Die göttliche Botschaft berührt uns nur durch das Menschsein, nicht an ihm vorbei

4. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B; Dtn 18, 15–20; Mk 1, 21–28)

Menschen waren erstaunt, Menschen waren erschrocken, fragten einander, was geschehen ist. Und was war geschehen? Jesus lehrte. Während eines ganz normalen wöchentlichen Gottesdienstes in der Synagoge. Aha. Sieh einer an. Heutzutage scheint das kaum noch vorstellbar. Für nicht wenige Menschen gibt es wahrscheinlich nichts Langweiligeres als religiöse Lehre in einem Gottesdienst — außer man verwandelt das Ganze in eine Art Kabarett-Nummer, dann hat es wenigstens den Vorteil, keinen Eintritt zu kosten. Und nein, es war nicht die Heilung, die all das auslöste. Schon vor der Heilung heißt es, dass die Menschen in Staunen gerieten. Hier lehrt einer, der ganz anders ist als die Schriftgelehrten. Jesus lehrt mit Vollmacht. „Eine neue Lehre mit Vollmacht“ — leider überliefert der Evangelist uns an dieser Stelle nicht, was Jesus gesagt hat. So könnten wir wohl leichter die entscheidende Frage beantworten: Was müsste geschehen, dass auch heute unser Glaube so wahrgenommen wird — als eine neue Lehre, die mit Vollmacht verkündet wird?

Mir ist durchaus klar, dass die Frage sehr vereinfacht. Jesus lebte in ganz anderen Zeiten und Umständen, für die Menschen damals war Religion ein selbstverständlicher und unverzichtbarer Teil des Lebens, während sie für viele Menschen der westlichen Welt keine Rolle spielt — und doch, es lohnt sich ein wenig genauer hinzusehen, ohne sich gleich ein Wunder zu versprechen. Kirchliche Äußerungen werden heute eher nicht mit Staunen aufgenommen, sondern häufig mit Gleichgültigkeit. Oft scheinen sie mir auch nur ein Echo dessen zu sein, was in der Gesellschaft ohnehin gerade angesagt ist. Ein bisschen zugespitzt gesagt: man hört das, was man mehr oder weniger überall hören kann. So gibt sich die Kirche das gute Gefühl, gesellschaftlich von Bedeutung zu sein, mehr aber auch nicht. Es gibt auch noch eine andere Neigung, die in Opposition zur bisher genannten steht. Man liest sozusagen den Katechismus vor — wohl wissend, dass das bei vielen auf Befremden stößt, aber immerhin hat man das gute Gefühl, die reine Lehre verkündet zu haben, mehr aber auch nicht. Beides stößt auf taube Ohren und scheint mir mit dem, was Jesus in Kafarnaum tut, wenig zu tun zu haben. Was bleibt uns also?

In der alttestamentlichen Lesung kündet Mose dem Volk Israel einen neuen Propheten an. Die Begründung, die Mose gibt, ist interessant. Das Volk kann es nicht ertragen, Gott selbst zu begegnen — und wenn es nur unter den gewaltigen Zeichen von Feuer und Donner ist. Deshalb braucht es gewissermaßen die menschliche Verhüllung, um die Botschaft Gottes zu ertragen. Heutzutage argumentiert man eher andersrum. Weil Gott unfassbar ist, kann seine Botschaft nicht verbindlich in Menschengestalt begegnen. Mose sagt hingegen: Weil Gott unfassbar ist, muss sich seine Botschaft in Menschengestalt verhüllen, um von uns angenommen zu werden. Das scheint mir eine wichtige Anregung zu sein. Die Botschaft, die wir zu sagen haben, kommt in Menschen mit Stärken und Schwächen, Menschen, die die Verkündigung natürlich auch durch ihre Persönlichkeit prägen — was immer Vor- und Nachteile hat. Das ist nichts, was uns peinlich sein muss, das ist nichts, wofür wir in vorauseilendem Gehorsam schon um Vergebung bitten müssten. Gewiss muss die Kirche um Vergebung bitten, Vertreter der Kirche haben Verbrechen begangen und das hat unsere Glaubwürdigkeit in den Augen vieler zerstört. Das kann und soll nicht verschwiegen oder verharmlost werden. Aber mir geht es an dieser Stelle um eine grundsätzlichere Ebene. Dass unsere Botschaft immer von Menschen mit Stärken und Schwächen, mit ganz individueller Note verkündet wird, ist nichts, wofür wir schon im Voraus um Vergebung bitten müssen, ist nichts, was die Verbindlichkeit unserer Botschaft einschränkt. Es ist der Weg, den Gott selbst gewählt hat. Wenn Kirche heute verkündet, muss — so glaube ich — Folgendes gegeben sein: das unspektakuläre Wissen um die eigenen Stärken u n d Schwächen, ein Selbstbewusstsein, dass aus der Botschaft, die ich zu sagen habe, kommt und die Fähigkeit, gesellschaftliche Entwicklungen aus dieser Botschaft heraus verständlich zu deuten, also einen Blickwinkel beizusteuern, der sonst nicht zu hören ist.

Im Evangelium des heutigen Sonntags hat die Verkündigung Jesu auch ganz persönliche Folgen für einen Menschen, der von der Last, die ihn quält, geheilt wird. Auch heute suchen Menschen im Glauben Heilung. Für den Mann im Evangelium war diese Heilung keine einfache Erfahrung. Die Einsicht, dass die Botschaft des Glaubens uns immer in menschlicher Gestalt mit Stärken und  Schwächen begegnet, zeigt uns auch hier etwas. Heilung im Glauben finde ich nicht, wenn ich vor mir selbst davon laufe. Halt und Stütze und auch Heilung, wenngleich meist im Sinne eines lebenslangen Weges, finde ich nur, wenn ich mich mir selbst stelle — mit meinen Fehlern und Schwächen, mit Höhen und Tiefen. Die Botschaft des Heils berührt nur durch das Menschsein hindurch — nicht daran vorbei, auch nicht an unserem eigenen Menschsein vorbei.

Manchmal suchen wir auch Orientierung bei Menschen, die wir bewundern, hören einen klugen Rat, der uns weiterhilft. Und dann kommt es vor, dass man von eben diesem Menschen enttäuscht wird, und man fragt sich, war es richtig, auf seinen Rat zu hören? Auch hier müssen wir uns erinnern: die Botschaft des Lebens berührt uns nur durch das Menschsein, nicht an ihm vorbei. Sie begegnet uns in Menschen aus Fleisch und Blut, mit Stärken u n d Schwächen. Es ist gerade der Glaube an Gott, der uns durch das Menschsein berührt, der uns das notwendige Zutrauen geben kann, einen guten Rat anzunehmen oder wenigstens zu bedenken — auch wenn der Mensch, der ihn ausspricht alles andere als vollkommen ist.

„Eine neue Lehre mit Vollmacht“ — so wird kirchliche Verkündigung heutzutage kaum mehr wahrgenommen. Die biblischen Texte, die wir bedacht haben, erinnern uns daran, dass die göttliche Botschaft in Menschen aus Fleisch und Blut, Menschen mit Stärken u n d Schwächen begegnet. Kirche darf das ruhig eingestehen, ihr Selbstbewusstsein sollte aus ihrer Botschaft kommen, so dass sie gesellschaftliche Entwicklungen aus dieser heraus deuten kann — und so einen Blickwinkel beisteuert, der sonst nicht zu erleben ist. Diesen Anstoß sollten wir auch ganz persönlich beherzigen, wenn wir Heilung oder einen Rat suchen. Heilung finden wir nicht, wenn wir uns selbst ausweichen, und einen guten Rat können wir finden, auch wenn der andere nicht vollkommen ist. Die göttliche Botschaft berührt uns nur durch das Menschsein, nicht an ihm vorbei.