk ist? Man könnte auch sagen, irgendwie bin ich in den Besitz dessen gekommen, was man Leben nennt, es ist sozusagen eine formbare Masse, und ich kann was draus machen. Die Vorstellung, dass es ein Geschenk ist und dass dann auch ein Geber dieser Gabe — Gott genannt — existiert, diese Vorstellung brauche ich nicht. So denken heutzutage wohl viele. Die Wirklichkeit des Lebens sieht allerdings anders aus. Ich habe bestimmte Begabungen, die ich entfalten kann. Je genauer ich meine Begabungen in den Blick nehme, desto mehr empfinde ich gewissermaßen eine Art Auftrag in ihnen. Ich muss das irgendwie machen, es wäre sonst eine Verschwendung. Wahrscheinlich sieht jeder Künstler das so. In den Talenten liegt ein Auftrag — oder aus dem Glauben gesprochen: eine Berufung. Wo ein Auftrag ist, ist ein Auftraggeber, wo eine Berufung, ist einer, der ruft. Wer soll das sein — außer Gott?

Das Leben fordert uns manches ab, die Dinge gehen oft nicht so, wie man es gern hätte. Man muss neu beginnen, neue Seiten an sich entdecken, vielleicht weil man einen anderen Beruf beginnt oder weil man sich nach einem Schicksalsschlag neu orientieren musste, und man denkt: Ich hätte nie gedacht, dass ich das kann! Das ist auch ein Fingerzeig, dass das Leben ein Geschenk ist, denn so geht man mit einem kostbaren Geschenk um. Man wirft es nicht einfach weg, man repariert es oder dreht es um, damit der kleine Schaden nicht sichtbar ist. Ein wichtiges Buch liest man vielleicht erneut und entdeckt andere Einzelheiten. Man könnte entgegnen, das kann ich auch mit etwas tun, das ich gefunden habe, das ich mir selbst gekauft habe, da brauche ich keinen ominösen Geber dieser Gabe erfinden. Ich sage, das stimmt so nicht. Wenn ich so umgehe mit etwas, das ich gefunden oder selbst gekauft habe, dann stelle ich mir — bewusst oder unbewusst — vor, dass ich das finden oder kaufen musste, dass ich irgendwie damit gemeint bin, so als wäre das Buch, das ich gekauft habe, vor allem für mich geschrieben. Wenn ich solche Sorgfalt walten lasse, tue ich wenigstens so, als wäre es ein Geschenk.

Ich selbst bin die Fülle, die Gott schenkt, ich selbst bin Gottes Geschenk an mich! Das ist manchmal mühsam, aber ein Geschenk zu bekommen stellt auch in die Freiheit es selbst zu nutzen, Gott ist nicht die Dauer-Aufsicht, die einfach bereitsteht. In unseren Begabungen und Möglichkeiten liegt eben doch ein Auftrag, eine Berufung, auch dies verweist auf Gott, der uns ruft. Im Leben ist es erforderlich immer wieder neue Seiten an sich zu entdecken, so geht man mit einem Geschenk um. Wenn man das bei etwas Gekauftem tut, stellt man sich unwillkürlich vor, man sei damit gemeint, irgendwie sei es ein Geschenk an mich. Irgendwie glaube ich an Gott, irgendwie ist das Leben ein Geschenk … Hören wir mit dem ewigen „Irgendwie“ auf und bekennen: Gott ist es, der uns dieses Leben geschenkt hat.