Vielfalt muss der Einheit dienen

Pfingsten (Lesejahr B, Apg 2, 1–11; 1 Kor 12, 3b–7.12–13; Joh 15, 26–27; 16, 12–15)

„Kirche muss noch lernen Diversität anzunehmen“, sagte vor kurzem ein deutscher Bischof. Diversität — oder auf gut deutsch: Vielfalt ist ein großes Thema in unserer Gesellschaft n insgesamt, aber eben auch innerkirchlich. Es ist wohl offenkundig, dass in unserer Kirche die Fliehkräfte mehr und mehr zunehmen. Ganz unterschiedliche Vorstellungen, wie Kirche sich verändern, wie Kirche aussehen soll, ringen zunehmend miteinander. Wenn die Öffentlichkeit Kirche überhaupt noch wahrnimmt, dann sieht sie hauptsächlich diesen Konflikt. Einheit in Vielfalt — das ist die große Herausforderung der Kirche. Wie kann sie gelingen? Wie kann Kirche sich verändern und den unterschiedlichen Herausforderungen unserer Zeit begegnen — ohne endgültig in verschiedene Grüppchen zu zerfallen?

Einheit in der Vielfalt ist kein neues Thema für die Kirche, auch wenn es in unserer Zeit wohl besondere Bedeutung erlangt hat. Es ist auch das Thema der zweiten Lesung aus dem ersten Korintherbrief. Paulus deutet die Einheit anhand des Bildes vom einen Leib mit den vielen Gliedern. Jedes Glied hat eine andere Aufgabe, im Zusammenspiel stützen sie sich gegenseitig und bilden den einen Leib. Keiner kann den anderen ersetzen. Hier fällt etwas Entscheidendes auf. Während in unserer Gegenwart Vielfalt, Buntheit immer schon als Wert an sich gesehen werden, gilt das innerkirchlich nicht. Jedem wird seine Begabung gegeben, damit sie anderen nützt, sagt der Apostel. Grundsätzlich ist Vielfalt in unserer Welt eine Wirklichkeit, Menschen sind verschieden und haben verschiedene Erfahrungen und Begabungen und es ist gewiss sinnvoll, dies auch als Stärke zu entdecken. In der Kirche ist die Vielfalt allerdings kein Selbstzweck, Vielfalt hat eine Aufgabe, einen Sinn: die Vielfalt der Prägungen muss der Einheit dienen, die einen sollen die anderen ergänzen und unterstützen, jeder mit dem, was eben seine Stärke ist. Es stimmt eben nicht, wenn Verantwortliche in der Kirche Vielfalt einseitig hochjubeln, es ist so wunderbar, dass verschiedene Kirchen und Konfessionen eben ganz verschieden sind. Nein, die Vielfalt hat eine Aufgabe, sie muss der Einheit dienen. Es gibt nur den einen Herrn, den einen Gott, den einen Geist, sagt Paulus, als Kirche sind wir zur Einheit verpflichtet. Auch in der ersten Lesung aus der Apostelgeschichte wird Vielfalt deutlich. Menschen aus unterschiedlichen Teilen der Welt hören die Apostel in ihrer jeweiligen Sprache. Doch auch hier dient die Vielfalt der Einheit. Die verschiedenen Sprachen verkünden die eine Botschaft.

Diese Einheit muss die Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit bewahren und manchmal wohl auch wiederherstellen. Diesen Weg durch die Zeit zu gehen — ja, machmal auch zu bewältigen —, bedeutet auch, das Evangelium tiefer zu verstehen angesichts der Herausforderungen der jeweiligen Zeit. Jesus selbst verheißt dies im heutigen Evangelium, wenn er sagt: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten.“ Das Ringen der verschiedenen Gruppen in der Kirche hat eben auch damit zu tun, dass dieses Wort des Herrn verschieden ausgelegt wird. Was heißt es denn, dass der Geist uns tiefer in die Wahrheit führt? Was ist Vertiefung der Wahrheit, was ist Abweichen von ihr? Diese Fragen berühren natürlich ein weites Feld, das wir so in diesem Rahmen nicht behandeln können, aber ich will einen kleinen Anstoß geben. Können wir — bei aller Verschiedenheit — noch ein gemeinsames Ziel formulieren? Und nicht nur eines von nichts sagender Allgemeinheit wie: Das Evangelium verkünden — oder so. Ich glaube, hier hakt es schon in der Ökumene. Für viele Protestanten ist die heutzutage gegebene Vielfalt schon das Ziel, man muss sich nur noch gegenseitig vollumfänglich akzeptieren, während für uns als Katholiken das Ziel eine gemeinsame sichtbare Kirche, in der es natürlich auch verschiedene Ausprägungen gibt, das Ziel bleibt. Wenn wir Einheit erreichen oder bewahren möchten — auch innerkirchlich —, sollten wir immer wieder nach dem Ziel fragen. Was wollen wir: Kirche verändern oder revolutionieren?

Wenn man das Neue Testament aufmerksam liest, stellt man durchaus fest, dass es in der Kirche Veränderung und Wachstum gibt. Es ist ein behutsames, organisches Wachsen und Verändern, das manchmal auch durch Auseinandersetzungen hindurchgeht. Ich glaube, ein zentraler Punkt in diesen Veränderungen muss sein, dass ich das, was ich verändern möchte, auch mögen muss, ja zugespitzt gesagt: für das, was ich verändern will, muss ich auch Wertschätzung haben, ich muss daran auch gute Seiten erkennen. Wenn eine Familie sich verändert, weil Kinder größer werden, und man den Umgang miteinander verändern muss, dann geht das nur aus einer Haltung der Sympathie füreinander und wohl auch auch für das, was verloren geht, weil die Kinder größer werden — vielleicht gerade auch von Seiten der Kinder. Wenn ich einen Staat reformieren will, dann geht das nur, wenn ich auch Verwurzelung in diesem Staat erlebe, wenn ich Zugehörigkeit empfinde, auch zur gegenwärtigen Ordnung, selbst wenn ich sie als reformbedürftig wahrnehme. Alles andere wäre Revolution oder Staatsstreich. Und das gilt eben auch für die Kirche. Sie lässt sich nicht aus einer Haltung der Abneigung heraus verändern, sondern — bei aller Kritik — aus einer Haltung der Zuneigung, des Verwurzelt-Seins. Auch an dem, was ich verändern möchte, erkenne ich Gutes, so geschieht sinnvolle, organische Veränderung. Kirche können wir nicht revolutionieren, denn dann wäre sie unsere Gründung und nicht die des Herrn, wir können sie nur verändern — aus Zuneigung zu ihr.

Einheit in der Vielfalt — das ist gerade heute eine Herausforderung für die Kirche. Vielfalt ist in der Welt eine Tatsache, Menschen haben unterschiedliche Prägungen und Begabungen, und so ist es sinnvoll, das auch als Stärke zu entdecken, aber Paulus erinnert uns daran, dass innerkirchlich die Vielfalt nicht einfach Selbstzweck sein darf, sondern sie muss der Einheit dienen. Der Herr verheißt uns, dass die Begegnung mit den Herausforderungen der Zeit ein Weg ist, die Wahrheit des Evangeliums tiefer zu verstehen. Um diesen Weg gehen zu können, müssen wir wohl immer wieder neu versuchen gemeinsame Ziele zu formulieren, gerade in der Ökumene ist das die Herausforderung. Kirche lässt sich nur verändern aus einer Haltung der Sympathie und des Verwurzelt-Seins heraus. Das gilt auch in anderen Lebensbereichen, sonst ist es Revolution und Zerstörung. Möge der Herr uns seinen Geist geben, auch in dieser Zeit, und uns so in der ganzen Wahrheit leiten.