Der Glaube macht das Leben bunt und spannend

3. Adventssonntag (Lesejahr C; Lk, 3,10-18)

„Gaudete“ — freut euch! Für die meisten Menschen ist das wahrscheinlich nur noch bittere Ironie — um es vorsichtig zu sagen —, einen solchen Aufruf mit dem christlichen Gauben zu verbinden. Wie begegnet denn Kirche in der Öffentlichkeit? Ein paar langweilige alte Männer, die vor lauter Angst, was Falsches zu sagen, etwas, das anecken könnte, am liebsten gar nichts mehr sagen — jedenfalls nichts, das hinzuhören sich lohnen würde. Christlicher Glaube erscheint als eine altbackene Sammlung von Ratschlägen aus Omas Bibliothek. Auf den ersten Blick scheint das Evangelium diesen Eindruck zu bestätigen. Ein bisschen teilen, niemanden erpressen oder misshandeln — das sind die Ratschläge des Täufers. Das haut heutzutage niemanden um. Ist das also unsere Botschaft — langweilig, uninteressant, unspannend?

Hören wir dem Evangelium genau zu, fällt auf, dass die Botschaft des Täufers gar nicht die eigentliche Botschaft ist, er ist — nach eigenen Worten — nur der, der den Weg bereitet. Er erinnert nur an die grundsätzlich jedem vernünftigen Menschen zugänglichen Regeln des Zusammenlebens. Wenn ich diese ernst nehme, kann ich allerdings der Erkenntnis nicht ausweichen, dass diese Regeln oft genug nicht gelebt werden — auch nicht von mir —, dann bricht eine Sehnsucht auf, die Welt möge anders sein. Und hier folgt der zweite Teil der Botschaft des Täufers. Es kommt der, der die Welt heilen und verändern will. Der, der mit Feuer tauft, nicht nur mit Wasser. Und daraus wird die originellste Botschaft aller Zeiten, etwas, das vorher und nachher niemand verkündet hat: dass Gott selbst ein Mensch wird! Dass Gott selbst kommt, um zu heilen und zu vollenden, nicht als Zaubertrick, denn er achtet die Freiheit, die er uns gegeben hat, sondern als Weg, auf den er uns unermüdlich einlädt. Was ist geschehen, dass diese Botschaft abgestumpft und langweilig wirkt?

Es ist unbestritten, dass die Botschaft von der Menschwerdung Gottes in keiner anderen Religion so vorkommt, während heute gängige Überzeugungen, dass man vor allem das Leben genießen solle, keinerlei Originalität beanspruchen können, denn das verkündete beispielsweise schon der griechische Philosoph Epikur, der um das Jahr 300 v. Chr. lebte. Ohne an dieser Stelle mehr als zwei Jahrtausende Geschichte behandeln zu können — was mir tatsächlich Freude machen würde, Ihnen wohl weniger —, bleibt doch die geradezu drängende Frage, warum der christliche Glaube als Hindernis gilt, das Leben in spannender und bunter Weise zu leben — anstatt als Feuertaufe für das wahre Leben gesehen zu werden?!

Das Leben in bunter und spannender Weise zu leben heißt heute für viele, vieles zu erleben, vielen Menschen zu begegnen, viele Orte dieser Welt gesehen und vieles ausprobiert zu haben. Nun gibt es zweierlei Möglichkeiten Menschen kennen zu lernen. Man kann vielen begegnen, kann ein paar Sätze mit ihnen wechseln — und dann weiterziehen. Mann kann auch in Verbindung bleiben, etwas zusammen erleben usw. Doch der andere ist dann nur „Gesellschaft“ für mich, er gibt den Rahmen ab, ohne den das Erlebnis nicht möglich wäre. Man muss sich fragen, wäre der Abend nicht genauso lustig, wenn ein anderer da wäre — Hauptsache, er hat einen ähnlichen Humor? Es gibt auch noch eine andere Weise, Menschen kennen zu lernen: sich auf den anderen wirklich einzulassen, von dem zu hören, was ihn umtreibt, was ihm Angst macht. Das ist komplizierter, anspruchsvoller und wird auch nicht so oft gelingen. Und es ist gefährlicher. Der andere könnte dann auch in seiner Not zu mir kommen, Beistand wollen. Er könnte sagen: Du verstehst mich doch. Oder ich könnte Dinge erfahren, die ich gar nicht wissen möchte — auch weil sie mich an eigene dunkle Flecken, die ich lieber nicht sehen möchte, erinnern. Die zweite Weise Menschen kennen zu lernen ist anspruchsvoller, tiefer, gefährlicher — aber ist sie nicht auch lohnenswerter? Ist das nicht die Tiefe und der Reichtum, der das Leben wirklich bunt und spannend macht?

Der christliche Glaube lädt zu dieser zweiten Weise ein, Menschen kennen zu lernen. Romano Guardini hat einmal gesagt, dass der Mensch die Sprache ist, in der Gott sich aussagen kann. Der Mensch als Ebenbild Gottes hat eine Tiefe in sich, in der Gott Mensch werden konnte. Dieser Tiefe zu begegnen — ist das nicht um ein Vielfaches spannender als nochmal 500 Urlaubsfotos an einem exotischen Ort gemacht zu haben? Ich will nicht behaupten, dass der christliche Glaube allein ermutigt, dem Menschen in dieser Weise zu begegnen, aber er tut es in besonderer Weise, weil er von dieser Tiefe jedes Menschen überzeugt ist — sie gehört gewissermaßen zu unseren Glaubensüberzeugungen. Und der Glaube gibt uns zugleich einen Halt. Wie schon gesagt, diese Weise, sich auf den Menschen in seiner Tiefe einzulassen, ist auch gefährlich, mancher Abgrund lauert da — gerade wenn ich mich auf den anderen in persönlicher Weise einlasse und nicht aus der professionellen Distanz eines Therapeuten. Die frohe Botschaft des christlichen Glaubens verheißt uns, dass dieser Abgrund — so bedrohlich er auch manchmal erscheint — uns nicht verschlingen wird, sondern im Letzten ein Abgrund der Liebe ist, die Gott selbst ist. In der Armut und Trostlosigkeit der Hirten von Bethlehem singen die Engel ihr himmlisches Gloria, in der Dunkelheit und Verlassenheit des Grabes des Gekreuzigten geschieht Auferstehung, beginnt das neue Leben.

Und dennoch wird der christliche Glaube weithin als unspannend, langweilig und uninteressant wahrgenommen — wozu wir als Kirche durch unser Auftreten sicher unseren Teil beitragen. Eigentlich ist die Botschaft von der Menschwerdung Gottes zutiefst originell, nirgends sonst verkündet. Gerade sie ermutigt, die Tiefe und Buntheit des Lebens zu entdecken. Man kann Menschen an der Oberfläche kennen lernen, so dass sie ersetzbar durch andere bleiben — oder man kann sie in der Tiefe kennen lernen, auch wenn das anspruchsvoller und gefährlicher ist. Aber ist das nicht das Spannendere, Interessantere? Der Glaube lädt zu diesem Weg ein, er ist von der Tiefe jedes Menschen überzeugt, denn in diese Tiefe hinein konnte Gott sich aussagen, indem er einer von uns geworden ist. Und zugleich gibt uns der Glaube auf dieser spannenden Reise Halt, denn kein Abgrund, der sich auftut, wird uns verschlingen, sondern ist im Letzten ein Abgrund der Liebe. Im armseligen Stall warten die himmlischen Chöre.