Es gibt keine innere Freiheit ohne Gott
3. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B; 1 Kor 7,29-31; Mk 1,14-20)
Heutzutage gibt es ganze Berufsgruppen, die sich damit beschäftigen, wie man bestimmte Botschaften an den Mann bzw. an die Frau bringt. Dagegen wirkt das heutige Evangelium ganz schlicht. „Kehrt um, glaubt an das Evangelium, das Reich Gottes ist nahe!“ Und offensichtlich wirkt es, die beiden Brüderpaare lassen alles liegen und stehen und folgen Jesus. Was erwarten sie von ihrer Zukunft, was denken sie, wird auf sie zukommen? Hätten sie sich auf ihn eingelassen, wenn sie das Ende am Kreuz schon gekannt hätten, wenn sie um die ganze Geschichte gewusst hätten? Wir sind in dieser Situation, wir kennen die ganze Geschichte und lassen uns doch auf Jesus ein — oder nicht? Vielleicht ist es auch nur Gewohnheit. Gerade in der momentanen Krisenzeit liegt die Frage doch nahe, die Frage die sich die Jünger — vielleicht — auch gestellt haben: was erwarten wir von der Zukunft?
Das Problem mit unseren Erwartungen ist, dass sie häufig enttäuscht werden. Manchmal merkt man erst an der Enttäuschung, dass man bestimmte Erwartungen hatte. Mancher sagte sich möglicherweise zu Beginn des vergangenen Jahres, ich habe eigentlich keine Erwartungen — und die gegenwärtige Krise zeigt ihm, dass er eben doch welche hatte, denn diese Krise hatte wohl niemand erwartet. Erwartungen sind oft etwas Unausgesprochenes, Unklares — erst in der Krise zeigt sich, dass man etwas anderes, Besseres erwartet hatte. Wir alle erwarten etwas von der Zukunft: Gesundheit, Wohlbefinden usw. Irgendwie klappt das bestenfalls teilweise.
Was erwarten die Jünger Jesu? Wir wissen nur, was Jesus ihnen anbietet: Das Reich Gottes ist nahe. Das bedeutet: Gottes Herrschaft, Gottes Wirken bricht in dieser Zeit in nie zuvor dagewesener Weise an. Langsam, aber unaufhaltsam. Jesus lehrt, nicht etwas von der Zukunft zu erwarten, sondern jemanden: Gott, der in Jesus begegnet. Das scheint mir ein wichtiger Anstoß auch für unsere Zeit zu sein: Glauben bedeutet eben nicht einfach, etwas von der Zukunft zu erwarten, sondern jemanden: Christus. Gewiss gehört es zu unserem Glauben, dass der Herr am Ende der Zeiten wiederkommen wird, aber es geht darum, diese Erwartung des Herrn nicht einfach nur ans Ende der Zeiten zu verlegen, sondern ihn im Jetzt zu suchen. Das Reich Gottes kommt nicht am Ende der Zeiten, sondern es bricht jetzt an, lautet Jesu Botschaft. In einer kleinen Geschichte fragt ein Sterbender einen Arzt, was ihn auf der anderen Seite erwarten würde. Der Arzt antwortet, dass er es nicht wisse. Dann lässt er seinen Hund ins Zimmer, der mit ihm gekommen ist und ihn freudig begrüßt. Dann sagt der Arzt: „Lernen Sie etwas von dem Hund. Er wusste nicht, was auf der anderen Seite der Tür ist, was das für ein Zimmer ist, aber er wusste, dass sein Herr dort ist, deshalb freute er sich. Ich weiß nicht, was nach dem Tod ist, aber ich glaube, dass mein Herr auf der anderen Seite wartet.“ Ich glaube, wir brauchen diese Haltung nicht nur im Sterben, sondern schon jetzt. Gewiss haben wir alle Erwartungen für die Zukunft, das gehört zum Menschsein, das Beispiel der Pandemie zeigt ja, dass diese Erwartungen manchmal mehr oder weniger unbewusst sind, erst wenn sie enttäuscht werden, versteht man sie. Doch im Glauben geht es letztlich nicht darum, etwas zu erwarten, sondern jemanden: Christus, unseren Herrn. In all den Auseinandersetzungen, die das Leben bietet, in all den enttäuschten Erwartungen gilt es immer wieder zu fragen: wo ist der Herr? Was hat er mir jetzt zu sagen? Vielleicht, dass ich einmal einen Gang runterschalte, vielleicht auch, dass ich manchmal mich nicht heraushalten sollte, vielleicht dass ich umkehren muss. Es braucht Stille, es braucht Gebet. Es geht nicht darum, Krisen und Leiden zu überhöhen, sondern in allen Höhen und Tiefen, in den guten wie in den schlechten Tagen immer wieder den Herrn zu suchen. Glauben heißt nicht einfach etwas von der Zukunft zu erwarten, sondern jemanden: Christus.
Diese Bereitschaft Christus zu suchen und zu erwarten zeigt sich für mich in besonderer Weise in der neutestamentlichen Lesung, die wir gehört haben. „ … wer sich die Welt zunutze macht, als nutze er sie nicht, denn die Gestalt dieser Welt vergeht.“ Paulus meint damit nicht eine Art Dämmerzustand ohne echte Gefühle, dazu war er ein viel zu leidenschaftlicher Mann, man spürt es regelrecht, wenn man seine Briefe liest, da gab es noch kein weichgespültes Wohlfühl-Christentum, in dem jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden muss, nein, ich denke, es geht ihm um innere Freiheit. Natürlich lebe ich in der Welt, ich kaufe, ich weine, ich lache — aber all das hat nicht die letzte Schärfe, denn ich erwarte nicht etwas von dieser Welt, denn diese Welt vergeht, ich erwarte jemanden: Christus, er ist der Bleibende. Letztlich brauchen wir alle etwas von dieser inneren Freiheit, um leben zu können, um mit Enttäuschungen fertig zu werden, auch der, der nicht glaubt. Der wird vielleicht sagen, diese innere Freiheit gibt es auch ohne Gott. Das halte ich für einen Irrtum. Der Philosoph Albert Camus sagte einst, es gibt keinen Sinn im Leben — und eben das ist der Sinn. Wir Menschen können nicht aus dem Negativen, der Ablehnung leben. Wir brauchen das Positive, das Ja. Glauben wir nicht an einen Sinn, müssen wir uns doch einreden, es sei der Sinn, dass es keinen Sinn gibt. Wir können diese innere Freiheit nur leben, wenn wir sozusagen von etwas Größerem als diese Welt ausgehen, etwas Höherem, das uns erlaubt die Welt gewissermaßen von oben zu betrachten. Wer soll das sein außer Gott? Es gibt — bewusst oder unbewusst — keine innere Freiheit ohne Gott.
Glauben heißt letztlich nicht etwas von der Zukunft zu erwarten, sondern jemanden: Christus. Gewiss haben wir alle unsere Erwartungen, die auch oft genug enttäuscht werden, aber für uns als Glaubende ist das nicht das Letzte. In den Höhen und Tiefen gilt es immer wieder zu fragen: wo ist der Herr? Es braucht dazu eine innere Freiheit, wie sie Paulus beschreibt. Doch dafür ist etwas Größeres als die Welt Voraussetzung, eine höhere Warte, von der aus ich die Welt betrachten kann, der Mensch kann nicht nur von der Ablehnung leben. Innere Freiheit gibt es nur mit Gott.