Wichtiges ist kompliziert, weil das Leben kompliziert ist

Kirchweihfest (1 Petr 2,4-9; Joh 4,19-24)

Vor einer Woche hat Papst Franziskus die Weltbischofssynode in Rom eröffnet. Die Versammlung in Rom soll Auftakt zu einem zweijährigen Weg sein, auf dem Grundfragen des Kirche-Seins besprochen werden. Es ist auch auf weltkirchlicher Ebene offenkundig, dass Kirche in schweres Fahrwasser geraten ist. Gibt es also am Kirchweihfest überhaupt noch etwas zu feiern? Wenn man die biblischen Texte des Kirchweihfestes hört, mag man sich fragen, ob wir nicht einfach zu kompliziert, zu schwierig geworden sind. War die Frohe Botschaft nicht ursprünglich etwas Schlichtes, tatsächlich Frohes? Stattdessen ist von geistigen Opfern die Rede, die wir darbringen sollen. Und Jesus belehrt die arme Samariterin, dass die wahren Beter Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten sollen. Sieh einer an. Ist ein Grund für die Misere, dass wir zu kompliziert, zu verschwurbelt geworden sind? Wo bleibt, die einfache, wahrhaft Frohe Botschaft?

An schlichten Botschaften mangelt es ja wirklich nicht in unserer Gesellschaft. Man hat mehr und mehr den Eindruck, dass die Aufmerksamkeitsspanne von immer mehr Menschen nicht über die eines grellen, einmütigen Internetfilmchens hinausreicht. Wie wir auf dieser Weise den Herausforderungen einer immer unübersichtlicheren Welt im 21. Jahrhundert gewachsen sein sollen, ist mir — offen gestanden — schleierhaft. Interessanterweise gibt es dann aber doch eine Situation, in der Menschen ganz plötzlich sehr direkt komplexe, vielschichtige Lösungen einfordern: dann nämlich, wenn es um ihre eigenen Bedürfnisse geht — beispielsweise vor Gericht. Dann reicht die einfache Schablone, die in eine knackige Botschaft gefasst werden kann, plötzlich nicht mehr aus, dann fordert man, dass doch die eigene Situation berücksichtigt werden müsse usw. Dann braucht es doch vielschichtige Modelle, die auch der eigenen Situation eine angemessene Lösung versprechen. Einerseits jammert man über komplizierte Gesetze, anderseits möchte man natürlich, dass auch der ganz persönliche Einzelfall berücksichtigt ist, so dass man ggf. Recht bekommt. Mit einem netten Schlagwort als rechtliche Regelung wird das nicht gelingen. Das Beispiel zeigt: Wichtiges ist kompliziert, weil das Leben kompliziert ist.

Ein Haus mit den Bauklötzchen eines Kindes zu errichten, ist im wörtlichen Sinne ein Kinderspiel, wohl jeder kann es. Aber ein Haus, in dem man wirklich wohnen kann, zu bauen, das ist eine kompliziertere Angelegenheit — aber nur so hält es den Stürmen des Lebens stand. Vielleicht kann man es auch so sagen: wer Einfachheit fordert, aber ganz persönlich voller Ansprüche ist, der macht die Dinge auf Dauer wirklich schwierig und verworren. Stattdessen muss Wichtiges oft anspruchsvoll sein — um so angemessene Lösungen zu garantieren.

Die Bibel ist in diesem Sinne kein Buch voller Ansprüche, aber sie ist ein anspruchsvolles Buch. Sie ist eigentlich gar kein Buch, sondern eine ganze Bibliothek, es sind ganz unterschiedliche Textarten darin, Dichtungen genauso wie Gesetzessammlungen, die unterschiedlichen Texte sind in unterschiedlichen Sprachen über rund ein Jahrtausend hinweg entstanden. Welche Struktur, welche Gesetzmäßigkeit lässt sich darin finden? Die Bibel ist ein Buch, das von Begegnungen und Beziehungen mit Gott berichtet. Gott begegnet seinem Volk Israel, geleitet es auf seinem Weg, geht mit ihm durch eine Beziehung voller Höhen und Tiefen. Die Evangelien — für uns in gewissem Sinne das Herzstück der Bibel — berichten nicht einfach die Lehre Jesu, sondern sie berichten von Begegnungen Jesu mit Menschen. Und wer genau hinschaut, wird erkennen, dass Jesus den verschiedenen Menschen auch durchaus verschieden begegnet, dass er für jeden das Wort hat, das ihn oder sie ganz persönlich trifft — auch für die Frau am Jakobsbrunnen, die Jesus auf ihre ganz persönliche Situation anspricht. Wir haben nur einen kleinen Ausschnitt aus diesem längeren Gespräch, das wir im Johannesevangelium finden, gehört. In dieser Tradition der vielen und vielschichtigen Begegnungen kann Glaube nicht einfach etwas Schnelles und Griffiges sein. Es geht um jeden einzelnen Menschen und seine Beziehung zu Gott — was könnte vielschichtiger sein? In diesem Sinne laden gerade die neutestamentliche Lesung und das Evangelium zur Beziehung mit Gott ein. Nicht mehr der Tempel mit seinen Ritualen und Opfern und seiner Priesterschaft steht im Mittelpunkt, sondern der Glaubende, der Beziehung mit Jesus wagt.

Aus dem Gesagten lässt sich — so bin ich überzeugt — auch eine Hilfestellung für die Herausforderungen des alltäglichen Lebens ableiten. Manchmal ist das Miteinander — sei es beruflich, sei es privat — schwierig, und man versucht dann mit ein paar Regeln das Ganze zu verbessern. Man stellt also einen Plan mit Regeln auf, weil man als Familie mit erwachsenen Kindern im selben Haus lebt, oder weil man als Abteilung in der Firma miteinander auskommen muss. Manchmal ist es ein kompliziertes Regelwerk, und manchmal klappt es und manchmal nicht. Was ist der Grund? Ist es nicht — nach dem bisher Gesagten — ein Vorteil, dass Regeln auch mal kompliziert sind, weil sie Kompliziertes zu leisten haben? Und doch klappt es nicht immer. Es kommt nämlich darauf an, ob eine wirkliche Beziehung hinter den Regeln steht. Achtet man sich beispielsweise als Kollegen und hat man das gleiche Ziel — trotz mancher Schwierigkeiten? Wenn Regeln eine Beziehung ersetzen sollen, funktioniert es nicht. Manchmal braucht es anspruchsvolle Regeln — sie wirken aber nur, wenn sie letztlich von Beziehung getragen sind. Auch für den Glauben gilt: was manchmal von außen wie ein kompliziertes Sammelsurium aus Begriffen und Geboten aussieht, erschließt sich nur von innen — durch die Beziehung zu Jesus.

Wir sehen also: Weil es im Glauben um die vielen und vielschichtigen Beziehungen zu Gott geht, kann Glaube nicht einfach etwas Schnelles und Griffiges sein — so wie die Bibel auch kein einfaches, sondern ein vielschichtiges Buch ist. Wenn es um die eigenen Interessen geht, fordern Menschen oft sehr schnell keine einfachen Parolen, sondern für sie maßgeschneiderte Lösungen. Die Evangelien berichten von den verschiedenen Begegnungen Jesu mit Menschen, die eben ganz verschieden sind, weil Jesus für jeden das Wort hat, das ihn oder sie trifft. Auch im Alltag braucht man manchmal Regelwerke um miteinander auszukommen, aber es funktioniert nur, wenn dahinter eine Beziehung steht, sei es Freundschaft oder einfach Respekt, weil man sich um ein gemeinsames Ziel müht. Auch der Glaube erscheint manchem als Sammelsurium, denn er erschließt sich nur von seiner Mitte her: der Beziehung zu Jesus.